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Anmerkungen zu OGH 6 Ob 64/20k1
Ob und inwieweit in GmbH-Gesellschaftsverträgen Aufgriffsrechte für den Fall der Insolvenz eines Gesellschafters vorgesehen werden können, ist seit Langem stark umstritten und wurde in der Rechtsprechung bisher uneinheitlich beantwortet. Der OGH hat nunmehr eine Grundsatzentscheidung gefällt und die Streitfragen geklärt: Aufgriffsrechte sind zulässig, dürfen die Gesellschaftergläubiger aber nicht schlechter stellen als den Gesellschafter.
Gesellschafter haben zuweilen ein Interesse daran, unter sich zu bleiben, wobei die Bandbreite von der auf unkomplizierten Aktionärswechsel ausgelegten börsennotierten AG bis zu den Mitgliedern einer Streichquartett-GesbR reicht, denen natürlich nicht gleichgültig ist, wer die erste Geige spielt.2 Dazwischen liegt die personalistisch ausgestaltete GmbH, deren Gesellschafter aus unterschiedlichen Gründen Wert auf die personelle Zusammensetzung legen (zB Bonität, Expertise, verfolgte Interessen, interne Machtverhältnisse).3 Unkontrollierten Gesellschafterwechseln soll daher oftmals vorgebeugt werden, wofür sich einerseits Vinkulierungsklauseln anbieten, die die Veräußerung des Geschäftsanteils von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig machen (§ 76 Abs 2 GmbHG). Andererseits haben sich in der Praxis Aufgriffsrechte etabliert, die in bestimmten Fällen - etwa bei Veräußerungsabsicht oder Tod eines Gesellschafters - den Erwerb des Geschäftsanteils durch die Mitgesellschafter ermöglichen.4
Besonders groß ist, was Ulmer als die Gefahr einer Überfremdung bezeichnet,5 wenn ein Gesellschafter insolvent wird. Bekanntlich verliert der Gesellschafter mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nämlich die freie Verfügung über sein exekutionsunterworfenes Vermögen (§ 2 Abs 2 IO), das als Masse nunmehr durch den Insolvenzverwalter vertreten wird. Kurzfristig droht damit das Eindringen des Verwalters in die Gesellschaft, langfristig - nach Verwertung des Geschäftsanteils - das Eindringen eines Dritten. Beides wird meist als unerfreulich empfunden, weshalb die Insolvenz regelmäßig als Aufgriffsfall vereinbart wird.6 Gesellschaftsrechtlich ist das nachvollziehbar, aus insolvenzrechtlicher Perspektive werfen solche Gestaltungen aber seit jeher Bedenken auf. Um die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung sicherzustellen, soll das Auf- und Herausgreifen von Vermögenswerten aus der Masse ja grundsätzlich nicht möglich sein. Diese allgemeine Skepsis verdichtet sich, wenn - wie üblich - Preisabschläge vorgesehen werden, wonach die Aufgreifenden etwa nur einen Bruchteil des Verkehrswerts des Geschäftsanteils an die Masse zu bezahlen haben (zB Buchwertklauseln).
Vor dem Hintergrund dieser widerstreitenden Interessen sind Zulässigkeit und Reichweite von Aufgriffsklauseln für den Fall der GmbH-Gesellschafterinsolvenz geradezu zwangsläufig stark umstritten. Die Diskussion verläuft durchaus auch entlang der Fächergrenzen, weil die Berücksichtigung der Gesellschafterinteressen den Gesellschaftsrechtlern, jene der Gläubigerinteressen den Insolvenzrechtlern näherliegen dürfte. Sie trägt insofern Züge einer Glaubensfrage, was durch die spärlich positivierten Anhaltspunkte noch begünstigt wird. Anders als das Personengesellschaftsrecht (§ 1208 Z 3, § 1214 ABGB; § 131 Z 5, §§ 141, 161 Abs 2 UGB) regelt das GmbHG nämlich weder Aufgriffsrechte noch die Insolvenz eines Gesellschafters ausdrücklich. Fest steht lediglich, dass der frei veräußerliche (§ 76 Abs 1 GmbHG) und pfändbare (§§ 331 ff EO)7 Geschäftsanteil in die Masse fällt und von der Insolvenz daher zunächst unberührt bleibt.8 Bislang unklar war aber die Rolle einer Reihe insolvenz-, gesellschafts- und allgemein zivilrechtlicher Normen, die Aufgriffsrechten entgegenstehen oder Grenzen setzen könnten: §§ 21, 26 Abs 3 IO über die abgeschwächte Bindung des Insolvenzverwalters an rechtsgeschäftliche Handlungen des Schuldners; §§ 25a, 25b IO über die eingeschränkte Zulässigkeit insolvenzbedingter Lö-
sungsklauseln; § 76 Abs 4 GmbHG über die exekutive Verwertung vinkulierter Geschäftsanteile; § 879 Abs 1 ABGB über sittenwidrige Vereinbarungen.
