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Die Folgen der Corona-Pandemie für die Bauwirtschaft sind noch schwer absehbar. Die Einschränkungen des Bauablaufs durch die Schutzmaßnahmen zur Minimierung des Infektionsrisikos können zu Verzögerungen führen, deren Zuordnung zu den Vertragsteilen aktuell kontroversiell diskutiert wird. Zahlreiche Stimmen fordern zur Abfederung wirtschaftlicher Härten zusätzlich zur Anlassgesetzgebung im Rahmen der COVID-19-Gesetzespakete akrobatische Kunstgriffe und Auslegungsspagate; die seit 1916 unveränderten gesetzlichen Bestimmungen lösen sich ergebende Rechtsfragen in einer beständigen, von der Hektik dieser Tage unbeeindruckten Klarheit. Dieser Aufsatz soll Fragen im Zusammenhang mit den Auswirkungen von COVID-19 auf die Bauzeit beleuchten und einen ersten Lösungsansatz für nicht alltägliche Rechtsprobleme darstellen, die in den kommenden Jahren unsere Gerichte stark beschäftigen werden.
Ganz allgemein bestimmt § 918 ABGB, dass die Leistung am bedungenen Ort (Wo?), zur bedungenen Zeit (Wann?) und auf die bedungene Weise (Wie?) zu erbringen ist. Für die Leistungszeit gilt beim Werkvertrag an sich § 904 ABGB. Fälligkeit ist der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner die Leistung bewirken und der Gläubiger sie annehmen soll; sie richtet sich primär nach der (ausdrücklichen oder konkludenten) Vereinbarung, wobei der Vertragszweck eine maßgebende Rolle spielt, und nach dem Gesetz, subsidiär nach der Natur der Leistung.1 Erst bei Versagen dieser Bestimmungsgründe ist "ohne unnötigen Aufschub" zu leisten. Die Fälligkeit der Leistungsverpflichtung tritt dann erst mit der Aufforderung zur Erbringung der Leistung durch den Gläubiger ein.2 Legen die Vertragsteile daher selbst keine Bauzeit fest, entscheidet letztlich der betriebswirtschaftliche Sachverstand, zu welchem Zeitpunkt mit der Vollendung des Bauwerkes gerechnet werden muss/kann. Die genaue Festsetzung der Bauzeit verbleibt dann eine Sachverständigenfrage.3
In den meisten Bauwerkverträgen wird die Bauzeit durch die feste Vorgabe von Zwischen- und Endterminen geregelt. Wird die Leistung nicht in der bedungenen Zeit erbracht, so liegt Verzug des Werkunternehmers vor. Der Gesetzgeber knüpft bereits an den Verzug an sich (objektiver Verzug) weitreichende Rechtsfolgen, die beim subjektiven Verzug, in welchem sich der Schuldner schuldhaft, infolge Außerachtlassung der gebotenen und ihm subjektiv zumutbaren Sorgfalt befindet, eine Steigerung erfahren. Allein der Verzug mit Haupt- und auch wesentlichen Nebenpflichten wie auch mit einer Teilleistung begründet ein Wahlrecht des Gläubigers; er kann gem § 918 ABGB weiter auf Erfüllung bestehen oder unter gleichzeitiger Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurücktreten. Beim subjektiven Verzug hat der Gläubiger zudem Anspruch auf Ersatz jenes Schadens, der ihm durch die Verspätung oder das gänzliche Ausbleiben der Leistung (Nichterfüllungsschaden) entstanden ist. Er ist so zu stellen, wie er stünde, wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre.4
Nach § 1 der auf Grundlage des COVID-19-MaßnahmenG5 ergangenen V des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gem § 2 Z 1 des COVID-19-MaßnahmenG6 war das Betreten öffentlicher Orte verboten. Ausgenommen von diesem allgemeinen Verbot waren ua Betretungen zu beruflichen Zwecken, sofern sichergestellt war, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens 1 m eingehalten werden konnte, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden konnte. Dabei war darauf zu achten, dass eine berufliche Tätigkeit vorzugsweise außerhalb der Arbeitsstätte erfolgen sollte.
