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Das neue "Dutch scheme" - die Niederlande am Weg zum neuen Restrukturierungshub?

Mag. Georg Wabl, LL.M. (London) / Gert-Jan Boon, LL.M. (Leiden), MSc (Amsterdam)

Nach der im Juni 2019 verabschiedeten EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz1 (RIRL) scheinen spätestens mit dem 2020 vollzogenen Brexit die Karten in der internationalen oder zumindest europäischen Restrukturierungswelt neu gemischt. Die Niederlande (NL) könnten mit weitreichenden Insolvenzrechtsreformen als Gewinner aus einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse hervorgehen. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichsten (geplanten) Änderungen des niederl Insolvenzrechts.

1. Vorbemerkung

Während manche Länder wie etwa Italien2 bereits unmittelbar vor einer Umsetzung der RIRL stehen, sind die Arbeiten in anderen Ländern, darunter auch Österreich,3 noch voll im Gange. Gerade in Zeiten von COVID-19 wird auf eine rasche Umsetzung der RIRL gedrängt, und die NL werden dabei oft als Vorbild ge-


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nannt.4 Diese scheinen tatsächlich schon recht weit zu sein und haben die RL-Umsetzung in eine bereits lange vor der RIRL gestartete Gesetzesinitiative zur Modernisierung ihres Insolvenzrechts eingebettet. Gefruchtet hat dieser Prozess vorerst in dem am 26. 5. 2020 von der Zweiten Kammer des niederl Parlaments angenommenen Wet Homologatie Onderhands Akkoord (kurz: WHOA), was wörtlich übersetzt so viel heißt wie "Gesetz über die Bestätigung außergerichtlicher Restrukturierungspläne".5 Aufgrund von Parallelen mit dem englischen scheme of arrangement 6 wird auch gerne vom "Dutch scheme" gesprochen. Ein Inkrafttreten wird zeitnah erwartet.7

Die mit dem WHOA verbundene Erwartungshaltung ist hoch,8 es soll flexibler und schlanker als internationale "Vorzeigemodelle" wie etwa das amerikanische Chapter 11 sein. Grund genug, sich dieses Tool auch mit der "österr Brille" anzusehen.9 Auf die Bestimmungen der RIRL wird nur punktuell eingegangen, primär relevant sind die Bestimmungen in Titel II zum präventiven Restrukturierungsrahmen.10

2. Aktuelle Rechtslage in den NL

In den Grundzügen erinnern das niederl Insolvenzregime und die dazugehörige Restrukturierungspraxis durchaus an die österr. Es gibt derzeit noch kein effektives, präventives und vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren. Präventive Restrukturierung funktioniert wie auch hierzulande oft über außergerichtliche Restrukturierungen (buitengerechtelijk akkoord), die aber idR der Zustimmung aller Beteiligten bedürfen und daher anfällig für Akkordstörer sind.

Daneben gibt es die im niederl Insolvenzgesetz (Faillissementswet)11 vorgesehenen Verfahren für Unternehmensinsolvenzen, nämlich die surseance van betaling 12 ("Aussetzung von Zahlungen") und das faillissement 13 ("Konkursverfahren").

Die surseance van betaling ist ein präventives Verfahren, das vom Schuldner ausgeht14 und weitestgehend in Eigenverwaltung die Sanierung drohend zahlungsunfähiger,15 aber lebensfähiger Unternehmen ermöglichen soll. Es bietet ein automatisches Moratorium für unbesicherte Gläubiger und ermöglicht ebenso die Beantragung eines solchen für besicherte Gläubiger.16 Über einen auf unbesicherte Gläubiger beschränkten "Restrukturierungsplan" (akkoord) kann von der Gläubigermehrheit17 eine widersprechende Minderheit überstimmt und die Gesellschaft etwa über einen Schuldenschnitt oder eine Streckung von Fälligkeiten saniert werden.18 Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen (inkl debt to equity swaps) gegen den Willen der Anteilsinhaber sind grundsätzlich nicht vorgesehen. Ebenso wenig gibt es die Möglichkeit eines klassenübergreifenden Cram-down. In der Praxis wird dieses Verfahren oft als Vorstufe zur Beantragung eines faillissement (Konkursverfahrens) gesehen.