Dabei korrespondiert nicht nur die Fülle an einschlägiger Literatur mit der praktischen Bedeutung des Problems, vielmehr hat auch die ober- und oberstgerichtliche Rechtsprechung wiederholt Stellung bezogen, manches klargestellt, manches aber auch offengelassen. Paradigmatisch dafür ist eine rezente und unbekämpft gebliebene Entscheidung des OLG Linz,9 die Aufgriffsrechten aus insolvenzrechtlichen Gründen (§ 26 Abs 3 IO) jegliche Wirkung absprach und die Diskussion damit wieder in Schwung brachte. In der Lehre wurde die Entscheidung nämlich einhellig abgelehnt.10
Nunmehr - ein Jahr später - hat sich dem OGH die Möglichkeit zur Prüfung der Linie des OLG Linz geboten. Dieses hatte unter Verweis auf seine vorangegangene Entscheidung die Eintragung der Änderung eines GmbH-Gesellschaftsvertrags in das Firmenbuch abgelehnt, wonach bei Insolvenz eines Gesellschafters ein Aufgriffsrecht der übrigen Gesellschafter bestehen sollte; der Kaufpreis sollte unter Vornahme eines Abschlags von 20 % vom begutachteten (wohl Verkehrs-)Wert ermittelt werden. Im Ergebnis, nicht aber in der Begründung, wurde das durch den 6. Senat bestätigt. Der Fall gab dabei den Anlass für eine eingehende Auseinandersetzung mit den offenen Fragen unter umfassender Berücksichtigung von Lehre und Vorjudikatur.
Insolvenzrechtlichen Sonderbestimmungen misst der OGH zunächst weniger Bedeutung bei als das OLG Linz: Die §§ 25a, 25b IO seien - entgegen einiger Stimmen in der Lehre - nicht auf mehrseitige Verträge anwendbar, weshalb ein Anknüpfen an die Insolvenzeröffnung im Gesellschaftsvertrag nicht schlechthin ausscheide. § 25a IO verbiete die Auflösung von Verträgen nämlich bei Gefährdung der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens; wer den Geschäftsanteil des Insolventen hält, sei für die Fortführung eines von diesem abseits der GmbH betriebenen Unternehmens aber irrelevant. Auch § 26 Abs 3 IO über die Unwirksamkeit noch nicht angenommener Anträge des Schuldners sei nicht einschlägig, weil "das Aufgriffsrecht nicht im Sinn eines ‚Rosinenpickens‘ isoliert betrachtet werden sollte", sondern im Gesamtzusammenhang des Geschäftsanteils als "Summe von Rechten und Pflichten des Gesellschafters" zu sehen sei.
Aufgriffsrechten stehe in der Insolvenz also kein grundsätzliches Hindernis entgegen. Die Abwägung mit den Gläubigerinteressen erfolge vielmehr über den Preis, weil es nur in den von § 879 ABGB gezogenen Grenzen zutreffe, "dass die Gläubiger das mit Insolvenzbeschlag belegte Vermögen in dem Zustand hinnehmen, in dem es in der Person des Schuldners besteht". Eine Abfindungsbeschränkung unter den Verkehrswert sei in Exekution und Insolvenz daher nur zulässig, "wenn sie nicht nur in diesen Fällen greift, sondern eine entsprechende Reduktion des Abfindungsanspruchs für jede Konstellation des freiwilligen (insb der Anteilsübertragung) und des unfreiwilligen Ausscheidens des Gesellschafters vereinbart wird". Da der konkret vorgesehene Abschlag von 20 % nicht in allen Aufgriffsfällen gelten sollte, sei die Eintragung in das Firmenbuch zutreffend verweigert worden.
Aufgriffsrechte sind also insolvenzfest, solange der Preis in der Insolvenz nicht niedriger ist als in anderen Fällen. Zu diesem Ergebnis gelangt der 6. Senat in einer zweifellos richtungsweisenden Grundsatzentscheidung, die in den wesentlichen Punkten "endlich Klarheit"11 schafft. Ließ sich zum von Rechtsprechung und Lehre außergewöhnlich intensiv bearbeiteten Thema schon zuvor kaum mehr etwas ergänzen, gilt das nun umso mehr: Die Argumente lagen auf dem Tisch, der OGH hat sie gegeneinander abgewogen und einen Markstein gesetzt, der durchaus gesellschafterfreundlich ist, die Gläubiger aber über den Preis berücksichtigt. Zwei Gesichtspunkte sollen hier in einen größeren Zusammenhang gestellt werden.
