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Überhöhte Abfertigung Neu - gutgläubiger Verbrauch

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

BMSVG § 17

ABGB: § 1431, § 1486 Z 5

Im vorliegenden Fall enthielt das Formular des Antrags auf Aufzahlung des Abfertigungsguthabens eine Vorbehaltsklausel, wonach es (ua) aufgrund nachträglicher Meldungen durch den HVSVT auch nach Auszahlung des Guthabens rückwirkend zu einer Erhöhung oder Verminderung der Abfertigung kommen könne und allenfalls eine Verpflichtung zur Rückerstattung bestehe. Trotz dieser Vorbehaltsklausel kann die Betriebliche Vorsorgekasse einen zu viel ausbezahlten Abfertigungsbetrag jedoch nicht zurückfordern, wenn die Arbeitnehmerin den Betrag bereits zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verwendet hat und davon ausgehen konnte, dass der überwiesene Betrag richtig berechnet worden war.

Diese Redlichkeit ist der Arbeitnehmerin zu unterstellen, wenn sie angesichts der Vorbehaltsklausel mit dem Antrag auf Auszahlung der Abfertigung Neu zwei Monate zuwartete und drei Monate nach der Überweisung des Kapitalbetrags noch eine kleine Nachzahlung von rund € 20,- erhielt.

OGH 28. 3. 2017, 8 ObA 18/17f

Abänderung von OLG Wien 7 Ra 90/16f, ARD 6545/7/2017

Sachverhalt:

Die Klägerin war vom 13. 11. 2006 bis 31. 3. 2014 bei einer GmbH als Trainerin beschäftigt. Nach der Beendigung des Dienstverhältnisses entschied sie, sich ihren Anspruch auf Abfertigung Neu von der beklagten Vorsorgekasse ausbezahlen zu lassen, weil sie Geld für ihren Lebensunterhalt benötigte. Der Auszahlungsantrag enthielt eine Vorbehaltsklausel, wonach es aufgrund nachträglicher Meldungen durch den HVSVT auch nach Auszahlung des Guthabens rückwirkend zu einer Erhöhung oder Verminderung der zustehenden Abfertigung kommen könne und allenfalls eine Verpflichtung zur Rückerstattung bestehe. Die Klägerin las diesen Vorbehalt und wartete mit der Abgabe ihres Auszahlungsantrags noch rund zwei Monate zu, in der Annahme, dass die BV-Kasse bis dahin alles richtig berechnen und berücksichtigen könne.

Im Juli 2014 wurden der Klägerin von der BV-Kasse € 1.856,31 überwiesen. Im September 2014 erhielt sie noch eine kleine Nachzahlung von rund € 20,-. Sie verbrauchte beide Beträge zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes.

Im Juli 2015 erhielt die BV-Kasse vom HVSVT die Meldung, dass die Beitragsgrundlagen aufgrund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung für das Jahr 2010 korrigiert werden mussten. Daraufhin berechnete die BV-Kasse den Abfertigungsanspruch der Klägerin neu und forderte sie zur Rückzahlung eines zu viel ausbezahlten Betrags von € 282,56 auf.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der von der BV-Kasse behauptete Rückforderungsanspruch nicht zu Recht besteht. Das ErstG gab dem Klagebegehren statt; das BerufungsG änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab.

Wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rsp zur Frage des gutgläubigen Verbrauchs der BMSVG-Abfertigungszahlung bei vereinbarter Vorbehaltsklausel war die Revision zulässig und im Ergebnis auch berechtigt. Der OGH stellte daher das klagsstattgebende Urteil des ErstG wieder her.

Entscheidung

Gutgläubiger Verbrauch

Durch höchstgerichtliche Rsp bereits geklärt ist, dass die Rückforderung einer Abfertigung Neu wegen nachträglicher Korrektur des Beitragsgrundlagennachweises nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Kriterien zu beurteilen ist, insbesondere im Hinblick auf einen gutgläubigen Verbrauch (vgl OGH 26. 11. 2012, 9 ObA 120/12f, ARD 6296/2/2013).

Bei Leistungsbezügen mit Unterhaltscharakter (wie eben Arbeitsentgelt) ist die Rückforderung einer irrtümlich erbrachten Mehrleistung nach den Grundsätzen des Judikats 33 neu (OGH 23. 4. 1929, Präs 1025/28 = Arb 3893) ausgeschlossen, wenn sie vom Empfänger gutgläubig verbraucht wurde. Der gute Glaube wird nicht nur durch auffallende Sorglosigkeit des Empfängers ausgeschlossen, sondern schon dann verneint, wenn der Dienstnehmer bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit des ihm ausgezahlten Betrags auch nur zweifeln musste.

