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DBA Österreich-Schweiz: Art 18, 19, 23
Abstract
Der VwGH hat immer noch nicht entschieden (anhängig zur GZ Ro 2023/15/0023), das BFG dafür zum dritten Mal (14. 3. 2022, RV/1100284/2020; 12. 7. 2023, RV/1100132/2019; und gegenständlich): Erneut wird hierin die Streitfrage behandelt, ob Österreich als Ansässigkeitsstaat Einkünfte aus AHV Renten (welche einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst entspringen) besteuern darf. Das BFG hat sich im Endeffekt nicht der Ansicht des FA angeschlossen und hat dabei ua Grundsatzfragen der Interpretation angesprochen.
BFG 18. 12. 2023, RV/1100347/2022
Sachverhalt
Die in Österreich (Ö) ansässige Beschwerdeführerin (Bf) im Streitjahr 2016 neben Einkünften aus im Inland ausgeübter nichtselbstständiger Tätigkeit einen Einmalbetrag iHv ca 388.853 CHF – anstelle einer Witwenrente – von einer im Schweizer Handelsregister eingetragenen Stiftung und zusätzlich ein Todesfallkapital iHv 26.795 CHF. Der verstorbene Ehegatte der Bf war zu Lebzeiten sowohl bei privatwirtschaftlichen Arbeitgebern als auch als selbstständiger Architekt und zuletzt als Therapeut bei einem nach öffentlichem Recht geführten Pflegezentrum in der Schweiz tätig.
Im Jahr 2019 wurde der Bf zusätzlich eine Witwenrente von der Schweizer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zuerkannt, wobei auf das Streitjahr ein Betrag von 18.588 CHF entfiel. Diese AHV-Rente beruht zu 67,65 % auf Beiträgen des verstorbenen Gatten aus nichtselbstständiger Tätigkeit bei privatwirtschaftlichen Arbeitgebern und zu 32,35 % auf Beiträgen für Tätigkeiten bei öffentlich-rechtlichen Dienstgebern. Das FA sprach Ö im Einkommensteuerbescheid 2016 das Besteuerungsrecht über sämtliche genannte Einkünfte zu.
Entscheidung des BFG
Das BFG geht in der vorliegenden Entscheidung im Wesentlichen auf die einzelnen Argumente des FA ein und entkräftet diese. Damit verbleibt das Gericht weiterhin bei der Ansicht, dass die umstrittenen Zahlungen aus der Schweizer AHV Rente teilweise unter Art 19 Abs 1 iVm Art 23 Abs 1 DBA Ö-Schweiz zu subsumieren und damit von der Besteuerung in Ö (unter Progressionsvorbehalt) auszunehmen sind.
Nach Ansicht des FA sei nach nunmehr hL der Ansässigkeitsstaat im Falle einer Qualifikationsverkettung nicht zur Freistellung der im Quellenstaat erzielten Einkünfte verpflichtet (Bendlinger/Kofler in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger (Hrsg), Internationales Steuerrecht2 [2019] Rz XIV/27). Die Methodenartikel sehen für die Entlastungsverpflichtung im Ansässigkeitsstaat vor, dass eine abkommenskonforme Erfassung im Quellenstaat erfolgt sei, zu der der Quellenstaat durch eine auf Art 3 Abs 2 OECD-MA basierende Auslegung gelangt sei (Kofler in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 vor Art 1 Rz 101 mwN). Die Freistellungsverpflichtung des Ansässigkeitsstaats bestehe daher nicht, wenn der Quellenstaat Einkünfte nach einer gem Art 3 Abs 2 OECD-MA zulässigen Abkommensauslegung nicht besteuert (Vogel/Lehner, DBA-Kommentar, Art 23 Rz 39b, sowie Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, Internationales Steuerrecht I/1, Z 0 Rz 79). Entscheidend ist dabei, ob der Quellenstaat aufgrund des innerstaatlichen Rechts das DBA dahin gehend auslegt, dass ihm kein Besteuerungsrecht zukommt (Loukota, SWI 1999, 70). In Anwendung des Art 3 Abs 2 OECD-MA entsprechenden Art 3 Abs 2 DBA Ö-Schweiz ist die Schweiz nicht zur Steuererhebung berechtigt. Die Schlussfolgerung des FA: Ö ist nicht zur Steuerfreistellung gem Art 23 Abs 1 DBA Ö-Schweiz (entspricht Art 23A OECD-MA) verpflichtet. Die bisherigen diesbezüglichen Entscheidungen des BFG stünden demnach dem Telos des Doppelbesteuerungsabkommens entgegen, weil dieses neben der Vermeidung der Doppelbesteuerung auch die Nichtermöglichung der Doppelnichtbesteuerung zum Ziel hat (VwGH 20. 11. 2019, Ro 2018/15/0017 und VwGH 15. 10. 2020, Ro 2019/13/0007).