Wie stark der OGH den Gesellschaftern entgegenkommt, wird erst bei einer näheren Betrachtung vollends deutlich, die bei der Natur des Aufgriffsrechts ansetzt. Schon das ist keine leichte Aufgabe, weil die gesellschafts- und schuldrechtlichen Grundlagen von Aufgriffsrechten unsicher sind. "Das Aufgriffsrecht" gibt es nicht, vielmehr werden darunter verschiedene Gestaltungsformen verstanden. Die Rede ist etwa von Vorkaufsrechten (§§ 1072 ff ABGB), vorkaufsrechtsähnlichen Konstruktionen, Optionen, Vorhand, Übernahmerechten, Vorerwerbs- und Erwerbsvorrechten.12 Welche Unterschiede sich aus der Differenzierung ergeben, wird nicht immer deutlich, zumal über die angestrebte Wirkung weitgehend Einigkeit bestehen dürfte: Durch Ausübung eines Gestaltungsrechts sollen die Berechtigten die Verpflichtung des Gesellschafters herbeiführen können, seinen Geschäftsanteil zu den festgesetzten Bedingungen zu übertragen.13 Die
Verpflichtung kann etwa in Form eines durch den Aufgriff zustande kommenden Kaufvertrags entstehen.14
In dieser Konstruktion wurzelt der nunmehr beigelegte Streit über die Anwendbarkeit von § 26 Abs 3 IO, die damit zu begründen versucht wurde, dass die Einräumung eines Aufgriffsrechts das - mit Insolvenzeröffnung nach § 26 Abs 3 IO wegfallende - Angebot auf Abschluss eines Erwerbsvertrags sei.15 Der OGH hat das wie erwähnt abgelehnt, was Zustimmung verdient. Während sich eine klassische zivilrechtliche Offerte, mit der der Schuldner einem Dritten etwa den Verkauf einer Liegenschaft oder die Erbringung einer Dienstleistung angeboten hat, vor Annahme "noch nicht zu einem Vertrag verdichtet hatte" und der ersatzlose (kein Schadenersatz!) Entfall daher gerechtfertigt ist,16 besteht das Aufgriffsrecht ja schon aufgrund eines Vertrags. § 26 Abs 3 IO bewirkte also nicht nur den Wegfall eines Angebots, sondern den Wegfall eines bereits vertraglich eingeräumten Rechts. Das haben zuletzt überzeugend Schopper/Walch herausgearbeitet,17 die auch die Nähe zu klassischen Vor- und Wiederkaufsrechten betonen, die in der Insolvenz des Verpflichteten ebenfalls nicht nach § 26 Abs 3 IO entfallen.18 Ein Herauspicken belastender Verpflichtungen aus einem bestehenden Vertrag "nach Art der Rosinentheorie" soll gerade nicht möglich sein.19
Wie auf Vor- und Wiederkaufsrechte ist § 26 Abs 3 IO auf Aufgriffsrechte also nicht anwendbar, was sich aus allgemeinen Grundsätzen ergibt. Die Ausübung ist daher auch in der Insolvenz des Verpflichteten möglich.20 Aus allgemeinen Grundsätzen ergibt sich freilich gleichzeitig, dass der nach Ausübung des Vor- oder Wiederkaufsrechts zustande kommende und noch beidseitig unerfüllte Vertrag § 21 IO unterliegt, weshalb der Verwalter ein Wahlrecht hat.21 Er kann die Option gegen sich gelten lassen und den herbeigeführten Vertrag erfüllen oder davon zurücktreten. Wählt er den Rücktritt, haftet die Masse dem anderen Teil nach § 21 Abs 2 IO auf das Erfüllungsinteresse (Insolvenzforderung). Eine Aussonderung der Vor- bzw Wiederkaufssache ermöglichen Vor- und Wiederkaufsrechte also nicht.
Bei gesellschaftsvertraglichen Aufgriffsrechten ist das nun anders, sie können zu einem aussondernden Aufgriff führen.22 Das geht aus der Entscheidung des 6. Senats, die keinen konkreten Aufgriffsfall, sondern die grundsätzliche Zulässigkeit der Vereinbarung aus Sicht des Firmenbuchgerichts betraf, zwar nicht ausdrücklich hervor, ergibt sich daraus aber implizit.23 Ein Erfüllungswahlrecht des Verwalters würde die Bemühungen um den Schutz der Gesellschafter vor dem Eindringen Dritter ja zunichtemachen, weil die Gesellschafter erst recht dem Verwalter ausgeliefert wären.