Damit wurde kein allgemeines Tätigkeitsverbot für die Bauwirtschaft verfügt. Dort, wo Bauarbeiten nicht indirekt aufgrund der Sperre von Gemeinden oder Tälern oder direkt durch Betriebsschließungen verunmöglicht wurden, war und ist7 ein Arbeiten zulässig, sofern zwischen den Arbeitern ein Abstand von mindestens 1 m eingehalten werden oder durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.8 Die Sozialpartner haben hiezu eine Handlungsanleitung für den Umgang mit Baustellen und zu ergreifende Schutzmaßnahmen vereinbart.9
Bauarbeiten können daher idR unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen (Bereitstellung von Desinfektionsmitteln, zeitliche Staffelung oder örtliche Entflechtung aller Beschäftigten, Atemschutzmasken und/oder Vollvisiere etc) ausgeführt werden. Die Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen, zu welchen der Bauunternehmer aufgrund seiner Fürsorgepflicht seinen Mitarbeitern und seiner Interessenswahrungspflicht dem Werkbesteller gegenüber gleichermaßen (schließlich droht bei Verletzungen ein behördlich verfügter Baustopp für die gesamte Baustelle) verpflichtet ist, bedeutet Arbeitserschwernisse und damit vielfach Verzögerungen und Mehrkosten. Wer diese letztlich tragen soll, entscheiden die gesetzlichen oder vertraglichen Gefahrtragungsregeln.
Die Frage, welchen der Vertragsteile beim Werkvertrag die Gefahr trifft, wird im österreichischen Recht nach der Sphärentheorie beantwortet. Danach hat jeder Teil den Zufall zu tragen, der sich in seiner Sphäre ereignet. Diese Risikoverteilung kommt insbesondere in der Bestimmung des § 1168 Abs 1 ABGB zum Ausdruck, wonach dem Unternehmer das Entgelt gebührt, wenn das Werk zufolge von Umständen, die auf Seiten des Bestellers liegen, unterbleibt. Dem Unternehmer gebührt zudem (§ 1168 Abs 1 lS ABGB) eine angemessene Entschädigung, wenn er infolge solcher Umstände auf Seiten des Bestellers "durch Zeitverlust bei der Ausführung des Werkes verkürzt" wurde. Nicht immer müssen aber die hindernden Umstände auf der Bestellerseite gerade zu einer Verzögerung der Werkerstellung führen. Es kann auch sein, dass diese Umstände den Unternehmer zu erhöhtem Arbeitseinsatz und zu erhöhten Aufwendungen zwingen. Auch hierfür gebührt ihm eine Entschädigung durch Aufstockung des Werklohns, wenn die Gründe hierfür in der Sphäre des Werkbestellers liegen.10
Der Sphäre des Werkbestellers gehören der von ihm beigestellte Stoff, die von ihm erteilten Anweisungen (§ 1168a lS ABGB) und alle sonstigen die Werkerstellung störenden, auf der Seite des Bestellers gelegenen Umstände an.11 Darunter sind Handlungen oder Unterlassungen des Werkbestellers oder seiner Leute, Ereignisse in der Person des Bestellers, in seiner Unternehmung oder Wirtschaft oder die Beschaffenheit der von ihm beigestellten Stoffe und Sachen zu verstehen. Wurde die Ausführung durch Umstände verhindert, die in der Sphäre des Werkbestellers liegen, so behält der Werkunternehmer den Anspruch auf das Entgelt.12
Umstände, die nicht in die Werkbestellersphäre fallen, damit auch jene, die in den sogenannten neutralen Kreis fallen, hat hingegen der Werkunternehmer zu vertreten. Umstände der neutralen Sphäre sind jene, die außerhalb der Ingerenz der Vertragsteile des Werkvertrags liegen,13 etwa unabwendbare Ereignisse. Der Begriff des unabwendbaren Ereignisses erfasst auch die Fälle höherer Gewalt und Elementarereignisse.14 Höhere Gewalt ist ein von außen her einwirkendes, außergewöhnliches Ereignis, das nicht in einer gewissen Häufigkeit und Regelmäßigkeit vorkommt und zu erwarten ist und durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann.15
Die Corona-Pandemie stellt einen Fall der höheren Gewalt dar.