Das faillisement setzt die tatsächliche Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraus19 und bezweckt primär die Abwicklung des schuldnerischen Vermögens, ermöglicht aber auch eine übertragende Sanierung (inkl sog pre-pack-Lösungen)20 sowie die Beantragung eines "Restrukturierungsplans" (akkoord).21

3. WHOA

3.1. WHOA keine Umsetzung der RIRL

Ein Hinweis gleich vorab: Obwohl das WHOA den Vorgaben der RIRL weitestgehend folgt, ist dieses keine Umsetzung selbiger in das niederl Recht. Dies mag einerseits daran liegen, dass die Vorarbeiten zum WHOA bereits lange vor der RIRL begonnen haben.22 Andererseits möchten die NL dieses Tool dadurch uU un-


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abhängig von weiteren Entwicklungen iZm der RIRL wie etwa dazu ergehender EuGH-Rsp machen. Für die offizielle Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens iSd RIRL wurde eine Anpassung der Regelungen zur surseance van betaling angekündigt.23

3.2. Ziel des WHOA

Durch das WHOA sollen die Stärken des amerikanischen Chapter 11 und des englischen scheme of arrangement kombiniert werden. Ziel ist ein zeit- und kosteneffizientes Verfahren, das sowohl öffentlich als auch nicht-öffentlich in Anspruch genommen werden kann. Nur das öffentliche Verfahren soll in Annex A der EuInsVO 201524 aufgenommen werden.25 Für das WHOA wird kein eigenes Gesetz geschaffen, sondern dieses wird als neues, vorinsolvenzliches Verfahren in das niederl Faillissementswet aufgenommen.

3.3. Eigenverwaltung

Das WHOA folgt dem Grundsatz debtor in possession.26 Es obliegt primär dem Schuldner, seinen Gläubigern und Anteilsinhabern einen Restrukturierungsplan (akkoord) anzubieten,27 jedoch kann auch ein vom Gericht bestellter Restrukturierungsexperte (herstructureringsdeskundige) auf Initiative von Gläubigern, Anteilsinhabern, dem Betriebsrat oder dem Schuldner selbst für die Planerstellung zuständig sein.28 Es kann aber nie mehr als einen Restrukturierungsplan geben.29 Ist kein Restrukturierungsexperte bestellt, kann dennoch - ähnlich wie in Art 5 Abs 3 RIRL vorgesehen - ein sog observator ("Aufseher") bestellt werden, zB wenn dies zum Schutz der Gläubiger erforderlich ist oder wenn ein Moratorium beantragt wird.30 Die Entscheidung über die Bestellung von Restrukturierungsexperten oder Aufsehern soll aber der Idee nach soweit möglich den Parteien selbst überlassen werden.

Auch die Gerichtseinbindung ist beschränkt und konzentriert sich im "besten Fall" nur auf die Bestätigung des Restrukturierungsplans31 und die Gewährung eines Moratoriums.32 Wenn vom Schuldner oder einem bestellten Restrukturierungsexperten gewünscht, entscheidet das Gericht aber auch vorab über (mögliche) Konflikte etwa iZm Klassenbildung oder Wertzuteilung.33

3.4. Zugangsvoraussetzungen

Zugangsberechtigt sind Unternehmen jeglicher Rechtsform und Unternehmer, nicht aber natürliche Personen, die keiner unternehmerischen Tätigkeit nachgehen.34 Das WHOA kann eingeleitet werden, wenn sich ein Schuldner in einer Situation befindet, in der redlicher Weise von einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist.35 Dafür ist vom Schuldner lediglich kostenlos eine Erklärung beim Gerichtsregister zu hinterlegen, die dort für maximal ein Jahr verbleibt.36 Die Erklärung soll den formalen Verfahrensbeginn markieren, ab dem der Schuldner weitere Schritte wie etwa ein Moratorium beantragen kann. Die Richtigkeit der Erklärung wird vom Gericht grundsätzlich nicht vorab geprüft.