Zur Begründung weisen Schopper/Walch darauf hin, dass § 21 IO auf Aufgriffsrechte nicht anwendbar sei, weil es sich nicht um synallagmatische Verträge handle.24 Das überzeugt zwar mit Blick auf die Einräumung des Aufgriffsrechts im Gesellschaftsvertrag, der anerkanntermaßen nicht von § 21 IO erfasst wird.25 Für die Lage nach Ausübung des Aufgriffsrechts lässt sich daraus aber nur bedingt etwas gewinnen, was zu den Unsicherheiten über dessen Natur zurückführt. Kommt durch die Ausübung nämlich ein Kaufvertrag (Geschäftsanteil gegen Aufgriffspreis) zustande, liegt dahin gehend natürlich ein synallagmatisches Verhältnis vor, weshalb § 21 IO - wie auch sonst beim Kauf von Geschäftsanteilen26 - nach allgemeinen Regeln umstandslos einschlägig wäre. Selbst bei einem anderen Verständnis der herbeigeführten Übertragungspflicht wird man nur schwer darüber hinwegsehen können, dass sich Geschäftsanteil und Aufgriffspreis letztlich synallagmatisch gegenüberstehen.27 Je schuldrechtlicher die Konstruktion dabei wird, desto näher liegt das Wahlrecht. Dass § 21 IO den Aufgriff nicht verhindern kann, lässt sich durch einen Verweis auf die Unanwendbarkeit auf Gesellschaftsverträge mithin nicht ohne Weiteres begründen.
Die Anerkennung einer Aussonderung durch Aufgriff (Zug um Zug gegen Zahlung des Preises) impliziert vielmehr eine Art gesellschaftsrechtlicher Verstärkung der entstehenden Forderung, was sich anhand des dt Rechts veranschaulichen lässt. Dort wird die parallele Diskussion zum Schutz vor Überfremdung im Insolvenzfall weitgehend nicht anlässlich vereinbarter Erwerbsrechte, sondern iZm § 34 dGmbHG über die Einziehung von Geschäftsanteilen geführt.28 Danach bewirkt ein Einziehungsbeschluss der
Gesellschafter den Wegfall des Geschäftsanteils, an dessen Stelle ein Anspruch auf Entgelt tritt.29 In diesem genuin gesellschaftsrechtlichen Verhältnis spielt § 103 InsO als das Pendant zu § 21 IO nachvollziehbarerweise keine Rolle.30
Österr Aufgriffsrechte sind demgegenüber "rechtsgeschäftlicher" ausgestaltet. Das lässt sich mE auch nicht durch den häufigen Hinweis auf das Wesen des Geschäftsanteils bestreiten, der erst durch den Gesellschaftsvertrag geschaffen werde und daher in der konkreten Ausgestaltung hinzunehmen sei.31 Ob eine auf den Geschäftsanteil gerichtete Forderung insolvenzfest ausgestaltet werden kann, wofür auch und gerade das Insolvenzrecht eine Rolle spielt, wird dadurch nämlich nicht beantwortet.32 Die nunmehr feststehende Durchsetzbarkeit von Aufgriffsrechten ist daher weniger eine konstruktive Selbstverständlichkeit als ein - in der Sache nachvollziehbares - Zugeständnis an das Interesse der Gesellschafter, unter sich zu bleiben. Im Ergebnis wirkt sich das zwar nicht aus, allerdings wird deutlich, wo die Begründungslast für den Aufgriff liegt: Das Insolvenzrecht hat nicht die Unzulässigkeit, sondern das Gesellschaftsrecht die Zulässigkeit nachzuweisen. Aus Sicht des OGH ist das freilich gelungen.
Dass die Gestaltbarkeit des Geschäftsanteils natürlich Grenzen hat, zeigen im Übrigen gerade die Ausführungen des OGH zum Aufgriffspreis, die sich vor allem an Trenker 33 und Schopper/Walch 34 orientieren: Der Geschäftsanteil existiere im Vermögen des Gesellschafters nur in der konkreten Ausformung und könne daher auch nur insoweit Verwertungsobjekt sein. Allerdings sei es sittenwidrig (§ 879 Abs 1 ABGB), für Exekution und Insolvenz einen niedrigeren Preis festzulegen als in anderen Aufgriffsfällen.
