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Akteneinsicht beim Finanzamt auch wenn keine abgabenrechtliche Bescheiderlassung zu erwarten ist

Bearbeiter: Florian Fiala

BAO: §§ 90, 143

Abstract

Nach § 90 BAO steht Parteien eines Abgabenverfahrens Akteneinsicht bei der verfahrensführenden Abgabenbehörde zu. Der VwGH hatte zu entscheiden, ob ein derartiges – zur Gewährung von Akteneinsicht verpflichtendes – Verfahren auch dann vorliegt, wenn eine Kontrolle der Finanzpolizei nicht zur Erlassung von Abgabenbescheiden führt, sondern lediglich der Prüfung dient, ob abgabenrechtliche Bescheide zu erlassen sind bzw ob Anzeige an eine andere Behörde zu erfolgen hat.

VwGH 24. 3. 2021, Ra 2018/13/0062

Sachverhalt

Im Betrieb des Revisionswerbers (einer Pizzeria) wurde von Organen der Finanzpolizei eine Kontrolle nach dem AuslBG, dem ASVG, dem AlVG, der GewO und § 143 BAO durchgeführt. Da keine Personen angetroffen wurden, die Auskünfte über im Betrieb beschäftigte Ausländer geben konnten, erstattete die Finanzpolizei Anzeige wegen Verletzung der Auskunftspflicht nach § 26 Abs 1 AuslBG an die Bezirksverwaltungsbehörde. Außenwirksame Folgen abgabenrechtlicher Art (etwa die Erlassung von Abgabenbescheiden) resultierten aus der Kontrolle nicht. Um sicherzustellen, dass tatsächlich keine abgabenrechtlichen Konsequenzen (ausgelöst etwa durch die Aufdeckung eines Beschäftigungsverhältnisses) drohten, beantragte der Revisionswerber in Folge Akteneinsicht beim Finanzamt.

Das Finanzamt und in Folge das BFG wiesen den Antrag auf Akteneinsicht als unzulässig zurück, im Wesentlichen mit der Begründung, es liege kein Abgabenverfahren vor. Die Akteneinsicht – und die allfällige Einwendung einer unzulässigen unvollständigen Zurverfügungstellung von Akten und Aktenteilen im Rahmen der Akteneinsicht – wäre im betreffenden Verwaltungsstrafverfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde geltend zu machen.

Gegen die abweisende Entscheidung des BFG erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit brachte er vor, es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt hinsichtlich jener Unterlagen bestehe, die die „Finanzpolizei des Finanzamtes“ im Rahmen einer Kontrolle nach dem AuslBG angelegt habe.

Entscheidung des VwGH

Das Recht zur Akteneinsicht steht nur den Parteien zu, die an einem bestimmten Verwaltungsverfahren beteiligt sind. Es steht nur gegenüber jener Behörde zu, die ein konkretes Verwaltungsverfahren führt. Ein Verfahren, welches der Behörde Sachverhaltsgrundlagen zur Prüfung der Frage liefern soll, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen sind oder aber ob solche zu unterbleiben haben, ist ein derartiges behördliches Verfahren (vgl VwGH 27. 2. 2009, 2008/17/0019 und 0022). Aufsichtsmaßnahmen nach § 143 BAO dienen dazu, Informationen darüber zu gewinnen, ob ein Abgabenverfahren einzuleiten, weiterzuführen oder abzuschließen ist (vgl Stoll, BAO-Kommentar § 143 1598). Diese Maßnahmen erfolgen sohin in einem Verfahren zur Prüfung der Frage, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen sind. Schon damit liegt ein behördliches Verfahren vor, zu dem (an sich) Akteneinsicht zu gewähren ist.

Die Verweigerung der Akteneinsicht in einem anhängigen Verfahren kann im Allgemeinen nur mit dem Rechtsmittel gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid bekämpft werden (vgl VwGH 29. 5. 2018, Ro 2017/15/0021). Dieser Grundsatz kommt aber dann nicht zum Tragen, wenn ein die Angelegenheit abschließender Bescheid nicht in Betracht kommt. In solchen Verfahren hat über die Verweigerung der Akteneinsicht ein im Instanzenzug anfechtbarer Bescheid zu ergehen (vgl zB VwGH 23. 5. 2000, 2000/11/0100, mwN).

Die Kontrollhandlung diente ua der Prüfung, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen wären. Derartige Abgabenbescheide wurden im Hinblick auf diese Kontrollhandlung nicht erlassen; dass derartige Abgabenbescheide im Hinblick auf diese Kontrollhandlung noch zu erwarten wären, ist ebenfalls nicht erkennbar. Damit ist aber im vorliegenden Fall die Verweigerung der Akteneinsicht mit einem anfechtbaren Bescheid auszusprechen (vgl VwGH 22. 6. 2001, 2000/13/0037). Soweit die Kontrollhandlung der Prüfung der Frage diente, ob etwa Bestimmungen des AuslBG oder des ASVG eingehalten wurden, so handelte es sich hierbei um Nachforschungen oder vorbereitende Anordnungen im Hinblick auf nach diesen Bestimmungen allenfalls zu führende Verfahren anderer Behörden. Insoweit waren von der Abgabenbehörde keine Bescheide zu erlassen, die Abgabenbehörde hatte vielmehr gegebenenfalls Anzeige an die zuständige Behörde (Verwaltungsstrafbehörde) zu erstatten. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass auch im Verfahren über derartige Nachforschungen und vorbereitende Anordnungen über die Verweigerung der Akteneinsicht ein anfechtbarer Bescheid zu ergehen hat (vgl VwGH 25. 2. 2005, 2005/05/0022).

Der den Antrag stattdessen als unzulässig zurückweisende Bescheid des Finanzamts und das angefochtene Erkenntnis, das diesen Bescheid bestätigt, erweisen sich somit als rechtswidrig. Das Finanzamt wird entweder die Einsicht in beim Finanzamt zu dieser Kontrollhandlung vorliegende Verfahrensakten zu gewähren oder mit Bescheid über die inhaltliche Berechtigung des Akteneinsichtsbegehrens abzusprechen haben.

Conclusio

Ein abgabenrechtliches Verfahren, in welchem nach § 90 BAO Akteneinsicht zu gewähren ist, liegt auch dann vor, wenn Kontrollhandlungen der Finanzpolizei nicht zur Erlassung von Abgabenbescheiden führen, sondern lediglich der Prüfung der Bescheiderlassung bzw der Prüfung, ob Anzeige an eine andere Behörde zu erstatten ist, dienen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31203 vom 19.07.2021