3.5. Moratorium

Das WHOA sieht kein automatisches Moratorium vor, jedoch kann vom Schuldner37 bei Gericht die temporäre Aussetzung individueller Vollstreckungsmaßnahmen beantragt werden. Möglich ist dies entweder bei oder nach Vorlage eines Restrukturierungsplans, aber ebenso iZm der Planvorbereitung, jedoch muss hier die Planvorlage binnen höchstens zwei Monaten zugesichert werden.38 Ursprüngliche Aussetzungsdauer sind maximal vier Monate, jedoch kann die Aussetzung auf insgesamt nicht mehr als acht Monate verlängert werden.39 Die Voraussetzungen für die Gewährung, Wirkungen und Aufhebung der Aussetzung erinnern an die Vorgaben in Art 6 und 7 RIRL.

3.6. Restrukturierungsplan und Klassenbildung

Die Inhaltsvoraussetzungen des Restrukturierungsplans (formale Voraussetzungen, Klassenbildung, Angaben zu notwendigen Finanzierungen etc) erinnern weitestgehend an die Vorgaben des Art 8 RIRL.40

Der Plan kann grundsätzlich sämtliche denkbaren und rechtlich möglichen Restrukturierungsmaßnahmen beinhalten, die


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etwa auch in einer außergerichtlichen Restrukturierung möglich und üblich sind; daher zB Schuldenschnitte, Stundungen, Laufzeitveränderungen, gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, debt to equity swaps, Verwertungsmaßnahmen etc.41

Die zu erfolgende Klassenbildung sieht insb eine Trennung von besicherten und unbesicherten Gläubigern,42 aber auch von Gläubigern mit Zurückbehaltungsrechten, gewöhnlichen und nachrangigen Gläubigern sowie Anteilsinhabern vor.43 Besonders angesprochen ist eine mögliche Klasse gewöhnlicher KMU-Gläubiger (insb Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Schadenersatz), die in eine eigene Klasse zu gruppieren sind und denen grundsätzlich eine zumindest 20%ige Quote anzubieten ist44 (s dazu noch unten Pkt 3.9.2.).

Damit Anteilsinhaber von Gesellschaften einen WHOA nicht torpedieren können, wird gesetzlich klargestellt, dass die Geschäftsleitung keine Genehmigung der Anteilsinhaber benötigt, um einen Restrukturierungsplan zu beantragen.45

3.7. "Reorganisationswert"

Bemerkenswert scheint die Bestimmung zur Bewertung von Sicherheiten im Rahmen des Restrukturierungsplans. Besicherte Gläubiger gelten im Plan "nur" im Ausmaß des Liquidationswerts im Konkursszenario als besichert.46 Nach dem WHOA soll nämlich der sog "Reorganisationswert" (reorganisatiewaarde) iS einer konsensualen Lösung allen Beteiligten (und daher insb auch den unbesicherten Gläubigern) zugutekommen.47 Es bleibt abzuwarten, ob bzw wie sich dies auf die Kräfteverhältnisse zwischen Schuldnern sowie besicherten und unbesicherten Gläubigern auswirken kann.

3.8. Abstimmung und Annahme

Die Abstimmung über den Plan hat in jeder Klasse getrennt zu erfolgen.48 Der Plan gilt als innerhalb einer Klasse angenommen, wenn zumindest eine 2/3-Kapitalmehrheit (auf Basis der in der jeweiligen Klasse tatsächlich abstimmenden Gläubiger) sowie bei Anteilsinhabern 2/3 des ausgegebenen Kapitals erreicht werden.49 Überdies gibt es die Möglichkeit eines klassenübergreifenden Cram-down (s Pkt 3.9.).

3.9. Bestätigung

Wie auch in der RIRL vorgesehen, kann die gerichtliche Bestätigung bereits dann erteilt werden, wenn eine "im Geld" befindliche Klasse den Plan angenommen hat.50 Im Wege eines klassenübergreifenden Cram-down können daher auch widersprechende Klassen zur Gänze überstimmt und durch einen Plan gebunden werden.51

Die Gründe für eine Versagung der Bestätigung sind beschränkt. Insb können Gläubiger oder Anteilsinhaber gegen die Planbestätigung sprechende Gründe, die sie bereits früher kannten oder kennen mussten, nur dann geltend machen, wenn sie den Schuldner bereits vorab (nach Erhalt des Restrukturierungsplanvorschlags) informiert haben. Dadurch soll die Effizienz des Verfahrens gesteigert und erreicht werden, dass mögliche Diskussionspunkte bereits vorab, wenn nötig auch mit Gerichtseinbindung, ausgeräumt werden.52

Neben formalen Bestätigungsvoraussetzungen53 kann die Bestätigung insb dann versagt werden, wenn Beteiligte durch den Plan unzulässigerweise in ihrer Rechtsposition beeinträchtigt werden.