Nach dem Gesetz soll diese Gefahr den Werkunternehmer treffen. Eine analoge Heranziehung der gesetzlichen Regelungen zum Bestandvertrag, wie jüngst gefordert,16 scheidet aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts aus. § 1168 ABGB regelt den Entgeltanspruch des Werkbestellers bei Unterbleiben oder Erschwerung der Ausführung, § 1168a ABGB ordnet die Gefahr des zufälligen Untergangs des Werks oder beigestellter Stoffe den Vertragsteilen zu. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes, die notwendige Voraussetzung für einen Analogieschluss wäre,17 kann hier nicht gesprochen werden. Der Versuch einer "Teilung der neutralen Sphäre" nach dem Vorbild der Regelungen zum Bestandsvertrag ist ein nicht notwendiger Kunstgriff. COVID-19 wirft keine Fragestellung auf, die sich nicht mit den zur Verfügung stehenden gesetzlichen Regeln lösen ließe.
Die Regeln des ABGB zur Gefahrtragung sind dispositiv.18 Die ÖNORM B 211019 will die Gefahrtragung abweichend vom ABGB regeln. Die diesbezüglichen Bestimmungen der ÖNORM werfen mehr Fragen auf, als sie lösen. In Pkt 7.2 werden einzelne, die Vertragserfüllung (be-)hindernde Umstände der jeweiligen Sphäre zugeordnet. Bemerkenswert ist, dass nach Pkt 7.2.1 wohl auch Umstände aus der neutralen Sphäre, nämlich Ereignisse, wenn diese die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich machen (1.) oder zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Werkunternehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind (2.), dem Auftraggeber zugeordnet werden.
In allen Bauverträgen, in denen die ÖNORM B 2110 vereinbart wurde,20 trägt der Werkunternehmer daher ein Risiko, wenn es aus der neutralen Sphäre kommt, nicht oder nur sehr eingeschränkt.
Nachdem die ÖNORM B 2110 als Vertragsschablone nicht im Einzelfall ausgehandelt wird, sind ihre Bestimmungen objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen.21 Nach Pkt 7.2.1 der ÖNORM B 2110 werden der Sphäre des Werkbestellers Ereignisse zugeordnet, die die vertragsgemäße Ausführung der Leistungen objektiv unmöglich machen. Versteht man "vertragsgemäße Ausführung" dahin, dass nicht nur das Gewerk in seiner konkreten Beschaffenheit, sondern auch die vereinbarte Ausführungszeit hierunter fallen,22 so gehören sämtliche "Ereignisse", die die Einhaltung des Bauzeitplanes verunmöglichen, zur Sphäre des Werkbestellers. Liest man Pkt 7.2 im Zusammenhalt mit Pkt 7.1, wonach jeder Vertragspartner alles Zumutbare aufzuwenden hat, um eine Störung der Leistungserbringung (zB Behinderung) zu vermeiden oder deren Folgen so weit als möglich abzuwehren, sofern daraus keine Mehrkosten entstehen, so ist der Werkunternehmer jedenfalls nicht verpflichtet, zur Einhaltung des Endtermins Forcierungsmaßnahmen zu entwickeln, sofern ihm daraus Mehrkosten entstehen. Mehrkosten zur Forcierung oder aus der Verzögerung hat der Werkbesteller zu tragen.
