Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement des ARD erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
Alle LexisNexis-Fachzeitschriften sind im Volltext auch in Lexis 360® verfügbar.
Lexis 360 ist Österreichs innovativste* Recherchelösung und bietet Zugriff auf
alle relevanten Quellen von Rechtsnews, Gesetzen, Urteilen und Richtlinien bis
zu Fachzeitschriften und Kommentaren.
Testen Sie jetzt Lexis 360® kostenlos.
*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
Enthält der durch Klage angefochtene Bescheid des Pensionsversicherungsträgers auch den Ausspruch, dass der Versicherte vorübergehend invalid sei und er Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung habe, gilt dies auch bei gegenteiligen Beweisergebnissen im sozialgerichtlichen Verfahren als vom Pensionsversicherungsträger unwiderruflich anerkannt.
Sachverhalt
Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt lehnte mit Bescheid den Antrag des 1964 geborenen Klägers auf Weitergewährung der befristeten Invaliditätspension ab: Dauerhafte Invalidität liege nicht vor, sondern nur vorübergehende Invalidität. Die PVA sprach daher aus, dass der Kläger für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung habe.
Das Erstgericht wies das auf Weitergewährung der befristeten Invaliditätspension gerichtete Klagebegehren ab, weil der Kläger nach den Ergebnissen des gerichtlichen Verfahrens nicht - auch nicht bloß vorübergehend - invalid sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil in diesem Punkt, gab der Berufung des Klägers aber teilweise Folge und sprach aus, dass beim Kläger vorübergehende Invalidität vorliege und er für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung habe.
Bescheid außer Kraft getreten
Dass der Bescheid der PVA durch die Klagserhebung im gesamten Umfang außer Kraft getreten ist, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
Die PVA nimmt sehr ausführlich Bezug auf die Zwecke, die der Gesetzgeber mit der Schaffung des Rehabilitationsgeldes durch das SRÄG 2012 verfolgte, und vertritt die Ansicht, die Anerkenntnisfiktion des § 71 Abs 2 ASGG unterliege Beschränkungen: Um ein Ergebnis zu vermeiden, das die Reformbestrebungen des Gesetzgebers des SRÄG 2012 ad absurdum führe, müsse die Bestimmung so ausgelegt werden, dass das vom Versicherungsträger zuerkannte Rehabilitationsgeld im gerichtlichen Verfahren nicht zuzusprechen sei, wenn sich in diesem herausgestellt habe, dass der Kläger nicht invalid ist. Sonst könnte das Rehabilitationsgeld zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Dauerleistung werden.
Die von der PVA geforderte teleologische Reduktion des in § 71 Abs 2 Satz 1 ASGG normierten Anerkenntnisses setzt den Nachweis voraus, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes gar nicht getroffen wird und dass sie sich von „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen soweit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Es ist nicht zulässig, durch teleologische Reduktion eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhalts zu entkleiden. Dieser Nachweis gelingt der Revision aber nicht.
Verschlechterungsverbot im Gerichtsverfahren
Nach § 71 Abs 2 erster Halbsatz ASGG ist nach der Einbringung der Klage ua nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG die Leistungsverpflichtung, die dem außer Kraft getretenen Bescheid entspricht, als vom Versicherungsträger unwiderruflich anerkannt anzusehen. Als unwiderruflich anerkannt sind auch das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (Dienstunfalls) oder einer Berufskrankheit anzusehen, soweit dies dem durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid entspricht.
