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Bauwesenversicherung: Kulanzweise Versicherungsleistung, Akonto

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VersVG: § 11

Die Bauwesenversicherung schützt als Sachversicherung (Art 1 BW 1/75) die im Rahmen eines Bauprojekts zu erbringenden Leistungen (Bauwerke) während ihrer Entstehung. Im vorliegenden Fall hat die bekl Bauherrin die Bauwesenversicherung als Versicherungsnehmerin für das Bauvorhaben Umbau ihres Einkaufszentrums abgeschlossen, die kl Bauunternehmerin ist Mitversicherte. Im Versicherungsvertrag ist sowohl das eigene Interesse der Bekl als Bauherrin als auch das fremde Interesse aller beteiligten Bauunternehmer mitversichert (vgl Art 6 BW 1/75). Der Versicherungsnehmer ist (formeller) Vertragspartner des Versicherers (vgl Art 6 Z 3 BW 1/75), der Versicherte aber der (materielle) Gläubiger und Inhaber der Ansprüche. Der Versicherungsnehmer ist deshalb verpflichtet, eine allenfalls bereits erhaltene Versicherungsleistung dem Versicherten weiterzuleiten, weil er andernfalls bereichert wäre. Das gilt auch für kulanzweise erlangte Versicherungsleistungen.

Soweit die Kl das Klagebegehren darauf stützt, dass der Bauwesenversicherer der Bekl für den Versicherungsfall eine Versicherungsleistung erbrachte, die auch ihr als Mitversicherter des Versicherungsvertrags zusteht, ist ihr Anspruch nicht berechtigt, weil sie keinen Treuhanderlag zu ihren Gunsten nachweisen konnte, zu dessen Herausgabe die Bekl verpflichtet wäre: Die Bekl verlangte nur für sich selbst als Versicherungsnehmerin zur Begleichung der Leistungen dritter Unternehmer eine Abschlagszahlung nach § 11 Abs 2 VersVG und der Bauwesenversicherer zahlte auch nur auf dieses Verlangen. Gegenstand des Verlangens der Bekl waren keine Forderungen der Kl als Versicherte, sodass solche vom Versicherer auch nicht beglichen wurden. Nachdem die Bekl zu einer Teilrechnung den Versicherer angewiesen hatte, die Rechnung der Kl gerade nicht zu zahlen, forderte sie gerade nicht für die Kl eine Versicherungsleistung und der Bauwesenversicherer leistete auch nachfolgend keine Versicherungsleistungen zugunsten der Kl. Vielmehr erbrachte er Abschlagszahlungen auf Forderungen der Bekl. Auch aus dem Abrechnungsvorschlag des Bauwesenversicherers fünf Monate nach der letzten Abschlagszahlung ergibt sich kein Treuhanderlag zugunsten der Kl: Anders als die Kl meint, lässt sich auch nicht aus dem Abrechnungsvorschlag ableiten, dass der Versicherer damit eine andere Widmung der zuvor getätigten Abschlagszahlungen an die bekl Versicherungsnehmerin vorgenommen hätte. Zudem hat die Bekl den Abrechnungsvorschlag nicht angenommen.

OGH 15. 9. 2021, 7 Ob 111/21f

Entscheidung

Die Kl stützt ihren Anspruch auch auf die Verletzung des Treuhandverhältnisses durch die Bekl und damit auf Schadenersatz, weil diese den Bauwesenversicherer aufgefordert hat, die klagsgegenständliche Rechnung nicht zu zahlen.

Die Bekl hat die strittige Teilrechnung der Kl an den Bauwesenversicherer weitergeleitet, ihn aber angewiesen, diese Rechnung nicht zu zahlen. Sollte dieses Vorgehen kausal dafür gewesen sein, dass der Versicherer nicht auch für die mitversicherte Kl eine Abschlagszahlung leistete, könnte die Kl bloß den Verspätungsschaden geltend machen, was aber nicht der Fall ist. Die Kl macht vielmehr das Erfüllungsinteresse geltend, sie will von der bekl Versicherungsnehmerin „Deckung“, nämlich die Bezahlung ihrer Rechnung.

Nach § 75 Abs 2 VersVG kann der Versicherte ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers über seine Rechte nur dann verfügen und diese Rechte nur dann gerichtlich geltend machen, wenn er im Besitz eines Versicherungsscheins ist. § 75 Abs 2 VersVG ist nachgiebiges Recht (RS0035281). Art 6 Z 3 BW 1/75 bestimmt dazu, dass über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nur der Versicherungsnehmer verfügen kann. Diese Vereinbarung ist zwar grundsätzlich zulässig, die Berufung des Versicherers auf die fehlende Verfügungsmacht des Versicherten kann aber unter bestimmten Umständen rechtsmissbräuchlich sein. Wenn feststeht – etwa durch namentliche Bezeichnung des Versicherten im Versicherungsschein – oder für den Versicherer sonst leicht feststellbar ist, dass der Versicherte in den Deckungsbereich des Versicherungsvertrags einbezogen ist, darf sich der Versicherer mangels eigener Schutzbedürftigkeit nach Treu und Glauben nicht auf die Abbedingung der Voraussetzungen des § 75 Abs 2 VersVG für ein eigenes Verfügungsrecht des Versicherten berufen.

Die Bekl lehnte die Verfolgung der Ansprüche der versicherten Kl gegen den Versicherer von vornherein ausdrücklich ab. Die Kl ist dem Versicherer als Versicherte bekannt. Es sind weder aus den Feststellungen noch aus dem Vorbringen der Kl Umstände erkennbar, die eine Berufung des Versicherers auf Art 6 Z 3 BW 1/75 nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen, wenn sie ihre eigenen Ansprüche verfolgen würde. Da ihr der Anspruch gegen den Versicherer im eigenen Namen zusteht, hat sie keinen Schaden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31834 vom 16.12.2021