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Unklare Foderungsanmeldung – Haftung des Insolvenzverwalters

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

IO: § 81, § 104, § 105

ABGB: § 1295, § 1304

1. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, jede Forderungsanmeldung einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Er darf eine unklar begründete Forderung bei pflichtgemäßer Amtsführung nicht ohne Nachfrage als richtig anerkennen. Ein pflichtbewusster Insolvenzverwalter darf seine Aufmerksamkeit naturgemäß nicht nur auf Forderungen beschränken, deren Anmeldung er erwartet hat und die er für berechtigt hält.

2. Die Haftung des Insolvenzverwalters iSd § 81 Abs 3 IO ist nicht subsidiär; sie verschafft dem Geschädigten einen selbstständigen Rechtsschutzanspruch und eine verschuldensabhängige Ersatzpflicht nach den Regeln des ABGB. Da die unmittelbare Verfügung über einen präsenten Bargeldbetrag einer gleich hohen Geldforderung nicht gleichzuhalten ist, ist der Gläubiger als geschädigt anzusehen, wenn er aus Verschulden des Insolvenzverwalters nicht Zahlung erlangt hat, sondern weiterhin nur eine offene Forderung gegen die Schuldnerin hat. Der Gläubiger kann dann seinen Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter auch ohne vorherige Inanspruchnahme der eigentlichen Schuldnerin geltend machen.

Hat der Gläubiger gegen die Schuldnerin allerdings bereits eine titulierte und vollstreckbare Abgabenforderung, verletzt er die Schadensminderungspflicht, wenn er in dieser Situation keinen Exekutionsversuch unternimmt, um den Schaden hintanzuhalten oder zu verringern.

OGH 25. 10. 2016, 8 Ob 10/16b

Sachverhalt

Der Bekl war Insolvenzverwalter in den verbundenen Insolvenzverfahren einer GmbH & Co KG und deren Komplementär-GmbH.

Die Kl hatte in beiden Verfahren Forderungen aus öffentlichen Abgaben angemeldet. Die Forderungsanmeldung bei der GmbH enthielt den Vermerkals unbeschränkt haftender Gesellschafter der GmbH & Co KG“; sie enthielt aber auch Forderungen, bei denen eine andere Kontonummer angeführt war (die also eigene Abgabenverbindlichkeiten der GmbH betrafen). Der Insolvenzverwalter ging davon aus, dass alle Forderungen gegen die GmbH deren Stellung als Komplementärin betreffen, und erkannte sie an.

Das Sanierungsverfahren der GmbH & Co KG wurde durch Aufhebung gem § 123b Abs 2 IO nach Ausschüttung einer 100%igen Quote beendet. In der Folge beantragte die GmbH auch die Aufhebung ihres Sanierungsverfahrens nach § 123b IO, weil ihre Komplementärhaftungen weggefallen seien. In seiner Stellungnahme gegenüber dem Insolvenzgericht erklärte der Bekl, mit einem bestimmten Restbetrag alle Forderungen auch der GmbH tilgen zu können. Dabei ließ er die Forderungen der Kl außer Acht, die nur die GmbH betrafen.

Die Kl begehrt nun Schadenersatz und stützt sich darauf, dass der Bekl in Verletzung seiner Verpflichtungen als Insolvenzverwalter übersehen habe, dass ihre Forderungsanmeldung auch eigene Abgabenverbindlichkeiten der GmbH umfasst habe, die durch die Auszahlung der Quote in der Insolvenz der KG nicht befriedigt worden seien. Der Bekl habe die Aufhebung des Insolvenzverfahrens ermöglicht, obwohl die Voraussetzung einer rechtzeitigen Befriedigung oder Sicherstellung aller Gläubigerforderungen nicht erfüllt gewesen sei. Die Kl habe noch versucht, die restliche Forderung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens bei der GmbH einbringlich zu machen, sei damit aber gescheitert.

Das ErstG wies das Klagebegehren ab. Das BerufungsG sprach der Kl die Hälfte des Klagsbetrags zu.

Der OGH gab den Revisionen beider Parteien Folge, hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das ErstG zurück.

Entscheidung

Sorgfältige Prüfung

Zum Thema sorgfältige Prüfung hält der OGH ua fest, dass es nur ein Indiz für eine bloße Inanspruchnahme der gesetzlichen Komplementärhaftung ist, wenn die gegen die Komplementärin angemeldete Abgabenforderung niedriger ist als die Forderung gegen die KG; von seiner Verpflichtung zur genauen Prüfung werde der Bekl dadurch aber nicht enthoben. Eine genaue Übereinstimmung, die eine Identität der Forderungen vermuten ließe, lag hier nicht vor.

Schaden

Zum Einwand des Insolvenzverwalters, dass der Kl kein Schaden entstanden sei, weil sie im Insolvenzverfahren der GmbH für ihre Forderung auch ohne sein Versehen keine Befriedigung erlangt hätte, müssen im fortgesetzten Verfahren weitere Feststellungen getroffen werden.

Dazu weist der OGH darauf hin, dass dabei insb das Vorbringen zu beachten sein wird, dass im Insolvenzverfahren der GmbH Massearmut bestand und es ohne freiwillige Zuzahlung der Gesellschafterin zu überhaupt keiner Quotenausschüttung gekommen wäre.

Bei der Beurteilung, ob ein Schaden entstanden ist, sind – so der OGH weiter – zwei Vermögenslagen miteinander zu vergleichen: Die wirkliche Lage, die durch das schädigende Ereignis eingetreten ist, und eine hypothetische Vermögenslage ohne dieses Ereignis. Ist die wirkliche Vermögenslage gegenüber der gedachten zum Nachteil des Betroffenen, liegt ein Schaden im Rechtssinn vor (RIS-Justiz RS0022477).