Damit positioniert sich der Gerichtshof gleichsam in der Mitte des breiten Meinungsspektrums, das vom Standpunkt, die Gläubiger müssten nachteilige Vermögensdispositionen ihres Schuldners in den Grenzen des Anfechtungsrechts (§§ 27 ff IO, AnfO) eben hinnehmen,35 bis zum Hinweis reicht, wie der Schuldner in anderen Aufgriffsfällen ausgestiegen wäre, betreffe die Gläubiger nicht, weshalb diesen immer der Verkehrswert zustehe.36 Dass beide Extrempole prima facie etwas für sich haben, unterstreicht die Schwierigkeit des Problems. Durch einen Verweis auf das Anfechtungsrecht lässt es sich bei näherer Betrachtung aber nicht lösen, weil dieses keine völlig abschließende Wertung bildet. In nicht mit den Anfechtungstatbeständen vergleichbaren Fällen kann die Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen vielmehr nach § 879 Abs 1 ABGB zur Nichtigkeit führen,37 was für insolvenzbedingte Aufgriffsrechte schon deshalb gilt, weil die anfechtungsrechtlich erforderliche zeitliche Nähe der Vereinbarung zur Insolvenzeröffnung nichts über die Bedenklichkeit des auf die Insolvenz zugeschnittenen Inhalts aussagt.38 Mit dem OGH ist die Insolvenzanfechtung folglich "kein geeignetes Korrektiv", weshalb die Heranziehung von § 879 ABGB konsequent ist.39
Dabei hat Bollenberger aus der Rechtsprechung den Grundsatz abgeleitet, dass zur Gläubigerbenachteiligung "noch ein weiteres, belastendes Element hinzukommen [muss], um die Nichtigkeit zu rechtfertigen, zB die Verletzung öffentlicher Interessen durch Unterlaufen der IO".40 Die vorliegende Entscheidung liegt durchaus auf dieser Linie, weil sie Preisabschläge "nur" dann missbilligt, wenn diese den Gesellschafter selbst nicht berühren und insofern (auch oder ausschließlich) auf die Insolvenz abzielen. Entsprechend teuer müssen gläubigerbenachteiligende Abschläge künftig erkauft werden, was das Problem entschärft und die Richtigkeitsgewähr erhöht. Es liegt ja nahe, dass ein Gesellschafter seinen Geschäftsanteil nicht entwerten wird, wenn ihn die Entwertung persönlich treffen kann. Die Vermutung dürfte zwar etwas zu kurz greifen, zumal bereits damit gerechnet wird, "dass die Praxis mit einem moderateren generellen Abschlag reagieren wird, zum Beispiel in Höhe von zehn Prozent".41 Zumindest ist aber sichergestellt, dass das zwangsläufig aus dem Abschirmungsinteresse folgende und als solches nicht zu beanstandende Anliegen der Finanzierbarkeit des Aufgriffs den Preis nicht weiter als notwendig drückt. Die Koppelung der Gläubiger an die Eigeninteressen des Gesellschafters führt dementsprechend zu ihrer ernsthaften Berücksichtigung im Rahmen des Vertragsabschlusses.
Auch dieser neue Maßstab des OGH verhindert indes nicht, dass der Gesellschafter letztlich mehr von seinem Geschäftsanteil haben kann als die Gläubiger. Wer eine GmbH gründet oder einer bestehenden Gesellschaft beitritt, muss den Anteil etwa nicht primär als verwertbares Vermögensobjekt betrachten, son-
dern kann bloß die Teilnahme am laufenden Gewinn im Blick haben. Preisabschläge für den Fall einer - nicht geplanten - Veräußerung lassen sich dann leicht hinnehmen, weil sie den Gesellschafter nur theoretisch betreffen. In der Insolvenz werden sie für die Gläubiger aber praktisch. Auf einen weiteren Vorteil, der sich aus der wechselseitigen Zustimmung zu Abschlägen ergibt, wurde im dt Diskurs hingewiesen. Dem Risiko, wenig Geld für den eigenen Anteil zu bekommen, steht - nur - für den Gesellschafter immerhin die Chance gegenüber, wenig Geld für einen fremden Anteil bezahlen zu müssen.42 Auf derartige Aspekte nimmt der Gerichtshof keine Rücksicht, sie werden sich bei der Sittenwidrigkeitsprüfung daher wohl nicht auswirken. Eine strengere Inhaltskontrolle wurde nämlich nur für Ausnahmefälle - etwa Schädigungsabsicht oder besonders große Abschläge - in Aussicht gestellt.43
Dass ein Zurückbleiben des Preises hinter dem tatsächlichen Wert für sich genommen keine hinreichende Verletzung des Interesses an bestmöglicher Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren begründet, war im Übrigen nicht unbedingt zu erwarten. Noch vor Kurzem hatte der OGH nämlich betont, "dass die Gläubigerbefriedigung den Interessen der Gesellschaft vorgeht und die Gläubiger jedenfalls den Schätzwert des Anteils erhalten sollen",44 was sich - im Anschluss an Kletečka 45 - aus § 76 Abs 4 GmbHG ergebe. Danach hat das Exekutionsgericht bei der Verwertung eines vinkulierten Geschäftsanteils den "Schätzungswert" des Anteils festzustellen.46 Die Gesellschaft hat daraufhin die Möglichkeit, einen Käufer zu benennen, der den Geschäftsanteil zum Schätzungswert übernimmt. Sonst kann der Anteil - trotz Vinkulierung - an einen beliebigen Dritten veräußert werden.