3.9.1. Best-interest-test

Durch den sog best-interest-test wird sichergestellt, dass gegen den Plan stimmende Beteiligte im Restrukturierungsplan (und daher trotz "Reorganisationswert", s oben Pkt 3.7.) nicht schlechter als im gesetzlichen Alternativszenario (Liquidation im Konkurs) gestellt sind.54 Ist ein (teilweiser) going-concern-Verkauf im Konkurs ein realistisches Vergleichsszenario, dann ist dieser Wert als Vergleich heranzuziehen.55

3.9.2. Fairness test

Widersprechende Gläubiger oder Anteilsinhaber aus ablehnenden Klassen können überdies beanstanden, dass der "Reorganisationswert" in unzulässiger Weise verteilt wurde. Das WHOA folgt hier grundsätzlich der Regel des absoluten Vorrangs (absolute priority rule, APR), wonach die Verteilung nicht von der Rangfolge im Konkurs abweichen darf.56 Im WHOA finden sich aber interessante As-


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pekte, die auf ein Aufweichen der APR hin zu einer Regel des relativen Vorrangs (relative priority rule, RPR) hindeuten könnten.

Einerseits ist wie bereits angesprochen für gewöhnliche KMU-Gläubiger eine "Mindestquote" von 20 % vorgesehen. Hier diente den Mat folgend der Sanierungsplan laut IO als Vorbild.57 Anders als beim Sanierungsplan kann diese Quote aber aus schwerwiegendem Grund (zwaarwegende grond) auch unterschritten werden.58 Andererseits kann von der APR auch bei Vorliegen eines sonst angemessenen Grundes (redelijke grond) abgewichen werden, wenn die betroffenen Gläubiger oder Anteilsinhaber dadurch nicht in ihren Interessen beeinträchtigt werden.59 Ob dies wiederum auf Basis eines best-interest-tests (was ebenso in Richtung einer RPR deuten könnte) oder vielmehr auf Basis einer allgemeinen Angemessenheitsprüfung beurteilt wird, ist offen.

Im Kern geht es bei der APR/RPR-Diskussion va um die Zuteilung von Werten zu Anteilsinhabern oder die Besserbehandlung bestimmter Gläubiger, um die Restrukturierung uU erst zu ermöglichen oder den "Reorganisationswert" insgesamt zu erhöhen.60

Die Bestätigung kann schließlich versagt werden, wenn widersprechende Gläubiger einer ablehnenden Klasse nicht (auch) die Möglichkeit einer cash-out-Zahlung (basierend auf Liquidationswerten) angeboten bekommen.61

Ein gerichtlich bestätigter Restrukturierungsplan bindet alle vom Plan betroffenen (und daher auch widersprechende) Gläubiger und Anteilsinhaber.62

3.10. Internationale Anknüpfung

Beim öffentlichen WHOA erfolgen die internationale Anknüpfung und Anerkennung über die EuInsVO 2015 und den dort definierten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI). Das nicht-öffentliche WHOA fällt nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO 2015, dafür sind Schuldner auch nicht an die teils starren Vorgaben zum COMI gebunden.63 Für die internationale Zuständigkeit niederl Gerichte ausreichen soll hier vielmehr bereits ein ausreichender Zusammenhang mit den NL, der etwa durch den gewöhnlichen Aufenthalt des (eines) Antragstellers, in den NL befindliche wesentliche Assets des Schuldners oder die Zugehörigkeit zu einer (überwiegend) niederl Unternehmensgruppe gegeben sein kann.64 Dieses Prinzip der sufficient connection könnte den NL einiges an Flexibilität und Attraktivität als Restrukturierungs-Standort (insb bei der Restrukturierung internationaler Unternehmensgruppen)65 bringen. Ob die Anknüpfung so extensiv wie etwa beim US Chapter 11 mit der "dime dollar peppercorn"Doktrin66 oder beim englischen scheme of arrangement 67 ausgelegt wird, wird sich zeigen.