Für Fälle höherer Gewalt ist stets der zweite Fall des Pkt 7.2.1 - weil solche Ereignisse idR nicht vorhersehbar und abwendbar sind - heranzuziehen. Der Werkunternehmer ist dann von seiner Haftung befreit, wenn er die äußerst möglichen Maßnahmen getroffen hat, um zufällige Ereignisse zu vermeiden.23
In Werkverträgen werden regelmäßig Konventionalstrafen für den Verzugsfall vereinbart. Diese dienen der Verstärkung der vertraglichen Pflichten und sollen einen Erfüllungsdruck auf den Werkunternehmer erzeugen.24 Die Konventionalstrafe kann auch für den Fall der unverschuldeten Nichterfüllung vereinbart werden.25
In Werkverträgen, in denen eine verschuldensunabhängige Pönale vereinbart wurde, führte die COVID-19-bedingte Einschränkung des Bauablaufs zu einem zusätzlichen existenziellen Druck für den Werkunternehmer. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und darauf reagiert.
Nach § 4 2. COVID-19-JuBG26 soll der Werkunternehmer, soweit er bei einem vor dem 1. 4. 2020 eingegangenen Vertragsverhältnis in Verzug gerät, weil er als Folge der COVID-19-Pandemie entweder in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist oder die Leistung wegen der Beschränkungen des Erwerbslebens nicht erbringen kann, eine vereinbarte Konventionalstrafe iSd § 1336 ABGB nicht zahlen müssen; dies auch dann, wenn vereinbart wurde, dass die Konventionalstrafe unabhängig von einem Verschulden des Schuldners am Verzug zu entrichten ist. Nach den Materialien27 denkt der Gesetzgeber gerade an Bauunternehmer, die etwa wegen Quarantänemaßnahmen in dem Ort, in dem sich die Baustelle befindet, oder wegen bestimmter Einschränkungen etwa auf Verordnungsebene oder durch behördliche Anordnungen oder auch schlicht wegen einer faktischen Beeinträchtigung des Baugeschehens wegen des Gebots des "social distancing" nicht in der Lage sind, die Bauarbeiten zur Erfüllung eines Werkvertrages planmäßig voranzutreiben. Diese Bestimmung tritt mit Ablauf des 30. 6. 2022 außer Kraft.
Ohne diese Bestimmung wären Werkunternehmer außerhalb des Anwendungsbereichs der ÖNORM B 2110 bei Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Konventionalstrafe zur Strafzahlung verpflichtet gewesen. Eine Berufung darauf, dass die Geltendmachung der Vertragsstrafe den Grundsätzen von Treu und Glauben widerstreitet, wäre in den meisten Fällen nicht erfolgversprechend, da die verzögerte Ausführung des Bauvorhabens auch zu finanziellen Nachteilen des Werkbestellers (eigener Verzug mit Übergaben an Vertragspartner, höhere Finanzierungskosten, etc) führen wird, sodass die Berufung auf die übliche Risikoverteilung beim Werkvertrag wohl kaum rechtsmissbräuchlich28 sein wird.
Wie sich auch aus § 4 2. COVID 19-JuBG ergibt ("soweit"), kann sich der Werkunternehmer von der Zahlung einer Konventionalstrafe nur in dem Maß befreien, als ein Verzug auf die pandemiebedingten Behinderungen zurückzuführen ist. Nach den Materialien soll, wenn der Verzug nicht nur auf die Corona-Krise sondern auch auf Umstände in der Sphäre des Werkunternehmers gründet, die Befreiung von der Konventionalstrafe nur anteilig eintreten.29
Die Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Verletzung der Vertragspflichten trifft - wie sich bereits aus allgemeinen Grundsätzen ergibt (§ 1298 ABGB) - den Werkunternehmer.
Der Werkunternehmer tut daher gut daran, allfällige Ursachen für Verzögerungen im Bauablauf genauestens zu dokumentieren, will er sich für den programmierten Einwand des Werkbestellers, eine Verzögerung im Bauablauf sei nicht durch die Corona-Pandemie eingetreten, wappnen.