Nach dem Schweizer Gesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) sind in der Schweiz ansässige Rentenbezieher der AHV auch in der Schweiz steuerpflichtig, im Ausland ansässige Bezieher hingegen – aufgrund von Kosten-Nutzen Überlegunge – nicht (vgl Interpellation 17.4099, Stellungnahme des Bundesrates vom 21. 2. 2018; https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20174099). Das gilt unabhängig davon, ob der Wohnsitzstaat ein DBA mit der Schweiz abgeschlossen hat (vgl dazu den Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle vom 8. 3. 2017; https://www.efk.admin.ch/images/stories/efk_dokumente/publikationen/_bildung_und_soziales/sozialversicherung_und_altersvorsorge/15396/15396BE_WiK_d.pdf). Insgesamt kann daraus geschlossen werden, dass der Verzicht auf die Besteuerung rein nationalem Schweizer Recht entspringt und es dazu keinerlei Auslegung des Art 3 Abs 2 DBA Ö-Schweiz (oder auch Art 3 Abs 2 OECD-MA) bedarf (vgl auch Romstorfer, SWI 11/2023, 566 ff mwN). Es ist dem Schweizer Recht auch nicht zu entnehmen, dass dem maßgeblichen Begriff der „Ruhegehälter“ ein anderes Verständnis beizumessen wäre oder die Zahlungen aus einer gesetzlich verpflichtenden Sozialversicherung generell nicht als Ruhegehälter iSd Art 18 oder 19 DBA-Schweiz zu qualifizieren wären. Eine Doppelnichtbesteuerung kann entsprechend nicht zu einem Wegfall der Steuerfreistellungsverpflichtung nach Art 23 Abs 1 DBA Ö-Schweiz führen.
Darüber hinaus ist der „Anwenderstaat“ iSd Art 3 Abs 2 OECD-MA nach der Rsp des VwGH und des BFH der Ansässigkeitsstaat (vgl etwa VwGH 20. 9. 2001, 2000/15/0116; VwGH 19. 12. 2006, 2005/15/0158; VwGH 28. 11. 2007, 2006/14/0057; BFH 25. 5. 2011, I R 95/10, mwN und BFH 11. 7. 2018, I R 44/16 mwN). Die Ansicht der Verwaltungspraxis, OECD und Teilen der Lehre, dass der Anwenderstaat der Quellenstaat sei (vgl Bendlinger/Kofler in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht2 Rz X/40 mwN), wird vom BFG nicht geteilt (vgl BFH 25. 5. 2011, I R 95/10). Im DBA Ö-Schweiz fehlt im Vergleich zum OECD-MA der Verweis in Art 3 Abs 2, dass nach dieser Bestimmung das innerstaatliche Recht „im Anwendungszeitraum“ maßgebend ist. In Ermangelung einer derartigen Referenz verfolgt das BFG eine statische Betrachtungsweise (vgl VwGH 20. 9. 2001, 2000/15/0116, mit Hinweis auf VwGH 21. 5. 1997, 96/14/0084). Entsprechend dürfen nach Abschluss des DBA erfolgte Änderungen innerhalb des OECD-MA oder des OECD-MK keine Beachtung bei der Auslegung von den Bestimmungen des DBA Ö-Schweiz finden. Das betrifft etwa die Änderung der Präambel innerhalb des OECD-MA, die mittlerweile vorsieht, auch für eine Vermeidung der Doppelnichtbesteuerung zu sorgen.