4. Die Niederlande als neuer Restrukturierungshub?

Internationale Beobachter bezeichnen das WHOA als gelungen. Es wird als flexibel, zielführend und im Vergleich zu ähnlichen Tools wie etwa dem US Chapter 11 auch als kostengünstig wahrgenommen. Um auch in der Justiz entsprechende Expertise sicherzustellen, werden überdies landesweit insgesamt elf spezialisierte "WHOA-Richter" und legal aids eingerichtet.68

Durch die flexible Anknüpfung insb beim nicht-öffentlichen WHOA könnten die NL daher tatsächlich ein neuer key player am internationalen Restrukturierungsmarkt werden und insb attraktiv für die gebündelte Restrukturierung von Unternehmensgruppen mit NL-Bezug sein.

Der Erfolg des WHOA wird aber auch davon abhängen, wie sich die Loskoppelung von der RIRL (und diesbezüglich ergehender Rsp) auf dessen Wahrnehmung und Anerkennung in anderen (Mitglied-)Staaten auswirkt. Hier wird auch zu beobachten sein, wie die niederl Restrukturierungspraxis mit einer möglichen Zweigleisigkeit umgehen würde, die durch eine in Umsetzung der RIRL angedachte Anpassung der surseance van betaling bewirkt werden könnte.


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5. Conclusio

Der Blick über die Grenze zeigt, dass im europäischen Restrukturierungs- und Insolvenzrecht einiges in Bewegung ist. Mit dem WHOA steht in den NL ein modernes Restrukturierungstool in den Startlöchern, das mit Aspekten wie einem fair zu verteilenden "Reorganisationswert" und einer uU aufgeweichten Regel des absoluten Vorrangs auch zu überraschen weiß. Es bleibt spannend!

1

RL (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl L 2019/172, 18.


2

Der Codice della crisi d’impresa e dell’insolvenza in attuazione della legge 19 ottobre 2017, n. 155 sollte als Umsetzung der RIRL bereits im August 2020 in Kraft treten, aufgrund von COVID-19 hat sich das Inkrafttreten aber verzögert. Das nicht mehr in der EU befindliche Vereinigte Königreich hat mit dem neuen Corporate Insolvency and Governance Act 2020 angelehnt an die RIRL bereits einen neuen Reconstruction Plan eingeführt.


3

Die Umsetzungsarbeiten wurden zwar durch COVID-19 verzögert, über die Grenze wird Österreich (gemeinsam mit den NL) bei der RL-Umsetzung aber als einer der Vorreiter wahrgenommen (s etwa Haarmeyer/Niebler, Forderung nach schneller Umsetzung des neuen Rechts für deutsche Unternehmer als Rettung gegen Corona-Krise, ZInsO 2020, 973; Garber, Präventive Restrukturierung: Nachbar Niederlande als Vorbild, ZInsO 2020, 830.


4

Garber, ZinsO 2020, 830.


5

Siehe Website des Parlaments eerstekamer.nl/wetsvoorstel/35249_wet_homologatie_onderhands (abgefragt 6. 8. 2020) sowie die Mat zum WHOA, Handelingen II, 2019/20, Nr 74, Pos 17.


6

Dazu etwa Sax/Swierczok, Das englische Scheme of Arrangement - ein taugliches Sanierungsinstrument für deutsche Unternehmen, ZIP 2016, 1945.


7

Das Gesetz liegt nun bei der Ersten Kammer des niederl Parlaments, dem "Senat", dem aber keine wesentlichen Änderungsmöglichkeiten mehr zukommen, sondern der den Entwurf im Wesentlichen nur zur Gänze annehmen oder ablehnen kann. Eine positive Abstimmung im Senat wäre schon im Herbst 2020 möglich.