Nach ständiger Judikatur verlängern sich die vertraglich festgelegten Fertigstellungsfristen bei überschaubaren kurzfristigen Verzögerungen, die der Sphäre des Werkbestellers zuzurechnen sind. Die Vertragsstrafenabrede bleibt aufrecht und sichert dann die Einhaltung der so modifizierten (verlängerten) Ausführungsfristen. Überschreiten indes die aus der Sphäre des Werkbestellers herrührenden Verzögerungen das zeitliche Maß des Üblichen, auf das sich jeder Werkunternehmer einzustellen hat, wird also der Zeitplan "über den Haufen geworfen", dann gibt es keine verbindliche Fertigstellungsfrist mehr und geht die Strafabrede ins Leere, selbst wenn der Unternehmer zur Leistung in angemessener Frist verhalten bleibt und insofern auch in Verzug geraten kann.30
Nachdem die gesetzlich angeordnete Unwirksamkeit vertraglicher Pönaleabreden zeitlich befristet ist, stellt sich die Frage, ob für die Zeit danach verlängerte Ausführungsfristen wiederum mit Pönalesanktionen versehen sind. Haben die Vertragsteile die Geltung der ÖNORM B 2110 vereinbart, dann rührt die Verzögerung aus der Sphäre des Werkbestellers, sodass erhebliche31 Verzögerungen dazu führen, dass der ursprüngliche Bauzeitplan "über den Haufen" geworfen wurde und sich der Werkbesteller auch später nicht auf die Pönalevereinbarung berufen kann.
Im ABGB-Werkvertrag hingegen werden die Ausführungsfristen um die Zeiten der Corona-bedingten Verzögerung angemessen unter Berücksichtigung der ursprünglich vereinbarten Ausführungszeiten verlängert und solcherart gewonnene neue Zwischen- und Endtermine wiederum mit Strafsanktion befestigt.
Die COVID-19-Maßnahmen können zu einer Verzögerung des Bauablaufs und damit zu einer Verlängerung der Bauzeit führen. Verzögerungen führen zu höheren Baustellengemeinkosten (Vorhaltekosten Baustelleneinrichtung, Baukran, Maschinen, etc) und allenfalls höheren Einzelkosten (Lohnsteigerungen, Leistungsverlust durch Winterarbeit oder negative Witterungsumstände wie Temperatur oder Feuchtigkeit etc).32
Nach ABGB fallen Umstände aus der neutralen Sphäre zulasten des Werkunternehmers. Das bedeutet, dass der Werkunternehmer auf eigene Kosten forcieren muss,33 ohne für die gesteigerten Kosten Ersatz verlangen zu können. Wurde hingegen die Geltung der ÖNORM B 2110 vereinbart, so berechtigt die Störung der Leistungserbringung aus der Sphäre des Werkbestellers den Werkunternehmer dazu, eine Verlängerung der Leistungsfrist und/oder eine "Entschädigung" nach § 1168 ABGB zu fordern, welches Procedere in den Pkt 7.3 und 7.4 der ÖNORM festgelegt ist. Es steht ihm aber nicht frei, anstelle der Inanspruchnahme einer verlängerten Leistungsfrist ohne entsprechende Vereinbarung mit dem Werkbesteller höhere Eigenkosten aufzuwenden, um den ursprünglichen Fertigstellungstermin trotz der Behinderungen einzuhalten und diese Mehrkosten dem Werkbesteller zu verrechnen. Ihm stehen lediglich jene "Mehrkosten" zu, die auch bei Inanspruchnahme der verlängerten Leistungsfrist unvermeidlich waren.34
Manche wollen sich zur Anpassung der Werkverträge an die aktuellen außergewöhnlichen Umstände auf das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage berufen.35
Diesen Überlegungen ist entgegenzuhalten, dass es die Vertragstreue grundsätzlich gebietet, dass man aus einem entgeltlichen Vertrag verpflichtet bleibt, auch wenn sich insb infolge späterer Entwicklung herausstellt, dass die Vereinbarung unvorteilhaft ist.36 Der Rückgriff auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage soll nach ständiger Judikatur lediglich letztes Mittel ("ultima ratio")37 sein und zurückhaltend angewendet werden.
