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Unberechtigter Austritt: Urlaubsersatzleistung gebührt nur für unionsrechtlichen Mindesturlaub

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

UrlG: § 10 Abs 2

RL 2003/88/EG: Art 7

Nach dem Erkenntnis des EuGH 25. 11. 2021, C-233/20, job-medium, ARD 6776/8/2021, steht fest, dass der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten Austritt des Arbeitnehmers unionsrechtwidrig ist (Widerspruch zu Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG, die für jeden Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen vorsieht). Das hat jedoch nur Auswirkungen auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub von vier Wochen. Eine finanzielle Abgeltung des innerstaatlich darüber hinausgehenden Urlaubsteils ist unionsrechtlich nicht geboten.

OGH 17. 2. 2022, 9 ObA 150/21f

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Die Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten endete durch unberechtigten vorzeitigen Austritt des Klägers. Von dem im Beschäftigungszeitraum erworbenen Urlaubsanspruch von 7,33 Arbeitstagen hatte der Kläger 4 Tage verbraucht.

Der Kläger begehrte Urlaubsersatzleistung von € 322,06 sA für den bei Ende des Arbeitsverhältnisses noch offenen Urlaubsanspruch. Die Arbeitgeberin bestritt und verwies darauf, dass nach dem Urlaubsgesetz bei unberechtigtem Austritt keine Urlaubsersatzleistung zusteht.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren aufgrund der Gesetzeslage ab. Der OGH legte die Rechtssache zunächst dem EuGH vor. Dieser beantwortete das Vorabentscheidungsersuchen dahingehend, dass das Unionsrecht einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet (EuGH 25. 11. 2021, C-233/20, job-medium).

Der OGH gab nach Vorliegen dieser Entscheidung der Revision des Klägers teilweise Folge:

Entscheidung

Aufgrund dieses Erkenntnisses des EuGH steht fest, dass der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch (unberechtigten) Austritt des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund in Widerspruch zu Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG steht, die für jeden Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen vorsieht. Ist – wie hier – eine mit den Anforderungen dieser Richtlinie im Einklang stehende Auslegung und Anwendung der nationalen Regelung nicht möglich, ist eine unionsrechtswidrige nationale Regelung, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen.

Auf dieser Grundlage hat der unberechtigt vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgetretene Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Abgeltung des zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Urlaubsrestes gemäß § 10 Abs 1 UrlG. Zu prüfen bleibt jedoch, ob der in § 10 Abs 2 UrlG unionsrechtswidrig normierte Urlaubsverfall nur den unionsrechtlichen Mindesturlaub von vier Wochen oder den gesamten nationalen Urlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG – im Falle des Klägers von unstrittig 30 Werktagen (fünf Wochen) – betrifft.

Die RL 2003/88/EG legt allerdings nur Mindestvorschriften fest, die von den Mitgliedstaaten zu beachten sind, doch haben diese das Recht, für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften zu erlassen. Wenn im nationalen Recht mehr als die in der Richtlinie festgelegten vier Wochen Jahresurlaub vorgesehen sind, können die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, ob sie für Arbeitnehmer, die diesen Urlaub während ihres Arbeitsverhältnisses nicht nehmen konnten, eine finanzielle Vergütung vorsehen, und sie können die Bedingungen für die Gewährung dieses zusätzlichen Anspruchs festlegen (vgl Mitteilung der EU-Kommission vom 24. 5.2017, ABl 2017/C 165/35).

Da das UrlG dem Arbeitnehmer einen Urlaubsanspruch von fünf bzw sechs Wochen gewährt, geht die innerstaatliche Rechtslage über die unionsrechtlich erforderlichen Mindestansprüche hinaus und ist insoweit günstiger als das Unionsrecht. Um den unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH zur Auslegung des Art 7 Abs 1 RL 2003/88/EG im Anlassfall gerecht zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer für den zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses offenen Resturlaub eine finanzielle Vergütung erhält, genügt es daher nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, § 10 Abs 2 UrlG (nur) insoweit unangewendet zu lassen, dass im Ergebnis der Arbeitnehmer auf Grundlage des nach Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs von vier Wochen eine Urlaubsersatzleistung für den zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Jahresurlaub erhält. Eine finanzielle Abgeltung des über den vierwöchigen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsteils ist daher unionsrechtlich nicht geboten.

Die dem Kläger gebührende Urlaubsersatzleistung errechnet sich auf Basis des unionsrechtlichen Mindesturlaubs von vier Wochen abzüglich des bereits verbrauchten Urlaubs, im konkreten Fall ergibt sich daraus ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 1,86 Tage.

Die dem Kläger gebührende Urlaubsersatzleistung errechnet sich daher auf Basis des unionsrechtlichen Mindesturlaubs von vier Wochen wie folgt: 20 Urlaubstage (Arbeitstage) : 365 x 107 Tage (Beschäftigungszeitraum) = 5,86 Urlaubstage – 4 Tage verbraucht = 1,86 Tage. Im konkreten Fall ergibt sich daraus ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 1,86 Tage.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32381 vom 12.04.2022