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Begründungslose „Leerbeschwerden“ zur Fristverlängerung sind nicht rechtsmissbräuchlich

Bearbeiter: Florian Fiala

BAO: § 85 Abs 2, § 245 Abs 3

Abstract

In der Praxis werden häufig „Leerbeschwerden“ eingebracht, um über ein Mängelbehebungsverfahren eine faktische Verlängerung der Beschwerdefrist zu erwirken. Der VwGH hat den Missbrauchsbedenken des BFG zu dieser Vorgehensweise eine Absage erteilt: Die BAO (im Gegensatz etwa zum AVG) sieht die Möglichkeit einer Verlängerung der Beschwerdefrist auf Antrag vor (§ 245 Abs 3 BAO). Damit besteht aber nicht die Gefahr, dass im Wege einer „leeren Beschwerde" ein Rechtsinstitut erzeugt wird, das die BAO nicht kennt. „Leerbeschwerden“ sind daher nicht als unzulässig weil rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen, sondern mit einem Auftrag zur Begründung (Mängelbehebungsauftrag gem § 85 Abs 2 BAO) zu beantworten.

VwGH 18. 1. 2021, Ra 2020/13/0065

Sachverhalt

Die durch einen Steuerberater vertretene Revisionswerberin brachte Beschwerden gegen mehrere, im Zuge einer Außenprüfung ergangene, Bescheide ein. Zur Begründung führten die Beschwerden lediglich aus: „Begründung folgt“. In Folge erteilte das Finanzamt der Revisionswerberin Aufträge, die Beschwerden zu begründen (Mängelbehebungsauftrag gem § 85 Abs 2 BAO). Innerhalb gesetzter Mängelbehebungsfrist – nachdem ein (die Mängelbehebungsfrist hemmender) Antrag auf Verlängerung der Mängelbehebungsfrist abgewiesen wurde – reichte die Revisionswerberin Begründungen zu ihren Beschwerden nach.

Das BFG wies die Beschwerden gem § 260 Abs 1 lit a BAO als unzulässig zurück. Die Beschwerden seien, zum Zweck auf Umweg eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erreichen, bewusst und rechtsmissbräuchlich mangelhaft gestaltet worden. Gegen die zurückweisende Entscheidung des BFG erhob die Revisionswerberin außerordentliche Revision.

Entscheidung des VwGH

Anders als in Verfahren, in denen die Bestimmungen des AVG (VwGVG), des VwGG (vgl § 62 Abs 1 VwGG) oder der ZPO anzuwenden sind, ist in Verfahren nach der BAO eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist – „aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt" – möglich (§ 245 Abs 3 BAO). Damit besteht im Verfahren nach der BAO nach Ansicht des VwGH nicht die Gefahr, dass im Wege einer „leeren Beschwerde" ein Rechtsinstitut erzeugt wird, das die BAO nicht kennt (vgl Lang, AVR 5/2020, 158 ff [166]). Wenn das Bundesfinanzgericht darauf verweist, dass eine leere Beschwerde nicht zur Umgehung des § 245 Abs 3 BAO führen dürfe (könne), ist zu beachten, dass auch ein mangelhafter Fristverlängerungsantrag (jedenfalls wenn dieser selbst nicht missbräuchlich gestellt wird) einem Mängelbehebungsverfahren zugänglich ist.

Vor diesem Hintergrund ist aber nicht erkennbar, dass es zur Vermeidung einer sachlich ungerechtfertigten oder gar willkürlichen Gleichbehandlung geboten sei, die Möglichkeit der Mängelbehebung entsprechend dem Zweck des § 85 Abs 2 BAO, aber abweichend von seinem Wortlaut und entgegen der bisherigen Rechtsprechung zum Berufungsverfahren (vgl VwGH 7. 7. 2011, 2010/15/0024) dahin einzuschränken, dass diese auf die Fallgruppe der bewusst mangelhaft eingebrachten Beschwerden nach der BAO (soweit diese einer Verlängerung der Beschwerdefrist zugänglich sind) nicht anzuwenden wäre.

Somit ist aber der Wortlaut des § 85 Abs 2 BAO insoweit nicht – durch Aufnahme einer darin nicht enthaltenen Ausnahmebestimmung – zu reduzieren. Auch bei Beschwerden nach der BAO (wenn diese einer Verlängerung der Beschwerdefrist zugänglich sind), die wie im vorliegenden Fall bewusst mangelhaft verfasst wurden, ist eine Mängelbehebung aufzutragen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Conclusio

Der Zurückweisung einer absichtlich begründunglos gelassenen Beschwerde als unzulässig, weil rechtsmissbräuchlich, schließt der VwGH mit dieser Entscheidung augenscheinlich die Tür. Ein Hintertürchen für die Zurückweisung aus Missbrauchsgründen lässt er dennoch offen: Eine Leerbeschwerde mit dem Ziel der Verlängerung der Beschwerdefrist kann nach Ansicht des VwGH zwar nicht rechtsmissbräuchlich sein, wohl aber der „direkte“ Rechtsbehelf, dh ein Fristverlängerungsantrag nach § 245 Abs 3 BAO selbst. Ein solcher ist nach der gegenständlichen Entscheidung zwar auch einem Mängelbehebungsverfahren zugänglich, aber nur „wenn dieser selbst nicht missbräuchlich gestellt wird“. Unter welchen Umständen ein Fristverlängerungsantrag solcherart „selbst missbräuchlich“ gestellt ist, lässt die Entscheidung des VwGH jedoch offen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30812 vom 29.04.2021