Schon nach der bisherigen Judikatur ist, soweit der Vertrag oder das Gesetz (zum Beispiel vertragliche oder gesetzliche Gefahrtragungsregeln) das Risiko der eingetretenen Veränderung einer Vertragspartei zuweisen, diese Risikoverteilung maßgebend, die nicht unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage unterlaufen werden darf.38
Leistungsstörungen durch COVID-19 können daher nicht zu einer Anpassung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage führen.
Die gesetzlichen Gefahrtragungsregeln haben die Gefahr eines außergewöhnlichen Ereignisses wie der COVID-19-Pandemie dem Werkunternehmer zugeordnet. Sofern hierdurch Mehrkosten und Schäden entstehen, hat diese daher - so unbillig dies erscheinen mag - der Werkunternehmer zu tragen.
Eine Grenze dieser Überwälzung und damit ein Notventil für den Belasteten findet sich in § 1447 ABGB. So wird in ständiger Judikatur der Unmöglichkeit der Leistung ihre Unerschwinglichkeit gleichgesetzt. Eine solche liegt vor, wenn die Leistung unvernünftig und wirtschaftlich sinnlos wäre.39 Unerschwinglich ist die Leistung, wenn der hierfür notwendige Aufwand in keinem Verhältnis zum Wert der Leistung steht und dem Belasteten zumindest eine erhebliche Existenzverschlechterung droht.40
In Fällen der nachträglichen Unmöglichkeit nach § 1447 ABGB finden Werkverträge ihr automatisches Ende. Auf diese Unmöglichkeit kann sich jedoch nur der Werkunternehmer berufen, da ein Mangel an Zahlungsmitteln (der Werkbesteller schuldet den Werklohn) nicht als Leistungsunmöglichkeit zu werten ist, auch wenn seine Beseitigung im Einzelfall unwahrscheinlich sein mag.41 Ist diese Grenze nicht erreicht, so verbleibt dem Werkunternehmer nur die Fertigstellung zu den durch COVID-19 bedingten Mehrkosten. Bei Geltung der ÖNORM B 2110 kann der Werkbesteller mit den Kostenfolgen des § 1168 ABGB abbestellen oder die Fertigstellung unter erheblichen Mehrkosten in Kauf nehmen.
Die Anwendung des § 1447 ABGB verbleibt somit als äußerstes gesetzliches Notventil, das auch hier zur Anwendung gelangen und zur Abwendung der Gefahrtragung für den Werkunternehmer führen kann. Dabei wird es an der Rsp liegen, die in Bausachen bislang - soweit überblickbar - nicht judizierte Unerschwinglichkeit näher zu definieren, wobei allenfalls § 934 ABGB einen Anhaltspunkt bieten könnte.42
Die Frage, wer die finanziellen Folgen einer Bauzeitverzögerung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu tragen hat, ist nach den gesetzlichen oder den vertraglichen Gefahrtragungsregeln zu beantworten. Wurde die Geltung der ÖNORM B 2110 vereinbart, so trägt diese Gefahr der Werkbesteller, ansonsten im Allgemeinen der Werkunternehmer. Aus dieser Zuordnung folgen weitreichende weitere Konsequenzen für Mehrkosten aus der Bauzeitverzögerung und vereinbarte Pönalen. Der Belastete hat Mehrkosten bis an die Grenze der Unerschwinglichkeit nach § 1447 ABGB zu stemmen. Dem Werkbesteller bleibt, so ihm denn das Risiko höherer Gewalt zugeordnet ist, die jederzeit mögliche Abbestellung mit den Folgen des § 1168 ABGB. Im Einzelfall schwierig wird für den Werkunternehmer der Nachweis zu erbringen sein, durch COVID-19-Maßnahmen in der Ausführung - exakt in welchem Umfang und mit welchen Konsequenzen - behindert worden zu sein, sodass der genauen Dokumentation sowohl des Bauablaufes als auch des Ressourcenmanagements besonderes Augenmerk zuteilwerden muss.
