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AG: Anfechtungs-/Nichtigkeitsklage – individuelles Rechtsschutzbedürfnis (bei Verschmelzung)?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

AktG: §§ 195 ff, §§ 199 ff

Zur Erhebung der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bedarf es grundsätzlich keines individuellen Rechtsschutzbedürfnisses; die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ist davon unabhängig, ob der Kl durch den geltend gemachten Anfechtungsgrund in seiner Rechtssphäre betroffen ist. Der Gesetzgeber gesteht den Aktionären vielmehr bereits aufgrund ihrer Mitgliedschaft ein besonderes Recht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Willensbildung in der Gesellschaft zu.

Am Anfechtungsinteresse fehlt es jedoch ausnahmsweise dann, wenn die Nachprüfung des Hauptversammlungsbeschlusses für niemanden mehr rechtlich bedeutsam sein kann.

Auch bei der Nichtigkeitsklage kann aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, so etwa, wenn die Nichtigkeit zwischenzeitig durch neuerliche Beschlussfassung der Hauptversammlung folgenlos beseitigt wurde. Auch bei Nichtigkeitsklagen gegen Organbeschlüsse ist zu beachten, dass das Feststellungsinteresse bei einem beendeten Rechtsverhältnis idR nicht mehr offenkundig, sondern nur dann anzuerkennen ist, wenn das begehrte Urteil auch noch für die gegenwärtige Rechtslage der Parteien von Bedeutung ist.

Das Erlöschen der übertragenden Gesellschaft indiziert, dass die Beschlüsse über die Wahl in den Aufsichtsrat dieser untergegangenen Gesellschaft im Beurteilungszeitpunkt für niemanden mehr rechtliche Bedeutung entfalten. In einem derartigen Fall bedarf es daher ausnahmsweise der konkreten Prüfung des Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Beschlussanfechtung bzw des Vorliegens eines rechtlichen Interesses an der Feststellung der Nichtigkeit dieser Wahlbeschlüsse.

Zur Dartuung eines solchen Rechtsschutzbedürfnisses bzw rechtlichen Interesses reicht es nicht aus, dass die Kl nach ihrem unbestrittenen Vorbringen von ihrem Austrittsrecht gem § 10 Abs 1 EU-VerschG nicht Gebrauch gemacht hat, sodass sie mit dem Wirksamwerden der Verschmelzung Gesellschafterin der übernehmenden Gesellschaft wurde. Die Gesellschafterstellung in der übernehmenden Gesellschaft legt nämlich noch nicht nahe, dass die angefochtenen Beschlüsse über die Wahl in den Aufsichtsrat der nicht mehr existenten übertragenden Gesellschaft weiterhin von rechtlicher Bedeutung für die Rechtsbeziehungen der Parteien wären.

Ein konkretes Vorbringen, welche dieser in der Vergangenheit liegenden Beschlussfassungen des Aufsichtsrats der übertragenden Gesellschaft in die Zukunft fortwirkten, hat die Kl nicht erstattet. Die bloße Möglichkeit, dass dies der Fall sein könnte, reicht zur Dartuung eines konkreten Rechtsschutzbedürfnisses aber nicht aus.

OGH 19. 12. 2020, 6 Ob 113/19i

Entscheidung

Dem Rechtsstandpunkt der Kl, wonach ein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung bzw Feststellung der Nichtigkeit der Wahlbeschlüsse aus dem Bestehen eines Vergütungsanspruchs der Aufsichtsratsmitglieder abzuleiten sei, liegt die Prämisse zugrunde, dass derartige Vergütungsansprüche im Fall des Obsiegens der Kl im vorliegenden Verfahren jedenfalls untergehen würden.

Dies kann aus dem erstatteten Vorbringen aber nicht abgeleitet werden. Es kommt nämlich auf die konkrete Rechtsgrundlage derartiger Ansprüche an, wozu die Kl kein Vorbringen erstattete. Darüber hinaus erbrachten die am 5. 5. 2017 gewählten Aufsichtsratsmitglieder unstrittig Leistungen; auch die Kl geht ja davon aus, dass sie an Beschlussfassungen des Aufsichtsrats mitwirkten. Die Kl hat auch nicht vorgebracht, dass die den gewählten Mitgliedern dafür allenfalls zustehenden Kondiktionsansprüche niedriger wären als die sich aus der Satzung oder einem Hauptversammlungsbeschluss ergebenden Vergütungsansprüche.

Im Ergebnis folgt daraus, dass aufgrund des Erlöschens der übertragenden Gesellschaft das Rechtsschutzbedürfnis an der Anfechtung bzw Feststellung der Nichtigkeit der hier bekämpften Beschlüsse über die Wahl in den Aufsichtsrat der untergegangenen Gesellschaft nicht mehr – wie von §§ 195 ff und 201 AktG typischerweise vorausgesetzt – vorhanden ist. Ein konkretes Weiterbestehen des Rechtsschutzinteresses der Kl trotz Untergangs der übertragenden Gesellschaft und ihrer Organe ergibt sich aus dem Klagevorbringen nicht.

Aufgrund des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses der Kl an der begehrten Beschlussanfechtung mangelt es an einer materiellen Anspruchsvoraussetzung der erhobenen Rechtsgestaltungsklage. Dies zieht die Klageabweisung nach sich. Das selbe gilt für das fehlende rechtliche Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit der bekämpften Wahlbeschlüsse (vgl RS0039201).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28762 vom 09.03.2020