Diese Vorschrift wurde durch die ASGG-Novelle 1994, BGBl 1994/624, eingefügt und sollte nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern, dass ein gerichtliches Urteil für den Kläger weniger günstig ausfällt, als der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid (Verschlechterungsverbot). Der Versicherte darf darauf vertrauen, jedenfalls die im Bescheid zuerkannte Leistung ohne Rücksicht auf den Ausgang des Prozesses zu erhalten. Er soll die Möglichkeit haben, im Instanzenzug seinen Rechtsstandpunkt geltend zu machen, ohne dadurch das Risiko einzugehen, im Fall seines Unterliegens nicht einmal das zu erhalten, was ihm mit dem außer Kraft getretenen Bescheid zuerkannt worden ist. Das Gericht hat dem Kläger daher „zumindest“ die im Bescheid zuerkannte Leistung zuzusprechen. Vergleichbares gilt bezüglich der Feststellung eines Unfallversicherungsträgers, wonach ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt. Dem Versicherungsträger ist insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit die rechtswirksame Bestreitung des von ihm im Bescheid zuerkannten Anspruchs im Prozess verwehrt.
Diese Zweckrichtung des § 71 Abs 2 Satz 1 ASGG trifft auch zu, wenn dem Versicherten im Bescheid des Versicherungsträgers Rehabilitationsgeld zuerkannt wurde. Geschützt wird der Versicherte vor einer Schlechterstellung gegenüber dem bekämpften Bescheid aufgrund der Ergebnisse des Prozesses.
Im Hinblick auf die Änderung des § 71 Abs 2 ASGG mit BGBl 1994/624 hat der Gesetzgeber mit derselben Novelle in § 71 Abs 3 ASGG präzisiert, dass § 71 Abs 2 Satz 1 ASGG „insoweit“ nicht anwendbar ist, wenn der Versicherungsträger wegen einer Änderung der Verhältnisse während des Verfahrens einen neuen Bescheid erlässt. Nur Sachverhaltsänderungen, die nach Erlassung des mit der ersten Klage bekämpften Bescheids während des darüber anhängigen gerichtlichen Verfahrens eingetreten sind und die leistungsaufhebend oder leistungsvermindernd wirken, berechtigen den Versicherungsträger, in diesem Stadium wegen Änderung der Verhältnisse einen neuen Bescheid zu erlassen.
Der Gesetzgeber schließt es demnach aus, das Nichtvorliegen von Voraussetzungen einer im Bescheid zuerkannten Leistung im Gewährungszeitpunkt im gerichtlichen Verfahren, dem dieser Bescheid zugrunde liegt, wahrzunehmen.
Keine teleologische Reduktion
Nicht überzeugend begründbar ist für den OGH, warum der Fall des Klägers anders behandelt werden müsste als jener eines Versicherten, dem der Versicherungsträger eine Dauerversehrtenrente mit Bescheid zuerkannte, der wegen einer angeblich höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit diesen Bescheid bekämpft hat und bei dem sich im Prozess letztlich herausstellt, dass schon die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Gewährungszeitpunkt nicht ein rentenbegründendes Ausmaß erreicht hatte oder ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit nicht vorliegen. Eine sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung ist nicht zu erkennen.
Auch Rehabilitationsgeld kann nach § 99 Abs 1 ASVG nur entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung eingetreten ist. Daher kann es auch beim Rehabilitationsgeld, wenn der Zuerkennungsbescheid unbekämpft bleibt, zu nicht entziehbaren „Dauerleistungen“ kommen, wenn zum Gewährungszeitpunkt die Leistungsvoraussetzungen zur Gänze nicht vorlagen.
Da der Gesetzeswortlaut und die klare gesetzgeberische Absicht gegen eine teleologische Reduktion sprechen, wie sie die PVA vor allem aus rechtspolitischen Erwägungen anstrebt, kommt sie nicht in Betracht.
Der OGH folgt auch nicht der Ansicht der PVA, dass - selbst bei Anwendbarkeit des § 71 Abs 2 Satz 1 ASGG - im Spruch nicht die vom Akteninhalt nicht gedeckte Feststellung getroffen werden hätte dürfen, dass beim Kläger ab dem 1. 9. 2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliegt. Auch dieser Teil des Spruchs wird von der Anerkenntnisfiktion erfasst. So muss auch das als unwiderruflich anerkannt anzusehende Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit (§ 71 Abs 2 Satz 2 ASGG) in das Urteil aufgenommen werden, selbst wenn ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit nicht vorliegt.