Vgl Krejci, Über Bauverzögerungen und ihre Rechtsfolgen, ÖZW 1999, 65 (FN 4).
BGBl II 2020/98 idF BGBl II 2020/148, außer Kraft getreten mit 30. 4. 2020.
Siehe § 3 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II 2020/197.
Beachtlich ist für das Bundesland Tirol die im Verhältnis zur V BGBl II 2020/98 strengere V des Tiroler Landeshauptmanns vom 20. 3. 2020, LGBl 2020/107.
https://www.wko.at/branchen/t/gewerbe-handwerk/bau/200327_Handlungsanleitung-Sozialpartner-COVID-19.pdf (Stand 13. 4. 2020).
Vgl Karasek, ÖNorm B 21103 Rz 1187.
Kletečka/Müller, Corona: Mit den Baustellen ruhen die Vertragspflichten, Die Presse 2020/13/04.
ÖNorm B 2110, Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen - Werkvertragsnorm, Ausgabe 15. 3. 2013.
ÖNormen müssen ausdrücklich oder konkludent zum Gegenstand von Verträgen gemacht werden, um Rechtswirkungen für Vertragsverhältnisse zu entwickeln - RIS-Justiz RS0038622.
Für dieses Verständnis Karasek, ÖNorm B 21103 Rz 1218.
Karasek, ÖNorm B 21103 Rz 1222.
2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 2020/24.
IA 4. COVID-19-Gesetz 2020, 403/A 27. GP 41.
RIS-Justiz RS0017859: Der Begriff "Treu und Glauben", der der in § 914 ABGB erwähnten Übung des redlichen Verkehrs entspricht, beherrscht ganz allgemein das bürgerliche Recht; der rechtsgeschäftliche Verkehr darf nicht dazu missbraucht werden, einen anderen hineinzulegen, sondern soll sich ehrlich abspielen.
IA 4. COVID-19-G 2020, 403/A 27. GP 41.
RIS-Justiz RS01119848.
6 Ob 101/17x ZVB 2018/22, 93 (Wagner): Verzögerung von mehr als 2 Monaten bei vereinbarter Bauzeit von knapp weniger als 9 Monaten; 9 Ob 63/11x ZVB 2012/117, 393 (Oppel): Verzögerung von mehr als 3 Monaten bei vereinbarter Leistungsfrist von 6 Monaten; 6 Ob 95/08a: Verzögerung von bis zu 2 Monaten; 8 Ob 156/06h: Verzögerung von einem Monat.
Lesenswert Karasek, ÖNorm B 21103 Rz 1328 ff.
Zu den Grenzen siehe unter Pkt 7.
1 Ob 200/08f ecolex 2009/76, 228 (Friedl).
Gallistel/Lessiak, COVID-19 und der Betrieb von Baustellen, ZVB 2020/35; Kletečka/Müller, Die Presse 2020/13/04.
Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 901 Rz 6.
vgl Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 901 Rz 11: "Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist daher nur dann relevant, wenn die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung das Risiko nicht einer der beiden Parteien zuweist, sondern wenn sich ein "neutrales" Risiko verwirklicht, das beide Parteien gleichermaßen treffen soll."; vgl auch 5 Ob 504, 505/96.
Griss/P. Bydlinski in KBB6 § 1447 ABGB Rz 6.
Bereits Krejci, ÖZW 1999, 65 reflektiert auf diese Bestimmung. Der Verweis von Griss/P. Bydlinski in KBB6 § 1447 ABGB Rz 5, auf die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geht daher aus meiner Sicht fehl.