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Jedem Mitglied des Aufsichtsrats steht gem § 92 Abs 3 AktG das zwingende Recht zu, einer beabsichtigten schriftlichen Beschlussfassung im Umlaufweg zu widersprechen. Daher muss jedem Mitglied des Aufsichtsrats die beabsichtigte Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe auch tatsächlich zugegangen sein.
Möchte sich die beklagte Aktiengesellschaft darauf stützen, dass ein Geschäft trotz Zustimmung der Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder im Umlaufweg letztlich doch nicht zustande gekommen ist, weil ein Aufsichtsratsmitglied von der Abstimmung im schriftlichen Weg keine Kenntnis hatte, trifft sie die Beweislast dafür. Die Aufsichtsratsmitglieder der bekl AG können nämlich nicht vom gegnerischen Kläger als Zeugen zu diesem Thema geführt werden, weil sie betr das Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis grds zum Stillschweigen verpflichtet sind; diese Verschwiegenheitsverpflichtung gilt aber nicht gegenüber der Aktiengesellschaft oder gegenüber dem Vorstand.
Kann daher nicht festgestellt werden, ob ein Aufsichtsratsmitglied von der Abstimmung im schriftlichen Weg Kenntnis hatte, geht diese Negativfeststellung – infolge dieser Beweislastverteilung – zu Lasten der beklagten Aktiengesellschaft.
Sachverhalt
Die beklagte AG ist Wohnungseigentümerin zahlreicher Mindestanteile an einer Liegenschaft im ersten Wiener Gemeindebezirk. Die kl P erstatteten am 14. 3. 2011 der bekl P ein Kaufanbot für bestimmte Wohnungseigentumsobjekte. Dieses Kaufanbot wurde vom einzelvertretungsbefugten Vorstandsmitglied der bekl P unterfertigt, wobei handschriftlich der Zusatz „vorbehaltlich Genehmigung des Aufsichtsrates“ beigefügt wurde. Weitere Bedingungen wurden weder schriftlich niedergelegt noch mündlich besprochen.
In der Folge unterzeichneten alle Aufsichtsratsmitglieder außer einem den Aufsichtsratsbeschluss. Ob dieses sechste Aufsichtsratsmitglied von dem Beschluss oder von dessen Fassung im Umlaufweg wusste, kann nicht festgestellt werden.
Dem Begehren auf Einverleibung des Eigentumsrechts gegen Zahlung des Kaufpreises hielt die Bekl entgegen, es liege kein rechtsverbindlicher Kaufvertrag vor, weil der Umlaufbeschluss zur Genehmigung des Geschäfts nicht von allen Aufsichtsratsmitgliedern unterfertigt worden sei. Das sechste Aufsichtsratsmitglied sei über den Umlaufbeschluss nicht informiert worden; dass es gegen die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren Widerspruch erhoben habe, brachte die bekl P nicht vor.
Anders als das ErstG gab das BerufungsG dem Klagebegehren statt: Es sei der Bekl die Beweislast dafür zuzuweisen, dass die vom Aufsichtsratsvorsitzenden, seinem Stellvertreter und drei weiteren Aufsichtsratsmitgliedern durch ihre Unterschrift dokumentierte Absicht zur Genehmigung des Kaufvertrags mittels Umlaufbeschlusses dem verbleibenden sechsten Aufsichtsratsmitglied verborgen geblieben sei. Dieser Umstand gehe aus der erstgerichtlichen Negativfeststellung nicht hervor, biete das non liquet doch Raum sowohl für das Unterbleiben als auch für das Stattfinden der Information. Sei das sechste Aufsichtsratsmitglied über die beabsichtigte Beschlussfassung im schriftlichen Weg informiert gewesen und ihr Widerspruch dagegen gerade nicht festgestellt, hafte der Willensbildung der beklagten Verkäuferin kein Fehler an.
Der OGH gab der dagegen erhobenen Revision keine Folge.
