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Abgasmanipulationen – weiteres Vorabentscheidungsersuchen

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 715/2007: Art 3, Art 4, Art 5, Anhang I

Durchführungs-VO (EG) 692/2008: Art 3

Der Kl begehrt von der Bekl – gestützt auf deliktischen Schadenersatz, Verstoß gegen als Schutzgesetze anzusehende Bestimmungen der RL 2007/46/EG sowie der VO 715/2007/EG und arglistige Täuschung bzw Betrug – den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Klagsfahrzeugs iHv 3.200 € samt Zinsen (objektiver Minderwert des Kfz im Zeitpunkt der Zahlung) sowie die Feststellung der Haftung der Bekl „für alle nachteiligen Folgen der Fahrzeugmanipulation“, welche dem Kl „aus dem Vertrag über den Erwerb des manipulierten Fahrzeuges“ künftig entstehen würden.

Nicht strittig ist im Verfahren, dass im Fahrzeug des Kl ein Dieselmotor vom Typ EA288 verbaut ist, für den die Abgasnorm Euro 6 maßgebend ist. Fraglich ist aber va, ob beim eingebauten System der Abgasrückführung (AGR-System) für die Qualifikation als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG auf das „Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheitoder auf die einzelnen Konstruktionsteile als jeweils einzelne Emissionskontrollsysteme abzustellen ist und ob die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte gem Anhang I VO 715/2007/EG auch im normalen Fahrbetrieb zu prüfen ist. Weiters stellen sich dabei Fragen iZm allfälligen unionsrechtlichen Grenzen nationaler Behauptungs- und Beweislastregeln.

Der OGH hat in diesem Zusammenhang ein (weiteres) Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.

OGH 27. 2. 2025, 8 Ob 99/24b

Vorabentscheidungsersuchen

Dem EuGH werden gem Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.a.Sind Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Fahrzeug mit Dieselmotor, in dem
  • ein Stickoxidspeicherkatalysator samt Dieselpartikelfilter und weiters
  • nur ein (in seiner Steuerung und Wirksamkeit von verschiedenen Faktoren wie Umgebungstemperatur, Leistungsanforderung, Gaspedalstellung, Drehmoment, Seehöhe, Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, Fahrverhalten des Fahrers sowie Temperatur am und im Triebwerk und im Abgasrückführungssystem selbst abhängiges) System der Abgasreduktion (AGR-System) verbaut ist, welches
    • ein „Thermofenster“ (eine temperaturabhängige Reduktion der AGR-Rate), bezüglich dessen zwar feststeht, dass die AGR-Rate bei Temperaturen unter -24°C und über +70°C reduziert wird, allerdings nicht feststellbar ist, ob eine Reduktion der AGR-Rate auch innerhalb des Temperaturbereiches von -24°C bis +70°C stattfindet,
    • eine „Höhenschaltung“ (eine Reduktion der AGR-Rate in einer Betriebshöhe von über 1.000 Metern über dem Meeresspiegel), und
    • eine „Taxischaltung“ (eine Reduktion der AGR-Rate bei einem Betrieb im Leerlauf über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten)
    aufweist, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung iSv Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist,
    • ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandenen Systeme der Abgasrückführung und -nachbehandlung) verringert wird, oder darauf,
    • ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB „Thermofenster“, SCR-Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?
1.b.Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass
i.es sich bei der Wendung in Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG „... unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind …“
  • um einen Teil der Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung, oder
  • um eine diesbezügliche Ausnahmeregelung vom Bestehen einer Abschalteinrichtung oder Verbotsausnahme, welche erst beim Nachweis des Nichtvorliegens solcher Bedingungen die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung bewirkt, handelt?
ii.für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteiles, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1.a.) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?
iii.eine Abschalteinrichtung jedenfalls dann zulässig iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ist, wenn unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges zwar verringert wird, jedoch die in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden?
2.Für den Fall, dass iSd zu Punkt 1. gestellten Fragen auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:
2.a.Ist Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeuges seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB „Thermofenster“) vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Fahrzeughersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?
2.b.Ist Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Beweislast dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der den kl Käufer die Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung und somit nicht nur dafür trifft, dass ein Konstruktionsteil im Fahrzeug verbaut ist, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, sondern auch dafür, dass keine anderen Konstruktionsteile verbaut sind, die diesen nachteiligen Effekt ausgleichen, aber der bekl Fahrzeughersteller zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet ist – wobei die Konsequenz einer Nicht-Mitwirkung nur darin liegt, dass das Gericht diesen Umstand in seine freie Beweiswürdigung einfließen lässt –, gegen Unionsrecht verstößt, sodass bei der Feststellung des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit eine Zuweisung der Beweislast hierfür an den bekl Fahrzeughersteller unionsrechtlich geboten ist?
2.c.Ist Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass die Behauptungs- und Beweislast für den konkreten Temperaturbereich, in dem eine im Fahrzeugmotor vorhandene Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nicht aktiv ist, den Fahrzeughersteller trifft?
3.a.Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG iVm Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeuges, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des jeweils anzuwendenden Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus-Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges (im Realbetrieb) gewährleistet ist?
3.b.Falls die Frage 3.a. zu bejahen ist:
Ist Art 5 Abs 2 iVm Art 5 Abs 1 und Art 4 Abs 3 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass nicht der kl Käufer, sondern der bekl Fahrzeughersteller die Beweislast für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb trägt?

Hinweis:

Vgl in diesem Zusammenhang auch das Vorabentscheidungsersuchen OGH 19. 2. 2025, 7 Ob 163/24g, Rechtsnews 36502 und betr ein dt Vorabentscheidungsersuchen OGH 13. 2. 2025, 9 Ob 102/24a, Rechtsnews 36503.

Die VO (EG) 692/2008 ist durch die VO (EU) 2017/1154 aufgehoben worden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36504 vom 13.03.2025