In der vorliegenden Entscheidung spielt § 76 Abs 4 GmbHG demgegenüber keine Rolle. Das könnte an den in der Lehre vorgebrachten Zweifeln an der Aussagekraft der Bestimmung liegen: Die Bezugnahme auf den Schätzungswert sei lediglich dem Umstand geschuldet, dass Vinkulierungsklauseln bloß ein Zustimmungsrecht verleihen und ein Abfindungspreis im Vorhinein daher naturgemäß nicht festgesetzt werde. Es handle sich folglich um keine bewusste Wertungsentscheidung des Gesetzgebers, sondern um ein dispositives "Zweifelsentgelt".47 Dem könnte man entgegenhalten, dass § 76 Abs 4 GmbHG selbst regelt, wann vom Schätzungswert abgewichen werden darf. Die Schätzung kann nämlich unterbleiben, "wenn zwischen dem betreibenden Gläubiger, dem Verpflichteten und der Gesellschaft eine Einigung über den Übernahmspreis zu stande kommt". Warum der betreibende Gläubiger einer Vereinbarung über den Preis im Vollstreckungsverfahren zustimmen muss, er an davor getroffene Vereinbarungen aber gebunden sein soll, wäre daher rechtfertigungsbedürftig. Durch einen Verweis auf das Wesen des in seiner konkreten Ausformung hinzunehmenden Geschäftsanteils gelänge das wiederum nicht, weil offenbliebe, ob vinkulierte Geschäftsanteile derart ausgeformt werden können. Mit Blick auf Aufgriffsrechte hat die Diskussion durch die nunmehrige, § 76 Abs 4 GmbHG nicht berücksichtigende Entscheidung freilich an Bedeutung verloren.
Wie auch immer man zu diesen - und zahlreichen weiteren, hier nicht behandelten - Fragen stehen mag: Die vorliegende Grundsatzentscheidung sorgt jedenfalls für klare Verhältnisse, auf die sich die Praxis einstellen kann. Der 6. Senat hat den vertraglichen Gestaltungsspielraum neu vermessen und Platz für insolvenzbedingte Aufgriffsrechte gelassen, die sich neben Vinkulierungen daher weiterhin zum Schutz vor Überfremdung anbieten. Die §§ 25a, 25b IO sind auf GmbH-Gesellschaftsverträge nämlich nicht anwendbar, § 26 Abs 3 IO lässt die bereits eingeräumten Rechte nicht entfallen, ein Rücktrittsrecht des Verwalters nach § 21 IO scheidet - nur, aber immerhin - implizit aus. Übrig bleibt die Inhaltskontrolle der Preisfestsetzung (§ 879 Abs 1 ABGB), wobei Abschläge zulässig sind, wenn sie ausnahmslos für alle Aufgriffsfälle gelten und die Gläubiger insofern nicht schlechter stehen als ihr Schuldner. Wo allfällige Grenzen dieses neuen Maßstabs liegen, ob und inwieweit also etwa auch besonders große, aber unterschiedslose Abschläge hingenommen werden müssen, wird sich freilich erst zeigen.
OGH 16. 9. 2020, 6 Ob 64/20k, in diesem Heft der ZIK 2020/293, 239.
Vgl Eckert, Insolvenz von Gesellschaftern, in Konecny, Insolvenz-Forum 2010 (2011) 59 (59).
ZB Reich-Rohrwig, Übertragung vinkulierter Anteile, ecolex 1994, 757 (757); I. Vonkilch, Immobilisierung von GmbH-Geschäftsanteilen durch Vorkaufsrechte? RdW 2019, 228 (230 f) mwN.