8

Madaus betont im Interview mit INDat (abgedruckt INDat Report 5/2020, 44 ff) etwa: "WHOA kann die Niederlande attraktiv machen"; internationale Anwaltskanzleien sprechen von "The birth of a new Titan?" (s Allen/Overy, WHOA The new Dutch scheme, allenovery.com/en-gb/global/news-and-insights/publications/whoa--the-new-dutch-scheme [abgefragt 6. 8. 2020]); s auch Lawson, New Dutch scheme hailed as "perfect", globalrestructuringreview.com/new-dutch-scheme-bill-hailed-perfect [abgefragt 6. 8. 2020]).


9

Behandelt wird der Stand des Gesetzwerdungsprozesses zum WHOA per 1. 7. 2020. Angesprochen werden nur die aus Sicht der Autoren für die Praxis relevantesten Aspekte (ebenso spannende Regelungen wie etwa zur Behandlung von Unternehmensgruppen, ipso facto-Klauseln, Freilassung Dritter oder Zwischen- und Neufinanzierungen werden aus Platzgründen ausgelassen).


10

Für einen Überblick s etwa Mohr, Die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz - ein kurzer Gesamtüberblick, ZIK 2019/115, 86.


11

Die Ursprungsfassung des Gesetzes stammt vom 1. 9. 1896, jedoch gab es seitdem zahlreiche Novellierungen (s mehr dazu in Wessels, Insolventierecht, Faillietverklaring I5 [2019] RN 1051-1053c).


12

Art 214 ff Faillissementswet.


13

Art 1 ff Faillissementswet.


14

Art 214 Faillissementswet.


15

Art 214 Abs 1 Faillissementswet ("De schuldenaar die voorziet, dat hij met het betalen van zijn opeisbare schulden niet zal kunnen voortgaan").


16

Art 230 Abs 1, Art 231 und 241a Faillissementswet.


17

Doppeltes Mehrheitserfordernis ähnlich wie beim Sanierungsplan laut IO.


18

Art 252 ff Faillissementswet.


19

Art 1 Abs 1 und Art 6 Abs 3 Faillissementswet ("De schuldenaar, die in de toestand verkeert dat hij heeft opgehouden te betalen").


20

Aktuell ist beim Senat ein Gesetzesvorschlag anhängig, mit dem ein Rahmen für pre-pack-Lösungen geschaffen werden soll (Wet Continuïteit Ondernemingen I; s eerstekamer.nl/wetsvoorstel/34218_wet_continuiteit [abgefragt 6. 8. 2020]).


21

Art 138 ff Faillissementswet


22

Der erste Gesetzesentwurf stammt aus 2014. Updates und inoffizielle englische Übersetzungen werden von diversen Anwaltskanzleien angeboten, s etwa De Brauw/Blackstone/Westbroek, New Dutch scheme: the Act on Court Confirmation of Extrajudicial Restructuring Plans, debrauw.com/cerp/ (abgefragt 6. 8. 2020).


23

Kamerstukken II 2018/19, 35 249, Nr 3, 4 (Erläuterndes Memorandum zum WHOA) sowie Kamerstukken II 2018/19, 33 695, Nr 18, 3. Einen Vergleich zwischen WHOA und surseance van betaling im Lichte der RIRL bietet Boon, Mapping Preventive Restructuring Frameworks and the EU Preventive Restructuring Directive for the JCOERE Project, Country Report The Netherlands, JCOERE Project, ucc.ie/en/media/projectsandcentres/jcoereproject/bannerimages/TheNetherlands_FINAL_PDF.pdf (abgefragt 6. 8. 2020).


24

VO (EU) 848/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 2015 über Insolvenzverfahren, ABl L 2015/141, 19.


25

Erläuterndes Memorandum zum WHOA, Kamerstukken II 2018/19, 35 249, Nr 3, 7.


26

Art 377 Abs 1 WHOA.


27

Art 370 Abs 1 WHOA.


28

Art 371 Abs 1 und 3 WHOA.


29

Außer bei KMU ist theoretisch aber auch ein Plan gegen den Willen des Schuldners möglich (Art 381 Abs 2 und Art 383 Abs 2 WHOA).


30

Art 376 Abs 9 und Art 383 Abs 4 WHOA.


31

Art 383 und 384 WHOA.