Die Kl ist für den Schadenseintritt beweispflichtig; ihr obliegt auch die Behauptung und der Beweis dafür, dass die Gesellschafterin im hypothetischen Fall der Berücksichtigung der Klagsforderung im Verteilungsentwurf einen entsprechend höheren Erlag getätigt hätte. Hätte im vorliegenden Fall die Masse bei pflichtgemäßem Vorgehen des Bekl nicht ausgereicht, um eine 100%ige Quote zu erfüllen, dann wäre es nicht zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 123b Abs 2 IO gekommen. Der Kl wäre dann wegen des Versehens des Bekl entweder gar nichts entgangen (wenn die Gesellschafterin gar keine Einzahlung geleistet hätte) oder nur eine geringere Quote (wenn die Gesellschafterin nicht mehr eingezahlt hätte als tatsächlich geschehen) .

In erster Instanz hat die Kl nicht vorgebracht, wie der Bekl die in Aussicht gestellte 100%ige Quote auch an sie ausschütten hätte können. Diese Unschlüssigkeit ihres Vorbringens wurde nicht erörtert, weshalb den Parteien nun zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung die Möglichkeit zur Ergänzung ihres Vorbringens und Beweisanbots eröffnet werden muss.

Schadensminderungspflicht

Dass die Haftung des Insolvenzverwalters nach stRsp nicht subsidiär ist (RIS-Justiz RS0065416) und der Gläubiger seinen Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter ohne vorherige Inanspruchnahme der eigentlichen Schuldnerin geltend machen kann, hindert den Bekl nicht an der Einwendung, die Kl habe keine zweckmäßigen Eintreibungsversuche unternommen und dadurch ihre Obliegenheit nach § 1304 ABGB verletzt, den Schaden möglichst gering zu halten (RIS-Justiz RS0027043; ua Reischauer in Rummel, ABGB3 II/2a § 1304 Rz 37).

Das BerufungsG ist in seiner rechtlichen Beurteilung nur davon ausgegangen, dass die Kl nicht verpflichtet gewesen wäre, „auch gerichtliche Einbringungsversuche“ zu unternehmen. Diese Begründung berücksichtigt aber nicht, dass es sich bei der Forderung der Kl gegen die GmbH um eine titulierte und vollstreckbare Abgabenforderung handelt, die sofort dem behördlichen Vollstreckungsverfahren unterzogen werden könnte.

Nach Ansicht des OGH würde ein durchschnittlicher verständiger Gläubiger bei objektiver Betrachtung in dieser Situation zumindest einen Exekutionsversuch unternehmen, um den Schaden hintanzuhalten oder zu verringern, bevor er sich auf die Kosten und Risiken eines Gerichtsverfahrens gegen einen möglicherweise ersatzpflichtigen Dritten einlässt. Welche gescheiterten Eintreibungsversuche die Kl unternommen hat, wurde nicht erörtert und festgestellt.

Nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist auch das Vorbringen des Bekl, dass die beiden Gesellschaften entschuldet aus dem Insolvenzverfahren hervorgegangen und nach wie vor wirtschaftlich tätig seien, weshalb von der Einbringlichkeit der Forderung auszugehen wäre. Im Hinblick darauf, dass die Erfüllung der Quote im Sanierungsverfahren mit Hilfe Dritter zustandegekommen ist, könne – so der OGH – auch von dieser Seite Interesse bestehen, eine neuerliche Insolvenzgefahr von der Gesellschaft abzuwenden.

Verschuldensteilung

Die Kl wendet sich auch gegen die vom BerufungsG angenommene Verschuldensteilung.

Dazu hält der OGH fest, dass die Unterlassung einer gebotenen Warnung und das Nichterheben eines Rechtsmittels der Kl jedenfalls nur dann zur Last gelegt werden könnten, wenn ihr jene Umstände, auf die sie zu ihrem Selbstschutz reagieren hätte müssen, auch rechtzeitig zur Kenntnis gelangt sind. Allein der Umstand, dass sich ein Geschädigter ex post betrachtet nicht richtig verhalten hat, begründet nämlich noch kein Mitverschulden. Im Vordergrund steht die Frage, ob der Geschädigte ex ante jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer am Rechtsverkehr in seiner Lage angewandt hätte, um einen Schaden zu verhindern (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB4 VI § 1304 Rz 25).

Die Kl hat in erster Instanz vorgebracht, dass der Irrtum des Bekl über die Rechtsnatur ihrer Forderung für sie vor Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses nicht erkennbar gewesen sei. Er habe ausdrücklich angekündigt, dass die Summe aller anerkannten Insolvenzforderungen zu 100 % befriedigt würden. Erst durch das Ausbleiben der erwarteten Quotenzahlung nach Rechtskraft der Aufhebung sei das Versehen des Bekl für die Kl erkennbar geworden, weshalb sie auch keinen aussichtsreichen Rekurs erheben hätte können.

Tatsächlich lassen die getroffenen Feststellungen offen, wann die Stellungnahme des Bekl zum Aufhebungsantrag erstmals zugegangen ist; laut Rubrum wurde die Stellungnahme nur dem Gericht, dem Schuldnervertreter und den Mitgliedern des Gläubigerausschusses direkt übermittelt. Dem Aufhebungsbeschluss des Insolvenzgerichts und der Ediktsdatei war nur zu entnehmen, dass alle Forderungen zur Gänze befriedigt oder sichergestellt würden.

Ob der Kl eine Verletzung ihrer Rettungspflicht vorzuwerfen ist, kann daher erst nach ergänzenden Feststellungen darüber beurteilt werden, welche Informationen ihr zu welchem Zeitpunkt zur Verfügung standen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22786 vom 15.12.2016