Etwa Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG2 (2018) § 76 Rz 32.
Ulmer, Die Sicherung der GmbH gegen das Überfremdungsrisiko in der Insolvenz eines Gesellschafters, ZHR 149 (1985) 28.
Umfahrer, Übertragung und Abfindung von GmbH-Anteilen, GesRZ 2010, 320 (322).
Oberhammer in Angst/Oberhammer, EO3 (2015) § 331 Rz 26 ff.
Statt vieler Weichselbaumer, Aufgriffsrechte für die GmbH-Gesellschafterinsolvenz (2016) 29 f mwN. Einzelne Versuche, das zu verhindern und den Geschäftsanteil durch Vereinbarung von vornherein an der Masse "vorbeizuschleusen", waren - genauso wie die entsprechenden erbrechtlichen Bemühungen, dazu Blümel, Der GmbH-Geschäftsanteil als zwingend vererblicher Vermögenswert, NZ 2019, 241; Wolkerstorfer, Erbfolge in den GmbH-Geschäftsanteil (2020) 112 ff, 303 f - nicht erfolgreich; vgl OGH 7. 8. 2008, 6 Ob 150/08i; Rauter in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 76 Rz 130 (Stand 1. 10. 2019, rdb.at) .
OLG Linz 27. 8. 2019, 6 R 95/19m.
Huemer/Haglmüller, "Aus" für das Aufgriffsrecht der Gesellschafter im Falle eines insolventen Mitgesellschafters? RdW 2019, 747; Schopper/Walch, Aufgriffsrechte in der Insolvenz eines GmbH-Gesellschafters, NZ 2019, 441; Schmidsberger/Chalupsky/Duursma, Unwirksamkeit von gesellschaftsvertraglichen Aufgriffsrechten im Falle der Insolvenz eines Gesellschafters? GES 2020, 3.
Huemer/Haglmüller, Aufgriff erlaubt - zum richtigen Preis, Der Standard 2020/46/01.
Einen Überblick bieten etwa Weichselbaumer, Aufgriffsrechte 67 ff; Rauter in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 76 Rz 129; Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG2 § 76 Rz 32.
Rauter in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 76 Rz 129; Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG2 § 76 Rz 32.
Rauter in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 76 Rz 129.
Vgl die Nachweise in Pkt 3.1.-3.4. der Entscheidung.
Perner in Koller/Lovrek/Spitzer, IO (2019) § 26 Rz 17; vgl auch Riss, Die Abschwächung der Vertragstreue in der Insolvenz, in FS Fenyves (2013) 957 (963 ff, 971 f).
Schopper/Walch, NZ 2019, 441 (447 f), auch zur Frage der Entgeltlichkeit.
RIS-Justiz RS0064545; Kletečka, Aufgriffsrechte, Optionsrechte und Anbote im Konkurs, GesRZ 2009, 82 (83 ff); Perner in KLS, IO § 21 Rz 10; Schopper/Walch, NZ 2019, 441 (447 f); teilweise aA Widhalm-Budak in Konecny, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen (57. Lfg; 2017) § 21 IO Rz 100 ff, 121 ff.
Kletečka, GesRZ 2009, 82 (84); vgl auch Huemer/Haglmüller, RdW 2019, 747 (748); Rüffler, Zweifelsfragen zu gesellschaftsvertraglichen Aufgriffsrechten für den Fall des Konkurses eines GmbH-Gesellschafters, wbl 2008, 353 (357); Schopper/Walch, NZ 2019, 441 (447); nunmehr Pkt 7.2. der vorliegenden Entscheidung.
Ein Rücktritt von der Vereinbarung über das Vor- oder Wiederkaufsrecht nach § 21 IO scheidet regelmäßig aus, weil in der Einräumung des Gestaltungsrechts bereits die vollständige Erfüllung dieser Vereinbarung liegt; Perner in KLS, IO § 21 Rz 10.
RIS-Justiz RS0064545; Kletečka, GesRZ 2009, 82 (83 ff); Perner in KLS, IO § 21 Rz 10; Schopper/Walch, NZ 2019, 441 (447 f); aA Widhalm-Budak in Konecny, Insolvenzgesetze § 21 IO Rz 108, die von der Anwendbarkeit von § 26 Abs 3 IO ausgeht.