32

Art 376 WHOA.


33

Art 378 WHOA. Gläubiger und Anteilsinhaber haben diese Möglichkeit nicht (s aber unten Pkt 3.9.).


34

Art 369 Abs 1 WHOA. Ebenso ausgeschlossen sind Banken und Versicherungen.


35

Art 370 Abs 1 WHOA ("schuldenaar verkeert in een toestand waarin het redelijkerwijs aannemelijk is dat hij met het betalen van zijn schulden niet zal kunnen voortgaan"). Die Mat zum WHOA nennen hier zB den Fall, dass in den kommenden sechs bis zwölf Monaten fällige Kredite ohne Restrukturierung nicht zurückgezahlt werden können (Erläuterndes Memorandum zum WHOA, Kamerstukken II 2018/19, 35 249, Nr 3, 33-34).


36

Art 370 Abs 3 WHOA.


37

Oder einem bestellten Restrukturierungsexperten.


38

Art 376 WHOA. Im Falle der Nichtvorlage kann das Moratorium vom Gericht wieder aufgehoben werden.


39

Art 376 Abs 2 und 5 WHOA.


40

Art 375 WHOA.


41

Art 370 Abs 1 WHOA.


42

Sind Gläubiger teilweise besichert, können sie auch in verschiedene Klassen fallen.


43

Art 374 Abs 1 WHOA.


44

Art 374 Abs 2 und Art 375 Abs 2 lit f WHOA.


45

Art 370 Abs 5 WHOA. Hindern Anteilsinhaber die Geschäftsleitung daran, einem etwa vom Restrukturierungsexperten vorgelegten Plan zuzustimmen, kann dies gem Art 378 Abs 1 lit g WHOA vorab auch dem Gericht zur Klärung vorgelegt werden.


46

Aufgrund des unten in Pkt 3.9.1. Gesagten muss dies aber nicht zwingend eine Zerschlagung, sondern kann auch einen going-concern Wert im Rahmen einer übertragenden Sanierung bedeuten.


47

Art 374 Abs 3 WHOA.


48

Art 381 Abs 6 WHOA.


49

Art 381 Abs 7 und 8 WHOA.


50

Art 383 Abs 1 WHOA.


51

Dazu auch Gassner/Wabl, Die neue EU-Restrukturierungsrichtlinie, ecolex 2019, 333 (335 f).


52

Art 383 Abs 9 iVm Art 378 WHOA.


53

Art 384 Abs 2 WHOA, weitestgehend angelehnt an Art 10 RIRL.


54

Art 384 Abs 3 WHOA. Dieser Test scheint angelehnt an das Kriterium des Gläubigerinteresses iS von Art 2 Abs 1 lit 6 RIRL, wobei das WHOA auf die Bezugnahme auf ein "nächstbestes Alternativszenario" neben dem Liquidationsszenario verzichtet (in Österreich wird überlegt, den Sanierungsplan als ein solches Alternativszenario zu sehen, s Jurgutyte-Ruez/Urthaler, Der Präventive Restrukturierungsrahmen in der Restrukturierungs-RL, ZIK 2019/116, 91 [99]).


55

Erläuterndes Memorandum zum WHOA, Kamerstukken II 2018/19, 35 249, Nr 3, 50 ff.


56

Demnach darf etwa ein nachrangiger Gläubiger erst dann Zahlung erhalten, wenn alle vorrangigen Gläubiger voll befriedigt wurden. Diesem Modell folgt dem Prinzip nach auch die IO (s nur § 57a IO).


57

Kamerstukken II 2019/20, 35 249, Nr 10.


58

Art 384 Abs 4 lit a WHOA; s auch Kamerstukken II 2019/20, 35 249, Nr 23.


59

Art 384 Abs 4 lit b WHOA.