Entscheidung
Negativfeststellung – Beweislast
Nach Ansicht der bekl Aktiengesellschaft hätten auch die kl P die Einvernahme der Aufsichtsratsmitglieder als Zeugen beantragen und durch deren Aussage klären können, wie der Kenntnisstand des sechsten Aufsichtsratsmitglieds bezüglich den Umlaufbeschluss war. Dass die bekl P beweisen müsse, dass es keine Kenntnis davon gehabt habe, widerspräche dem Grundsatz, dass Negativtatsachen nicht zu beweisen seien („negativa non sunt probanda“).
Dem hält der OGH va entgegen, dass dem Argument der Schwierigkeit des „Negativbeweises“ nach neuerer Auffassung keine entscheidende Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0040182 [T6]). Selbst wenn man die angedachte Beweisführung als zulässig ansähe, wäre die dadurch erstrebte Information für die kl P nicht zu erlangen gewesen: Gemäß § 84 Abs 1 zweiter Satz iVm § 99 AktG haben die Aufsichtsratsmitglieder über vertrauliche Angaben Stillschweigen zu bewahren. Diese Verpflichtung erfasst auch das Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis und die Aufsichtsratsmitglieder hätten daher die Aussage verweigern dürfen, weil sie sonst eine staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit verletzt hätten (§ 321 Abs 1 Z 3 ZPO). Da die Aufsichtsratsmitglieder einer objektiv normierten Sorgfaltspflicht unterliegen (deren Verletzung haftbar macht), hätten sie ohne Entbindung von ihrer Verschwiegenheitspflicht durch die bekl P die Aussage darüber sogar verweigern müssen.
Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder gilt freilich nicht gegenüber der beklagten Aktiengesellschaft oder gegenüber dem Vorstand derselben, so der OGH weiter. Im Sinne ihrer Sorgfaltspflicht hätten sie gegenüber der bekl Aktiengesellschaft sogar reden müssen, wäre ihre Aussage doch wesentlich dafür, wie die bekl P bestmöglich den gegenständlichen Prozess führen könne. Für die bekl P war es daher sehr leicht, sich die nötige Information betreffend die in Rede stehende Negativfeststellung zu besorgen. Dieser Befund bestärkt nach Ansicht des OGH die Beurteilung des BerufungsG, dass hier kraft der für die bekl P gegebenen „Nähe zum Beweis“ diese beweispflichtig ist: Nach der stRsp kommt es zu einer Verschiebung der Beweislast dann, wenn der Kl mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen dem Bekl diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (RIS-Justiz RS0037797 [T19, T24]).
Für den Umstand, dass jedem Mitglied des Aufsichtsrats die beabsichtigte Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe auch tatsächlich zugegangen sein muss, trifft also die bekl P die Beweislast. Da diesbezüglich eine Negativfeststellung betreffend das sechste Aufsichtsratsmitglied getroffen wurde, wertete der OGH auch alle weiteren Ausführungen der bekl AG als irrelevant, die davon ausgehen, es hätten nicht alle Aufsichtsratsmitglieder von der Beschlussfassung im schriftlichen Weg gewusst.
Einen Widerspruch des sechsten Aufsichtsratsmitglieds gegen die Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe hat die bekl P nicht behauptet und der OGH musste daher nicht auf die Frage eingehen, welche Partei diesbezüglich im Fall einer Negativfeststellung die Beweislast trifft.
Ergebnis
Als Ergebnis hielt der OGH fest: Die Beweislast dafür, dass bei einer Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft gem § 92 Abs 3 AktG nicht alle Aufsichtsratsmitglieder von der Abstimmung im schriftlichen Weg Kenntnis hatten, trifft die Aktiengesellschaft.
Da die beklagte Aktiengesellschaft diesen Beweis nicht erbracht hat, ist von der Kenntnis des sechsten Aufsichtsratsmitglieds über die Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe auszugehen, weshalb mangels behaupteten Widerspruchs des sechsten Aufsichtsratsmitglieds gegen dieses Verfahren von einem gültigen Aufsichtsratsbeschluss auszugehen ist. Die aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Kaufvertrags ist daher eingetreten, was zur Klagsstattgebung führt.