Vgl Umlauft, Die Auswirkungen des Insolvenzrechts auf gesellschaftsvertragliche Aufgriffsrechte, GesRZ 2009, 4 (8 f); Umlauft, Gesellschaftsvertragliche Aufgriffsrechte in der Insolvenz des Gesellschafters, NZ 2012, 289 (297 f); krit Weichselbaumer, Aufgriffsrechte 132.
Ähnlich bereits Kalss/Eckert, Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht, in Kodek/Konecny, Insolvenz-Forum 2007 (2008) 65 (96 f).
Schopper/Walch, NZ 2019, 441 (448); vgl auch Weichselbaumer, Aufgriffsrechte 98.
OGH 17. 4. 1996, 7 Ob 2097/96z; in diese Richtung wohl auch OGH 30. 3. 2016, 6 Ob 35/16i.
Vgl aus dt Sicht Grotheer, Insolvenzrisiken bei Kaufverträgen über Gesellschaftsanteile und Gestaltungsmöglichkeiten zu ihrer Abmilderung, RNotZ 2012, 355 (365 ff).
AA Weichselbaumer, Aufgriffsrechte 99.
Vgl BGH 19. 6. 2000, II ZR 73/99 NJW 2000, 2819; Strohn in Fleischer/Goette, MünchKomm zum GmbHG I3 (2018) § 34 Rz 53 ff, 221 ff, auf den sich der OGH wiederholt bezieht; zu Erwerbsrechten etwa Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG I3 (2019) § 15 Rz 336.
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) 1057.
Vgl Strohn in Fleischer/Goette, MünchKommGmbHG I3 § 34 Rz 53.
ZB Kalss/Eckert in Kodek/Konecny, Insolvenz-Forum 2007, 65 (94 f); Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) § 76 Rz 10; Rüffler, wbl 2008, 353 (356 f); aus dt Sicht Ulmer, ZHR 149 (1985) 28 (37 f).
Vgl Bischoff, Zur pfändungs- und konkursbedingten Einziehung von Geschäftsanteilen, GmbHR 1984, 61 (65); Heuer, Der GmbH-Anteil in der Zwangsvollstreckung, ZIP 1998, 405 (412).
GmbH-Geschäftsanteile in Exekution und Insolvenz, JBl 2012, 281 (289 ff); Trenker, JBl 2016, 446 (450; Entscheidungsanmerkung), im Anschluss an Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung (2000) 546 ff, 674 ff.
NZ 2019, 441 (443 f); außerdem Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG2 § 76 Rz 33.
Raabe, Unentgeltliche Einziehung eines GmbH-Geschäftsanteils bei Pfändung und im Konkurs, BB 1956, 708 (710); vgl auch Artmann, Abfindungsklauseln im Gesellschaftsvertrag, in Artmann/Rüffler/Torggler, Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht (2014) 77 (98); Told, ecolex 2016, 784 (786; Entscheidungsanmerkung).
H. Roth, Pfändung und Verpfändung von Gesellschaftsanteilen, ZGR 2000, 187 (215); s noch unten zur Rolle von § 76 Abs 4 GmbHG.
Bollenberger, Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB wegen Beeinträchtigung von Interessen Dritter? JBl 2013, 137 (147).
Vgl Bollenberger, Rechtsgeschäftliche Vorsorgeklauseln für den Insolvenzfall, ÖBA 2006, 879 (886); Tintelnot, Vereinbarungen für den Konkursfall (1991) 53 ff; Bischoff, GmbHR 1984, 61 (62 ff); s auch Trenker, JBl 2016, 446 (450).
Für eine anfechtungsrechtliche Lösung aber Heckelmann, Vollstreckungszugriff und GmbH-Statut, ZZP 92 (1979) 28 (38 ff).
Bollenberger, JBl 2013, 137 (146).
Huemer, zitiert nach Die Presse 2020/46/05, Gesellschafter bleiben unter sich, aber es kostet.
Bischoff, GmbHR 1984, 61 (65); H. Roth, ZGR 2000, 187 (215).
Pkt 8.10. und 8.11. der Entscheidung; vgl auch Bischoff, GmbHR 1984, 61 (68 ff), zur Frage einer absoluten Untergrenze.
Kletečka, GesRZ 2009, 82 (85 ff).
Zur Anwendbarkeit in der Insolvenz etwa Eckert in Konecny, Insolvenz-Forum 2010, 59 (71 f) mwN.
Trenker, JBl 2012, 281 (290 f); Trenker, JBl 2016, 446 (451); Artmann in Artmann/Rüffler/Torggler, Unternehmensbewertung 77 (98 f); Told, ecolex 2016, 784 (785 f); ähnlich Umlauft, NZ 2012, 289 (299), jeweils mit weiteren Argumenten.