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Ist der Inhalt von Parteianträgen unklar, ist dieser von Amts wegen zu erforschen. Wesentlich ist dabei nicht die Bezeichnung, sondern das erkennbare Ziel des Anbringens. Im vorliegenden Fall lag ein Anbringen vor, das Form und Titel nach als Antrag auf Wiederaufnahme gem § 303 BAO ausgestaltet war. Das BFG – über den Inhalt der Parteierklärung im Zweifel – erkannte das Anbringen nach Mängelbehebung (auch) als Antrag nach § 299 BAO und wurde darin vom VwGH bestätigt. Dass das uneindeutige Anbringen von einer Rechtsanwältin eingebracht wurde, war hierbei unerheblich.
VwGH 29. 7. 2020, Ra 2020/13/0046
Sachverhalt
Die anwaltlich vertretene Partei brachte am 17. 4. 2018 beim zuständigen Finanzamt einen Schriftsatz betreffend Einkommensteuer 2011-2016 ein, dem Folgendes zu entnehmen ist:
„[…] II. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens
[1. Ausführung zum Sachverhalt]
2. Antrag gem. § 303 BAO
Gem. BAO ist dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber dem Prinzip der Rechtskraft hier der Vorzug einzuräumen. Es wird darum ersucht, auf diese neu hervorgekommenen Tatsachen bzw. Beweise Rücksicht zu nehmen und die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit bzw. darauf basierend die Einkommenssteuer entsprechend zu berechnen. Bei Kenntnis dieser Tatsachen, hätte der Einkommenssteuerbescheid für die Jahre 2011 bis 2016 schließlich einen anderslautenden Spruch enthalten, womit die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 301 Abs 1 BAO vorliegen. Die Beschuldigte stellt daher den
ANTRAG
a) auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO und
b) auf Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt-Jahre 2011
bis 2016 sowie
c) eine neuerliche meritorische Entscheidung nach § 307 Abs. 1 BAO“.
Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme ab, da die Voraussetzungen (neue Tatsachen) für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO nicht gegeben waren. Nach Vorlage der gegen den abweisenden Bescheid erhobenen Beschwerde an das BFG ersuchte diese die Beschwerdeführerin mittels Mängelbehebungsauftrag nach § 85 (2) BAO um Mitteilung, ob das Anbringen vom 17. 4. 2018 „auch als Antrag gemäß § 299 BAO zu werten sei, weil einerseits unter dem Punkt II.2.b des Schriftsatzes der Antrag "b) auf Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt-Jahre 2011bis 2016" gestellt worden und andererseits aus dem Schriftsatz ausschließlich eine materielle Begründung für die behauptetet Unrichtigkeit der Einkommensteuerbescheide 2011 – 2016 angeführt sei“. Die Partei brachte daraufhin vor, das Anbringen vom 17. 4. 2018 sei als Antrag auf Aufhebung der unrichtigen Bescheide gem § 299 und bloß in eventu als Wiederaufnahmeantrag zu sehen. Da über den Antrag nach § 299 BAO vom Finanzamt nicht entschieden worden war (sondern lediglich über den auch als solchen erkannten Antrag nach § 303 BAO), hob das BFG schlussendlich im Säumnisverfahren die gegenständlichen ESt-Bescheide 2011 bis 2016 gem § 299 BAO auf. Das Finanzamt hätte das Anbringen nämlich nicht ausschließlich als Antrag gem § 303 BAO werten dürfen, sondern auch als Antrag gem § 299 BAO. Hiergegen erhob das Finanzamt außerordentliche Revision.
Entscheidung des VwGH
Nach der stRsp des VwGH kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Allerdings kann auch bei rechtsschutzfreundlicher Interpretation von Parteienerklärungen nicht die Befugnis oder Pflicht der Behörde abgeleitet werden, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nichterstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt.
Wenn auch grundsätzlich davon auszugehen ist, dass ein beruflicher Parteienvertreter einen Antrag im Namen seines Mandanten klar zum Ausdruck bringt, so zeigt der vorliegende Fall, dass (ausnahmsweise) auch berufliche Parteienvertreter Anträge so verfassen, dass sie undeutlich sind. Wenn das Bundesfinanzgericht vor diesem Hintergrund es als notwendig erachtete, die Absicht der Partei zu erforschen, und dabei zum Ergebnis gelangte, dass die Eingabe vom 17. 4. 2018 auch als Antrag nach § 299 BAO zu verstehen sei, so war dies keinesfalls unvertretbar.
Conclusio
Der VwGH folgt hier seiner stRsp, nach welcher es nicht auf die (verbale) Form eines Anbringens ankommt, sondern auf das – gegebenenfalls unter Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens – zu erforschende Ziel des Parteivorbringens.