Auch eine Abfertigungszahlung nach dem BMSVG kann als Leistung mit Unterhaltscharakter iSd Judikats 33 neu angesehen werden, zumal der Abfertigung nach Verlust des bisherigen Arbeitseinkommens eine Versorgungs- und Überbrückungsfunktion zukommt. Bei einem relativ geringen Betrag liegt die Verwendung für den normalen Lebensaufwand nahe.

Im vorliegenden Verfahren steht fest, dass die Klägerin von der Auszahlungsmöglichkeit deswegen Gebrauch machte, weil sie Geld zum Lebensunterhalt benötigte, und dass sie die erhaltenen Beträge auch dafür verwendete.

Beweislast

Fehlende Redlichkeit des Empfängers ist vom Arbeitgeber nachzuweisen.

Nach der Lehre (Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht4 I 273; Burger in Reissner/Neumayr, Zeller Handbuch Arbeitsvertrags-Klauseln, Rz 48.08) kann sich der Arbeitgeber dieser Beweislast nicht schlechthin durch einen Vorbehalt bei der Zahlung entledigen (nach Mosler [in SozSi 2014, 88] könne ein solcher Hinweis nur die „Rückforderungschancen verbessern“). Es müssen vielmehr darüber hinaus noch objektive Anhaltspunkte für einen Fehler vorliegen, sodass dem Arbeitnehmer tatsächlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Empfangenen kommen müssen.

Diese Rechtsansicht wird vom OGH geteilt. Es folgt daraus nicht, dass eine abstrakte Vorbehaltsklausel unzulässig oder funktionslos wäre, sie verhindert zumindest, dass der Rückforderung ein schlüssiges Anerkenntnis oder bewusste Zahlung einer Nichtschuld entgegengehalten werden könnte.

Kein Grund für Zweifel

Die Entscheidung, ob der Empfänger unredlich war, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, erscheint dem OGH aber im vorliegenden Fall aufgrund des festgestellten Sachverhalts korrekturbedürftig:

Die Umstände, die einen Dienstnehmer bei objektiver Betrachtung zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines vom Dienstgeber erhaltenen Betrags veranlassen müssen, können vielfältig sein (vgl OGH 20. 10. 1981, 4 Ob 108/81, ARD 3428/3/82; OGH 29. 11. 2001, 8 ObA 289/01k, ARD 5340/18/2002 - Doppelzahlung innerhalb weniger Tage; OGH 16. 3. 1988, 9 ObA 32/88, ARD 3980/17/88 - den gesetzlichen Anspruch weit übersteigender Betrag; OGH 7. 11. 2002, 8 ObA 176/02v, ARD 5402/3/2003 - erkennbar rechtsgrundlose Zahlung).

Der Klägerin war hier aufgrund des unterfertigten Vorbehalts bekannt, dass der ihr mitgeteilte Abfertigungsbetrag von ihrem endgültigen Abfertigungsanspruch sowohl nach oben als auch nach unten abweichen kann, wenn es zu „nachträglichen Meldungen durch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger (etwa aufgrund von Irrtümern in der Lohnverrechnung meines Arbeitgebers oder nachträglicher Beitragsfestsetzungen im Zuge von Betriebsprüfungen)“ kommen sollte. Die Klägerin hat diesen Hinweis aber nicht unbeachtet gelassen, sondern ihm dadurch Rechnung getragen, dass sie rund zwei Monate mit der Antragstellung zugewartet hat, um der Vorsorgekasse Zeit für die Überprüfung zu geben. Aus den Feststellungen lässt sich nicht ableiten, dass die Klägerin darüber hinaus von den Verwaltungsvorgängen innerhalb der BV-Kasse und ihren Beziehungen zur Gebietskrankenkasse Kenntnisse hatte, die ihr eine andere Einschätzung des Zeitraums ermöglicht hätten, der bis zum endgültigen Ausschluss einer irrtümlichen Zahlung zu verstreichen hätte.

Auch die für nicht einschlägig juristisch gebildete Empfänger schwer nachvollziehbaren schriftlichen Mitteilungen der BV-Kasse (unterschiedliche Abrechnungsbeträge, Verweis auf eine „Garantie“, zu deren Erläuterung der Adressat auf einen nicht beigefügten Gesetzestext verwiesen wird) enthalten dafür keinen Anhaltspunkt.

Insbesondere aber durfte die kommentarlose Überweisung einer geringfügigen Nachzahlung im September 2014 von der Klägerin als Bestätigung verstanden werden, dass die Vorsorgekasse ihre Prüfung der Anspruchshöhe nun jedenfalls zur Gänze abgeschlossen und keine Überzahlung, sondern endgültig ein Guthaben ermittelt hat.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23681 vom 06.06.2017