60

Madaus bezeichnet das im WHOA gewählte Modell etwa als "relaxte absolute Vorrangregel" (INDat Report 5/2020, 44 [45]); der neue englische Reconstruction Plan verzichtet sogar gänzlich auf eine gerichtliche Prüfung einer APR/RPR, Madaus, The new UK Reconstruction Plan - No APR? No Problem! stephanmadaus.de/2020/06/24/the-new-uk-reconstruction-plan-no-apr-no-problem/ (abgefragt 6. 8. 2020). Diese Entwicklung wird aber auch kritisch gesehen ("relative Vorrangregel […] nicht nur untauglich, sondern brandgefährlich!"), so Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, tax-legal-excellence.com/die-relative-vorrangregel-aus-art-11-1-c-der-insolvenzrichtlinie-nicht-nur-untauglich-sondern-brandgefaehrlich/ (abgefragt 6. 8. 2020); s zur Diskussion auch Gassner/Wabl, ecolex 2019, 333 (335 f mwN).


61

Art 384 Abs 4 lit c WHOA. Dieses cash-out-Erfordernis gilt jedoch nicht für besicherte, das schuldnerische Unternehmen finanzierende Gläubiger, denen Anteile/Zertifikate angeboten werden (auch diesen muss aber eine Alternative wie etwa eine Verlängerung der Zahlungsfrist angeboten werden, Art 384 Abs 4 lit d WHOA).


62

Art 385 WHOA.


63

Für eine automatische Anerkennung eines nicht-öffentlichen WHOA innerhalb der EU müsste dieses in den Anwendungsbereich der VO (EU) 1215/2012 (EuGVVO 2012) fallen. Diese Frage wird aber in den NL bis dato noch nicht einheitlich beantwortet.


64

Art 3 Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering.


65

Dazu auch Art 372 WHOA.


66

Nach dem US Bankruptcy Code reicht für die internationale Zuständigkeit bereits "property in the United States", was von amerikanischen Gerichten zumal schon derart ausgelegt wird, dass es auf keine Wesentlichkeitsschwelle ankomme, sondern bereits ein Bankkonto bzw überspitzt gesagt auch ein "Pfefferkorn" ausreiche (s etwa das US Bankruptcy Court, W.D. New York in In re McTague, 198 BR 428, 432 [Bankr WDNY 1996]).


67

Englische Gerichte gehen regelmäßig bereits dann von einer für ihre internationale Zuständigkeit ausreichenden sufficient connection aus, wenn Kreditverbindlichkeiten (auch durch nachträgliche Rechtswahl) englischem Recht unterliegen (s dazu Sax/Swierczok, Sanierungsverfahren in sonstigen Rechtsordnungen: Großbritannien, in Flöther, Sanierungsrecht [2019] 333 [346 mwN]).


68

Erläuterndes Memorandum zum WHOA, Kamerstukken II 2018/19, 35 249, Nr 3, 20.


Artikel-Nr.
ZIK 2020/173

15.09.2020
Heft 4/2020
Autor/in
Georg Wabl

Dr. Georg Wabl, LL.M. (London), ist Partner bei BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien mit Schwerpunkt Restrukturierung, Insolvenzrecht und insolvenznahem Gesellschaftsrecht. Er lehrt an der niederländischen Leiden University zu internationalem Insolvenzrecht, ist gefragter Vortragender und publiziert laufend zu einschlägigen Themen.

Gert-Jan Boon

Gert-Jan Boon, LL.M (Leiden), MSc (Amsterdam) ist Doktorand und Lektor an der Leiden Law School, Universiteit Leiden (Niederlande), wo er auch einen LL.M. in Unternehmensrecht absolvierte. Davor studierte er an der Vrije Universiteit Amsterdam (MSc in Marketing). Er ist weiters seit 2014 Mitglied des European Law Institute (ELI) Projektteams für eine europaweite Studie zum Thema „Rescue of Business in Insolvency Law“ sowie Teil des Vorstands des INSOL Europe Younger Academics Network of Insolvency Law (YANIL).

Aktuelle Publikationen:
Boon, New Arrivals in EU Restructuring Law: the DIP and the PIFOR, ICR (in Druck); ELI (Part I), Wessels/Madaus/Boon (Part II), Rescue of Business in Europe (2020) 355; Ehmke/Gant/Boon/Langkjaer/Ghio, The EU Preventive Restructuring Framework: a hole in one? IIR 2019 Vol 28/2, 184; Wessels/Boon, Soft law instruments in restructuring and insolvency law: exploring its rise and impact, TvOB 2019/2, 53.