Damit verfolgt das BFG weiterhin den Ansatz, dass Art 18 und Art 19 BDA Ö-Schweiz im gegenständlichen Fall einschlägig sind, woran auch die vom FA vorgebrachten Entscheidungen des VwGH (20. 11. 2019, Ro 2018/15/0017 und 15. 10. 2020, Ro 2019/13/0007) nichts zu ändern vermögen. Aufgrund fehlender Rsp hat das BFG die Revision zugelassen. Es wurde bereits Amtsrevision erhoben.
Conclusio
Die Entscheidung des BFG ist weitestgehend nachvollziehbar und überzeugend. Eine Einordnung der genannten Einkünfte unter Art 21 anstelle von Art 19 des DBA Ö-Schweiz wirkt wenig überzeugend (vgl Schragl, BFG: Konsultationsvereinbarung über Besteuerung von AHV-Renten im DBA Österreich-Schweiz entfaltet keine Wirkung, LexisNexis Rechtsnews 34672 vom 30. 10. 2023), selbst wenn in Deutschland Einigkeit über eine Anwendung des vergleichbaren Art 21 DBA D-Schweiz herrscht (vgl Brandis in Wassermeyer [Hrsg], DBA [163. Lfg, 2023] DBA Schweiz Art 19 Rz 23). Auch mit der vorliegenden Argumentation des FA, dass Art 3 Abs 2 OECD-MA (und damit auch Art 3 Abs 2 DBA Ö-Schweiz) den Methodenartikel in bestimmten Konstellationen aushebeln kann, kann Österreich im Ergebnis nicht besteuern: Wenn sich die Nichtbesteuerung rein aus der innerstaatlichen Rechtslage ergibt, kann von besagter Ausnahme nicht Gebrauch gemacht werden.
Die Diskussion über den „Anwenderstaat“ ist recht kurz gefasst und behandelt einige brisante Themengebiete. Zunächst stellt sich das BFG gegen Teile der Lehre, BMF und OECD (vgl Bendlinger/Kofler in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger [Hrsg], Internationales Steuerrecht2 Rz X/40 mwN), nach denen der Quellenstaat den Ansässigkeit hinsichtlich der Qualifikation des Methodenartikels bindet. Die Auslegung des Gerichts steht allerdings in Einklang mit der hRsp in Ö (vgl etwa VwGH 20. 9. 2001, 2000/15/0116; 19. 12. 2006, 2005/15/0158; 28. 11. 2007, 2006/14/0057) und in D (BFH 25. 5. 2011, I R 95/10, mwN und BFH 11. 7. 2018, I R 44/16, mwN) und darüber hinaus mit Teilen der Literatur (vgl Lang, Art 3 Abs 2 OECD-MA und die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, IWB 2011, 281). Dass in Ermangelung einer Erneuerung des DBA Ö-Schweiz die statische Interpretation anzuwenden ist, wirkt ebenso überzeugend. Einzig die Anwendbarkeit des MLI, das in seiner Präambel als Ziel auch die Nichtkreierung von Möglichkeiten zur Doppelnichtbesteuerung bei Steuervermeidung und -umgehung vorsieht – und das sowohl Österreich als auch die Schweiz ratifiziert haben – könnte für Diskussionsbedarf vor dem VwGH sorgen. Allerdings ist die Aussagekraft und Bedeutung der Präambel sehr begrenzt (näher dazu Lang, Verhinderung von Doppel- und Nichtbesteuerung, in Schmidjell-Dommes/Lang/Bendlinger/Kofler [Hrsg], SWI-Spezial: Die „neuen“ österreichischen DBA „post-BEPS“ – Das MLI und die Auswirkungen auf die Praxis des Internationalen Steuerrechts [2018] 63 f). Ob dies allerdings ausreicht, damit Ö im vorliegenden Fall besteuern darf, kann infrage gestellt werden.