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dEStG: § 3 Nr 62
DBA Österreich-Deutschland: Art 15 Abs 6
Abstract
In Deutschland sind gesetzlich verpflichtend zu leistende Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers steuerfrei (§ 3 Nr 62 dEStG). Dies gilt auch, wenn die Verpflichtung auf ausländischen Gesetzen beruht. Im vorliegenden Sachverhalt hatte das FG München zu entscheiden, ob Beiträge des österreichischen Arbeitgebers an eine BV-Kasse (§ 6 Abs 1 BMSVG) für in Deutschland ansässige Arbeitnehmer (Grenzgänger) Zukunftssicherungsleistungen iSd § 3 Nr 62 dEStG darstellen. Aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit zu Zukunftssicherungsleistungen des deutschen Sozialversicherungssystems, verneinte das FG München die Anwendung der Steuerbefreiung.
FG München vom 15. 1. 2021, 13 K 2270/15
Sachverhalt
Im August 2013 verlegten die Kläger (Eheleute) ihren Wohnsitz von Österreich nach Deutschland. Ihre unselbstständigen Beschäftigungen bei österreichischen Arbeitgebern behielten sie bei. Das Besteuerungsrecht an den Einkünften aus diesen Tätigkeiten stand (unstrittig) Deutschland als Ansässigkeitsstaat zu (Grenzgängerregelung gem § 15 Abs 6 DBA Deutschland). Die von den österreichischen Arbeitgebern gem § 6 Abs 1 BMSVG verpflichtend für die Eheleute an eine österreichische BV-Kasse zu entrichtenden Beiträge (iRd Systems „Abfertigung Neu“) behandelte das deutsche Finanzamt als steuerpflichtige Einkünfte. Dagegen erhoben die Eheleute Klage. Das FG München gab den Klägern im Jahr 2017 zunächst Recht, da die Abfertigung eine finanzielle Absicherung bei Verlust des Arbeitsplatzes bezwecken solle und die Beiträge an die BV-Kasse damit Zukunftssicherungsleistungen iSd § 3 Nr 62 dEStG darstellen (31. 3. 2017, 13 K 2270/15). Dagegen legte das Finanzamt Revision ein und die Rechtssache gelangte zum BFH (13. 2. 2020, VI R 20/17; siehe dazu ausf Spies/Knotzer, ISR 2020, 352 ff). Dieser stellte zwar fest, dass es sich bei den Beiträgen an die BV-Kasse grundsätzlich um steuerbaren Arbeitslohn handelte, der den Eheleuten auch bereits in den Streitjahren zufloss. Darüber hinaus verneinte er auch – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens – eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit iSd Art 45 AEUV und eine Vorlage an den EuGH. An einer Entscheidung, ob die Beiträge an die BV-Kasse unter § 3 Nr 62 dEStG fallen, sah sich der BFH jedoch mangels ausreichender Feststellungen zum österreichischen Recht gehindert und verwies die Rechtssache an das FG München zurück. Dieses hatte im fortgesetzten Verfahren die Vergleichbarkeit des Systems „Abfertigung Neu“ mit dem deutschen Sozialversicherungssystem zu prüfen. Nur wenn eine derartige Vergleichbarkeit vorliegt, können die BV-Beiträge als Zukunftssicherungsleistungen angesehen werden.
Entscheidung des FG München
Das FG München wies die Klage der Eheleute ab. Dem Gericht zufolge ist das deutsche Sozialversicherungssystem durch eine Grundversorgung im Sicherungsfall (Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Überbrückung einer Insolvenz, altersveranlasstes Ende des Arbeitslebens) charakterisiert. Nur bei Eintritt einer dieser Sicherungsfälle besteht Anspruch auf einen gesetzlich definierten Leistungskatalog. Eine Garantie auf Rückgewähr der geleisteten Beiträge besteht nicht. Diese Beiträge können auch nicht als mögliche Investitionssumme, zur Verbesserung der Altersversorgung, zum Vermögensaufbau nach Ende des Erwerbslebens, als Nachlassvermögen im Todesfall oder in sonstiger beliebiger Weise genutzt werden.
Demgegenüber hat das System „Abfertigung Neu“ nicht die Grundversorgung des begünstigten Arbeitnehmers zum Ziel. Die Leistungserbringung geht nicht zwingend mit dem Eintritt eines bestimmten Sicherungsereignisses einher, sondern kann auch durch Zeitablauf eintreten. Es besteht eine Garantie auf Rückgewähr der geleisteten Beiträge und es kann ein vererbbarer Vermögensaufbau bewirkt werden. Letztlich kann die Abfertigung auch gänzlich losgelöst von Sicherungszwecken genutzt werden. Es steht nicht die Absicherung der Grundversorgung, sondern der Aufbau eines Grundstockvermögens zum variablen Einsatz im Mittelpunkt. Auch die dem deutschen Sozialversicherungssystem fremde fehlende Deckelung der Beitragsleistungen gem BMSVG (1,53 % des monatlichen Bruttolohns) führt das FG München an.
Demnach ist das System „Abfertigung Neu“, nach Ansicht des FG München nicht mit dem deutschen Sozialversicherungssystem vergleichbar. Die Beitragsleistungen fallen somit nicht unter § 3 Nr 62 dEStG und sind steuerpflichtig.
Conclusio
Die vorliegende Entscheidung ist für alle Grenzgänger mit Ansässigkeit in Deutschland und Arbeitgeber in Österreich bedeutsam, die unter das System „Abfertigung Neu“ fallen. In Deutschland sind Beiträge, die der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer gem BMSVG an eine BV-Kasse leistet (anders als in Österreich) steuerpflichtig. Verlegt der Grenzgänger seinen Wohnsitz vor Verfügung über die Abfertigung nach Österreich, droht eine Doppelbesteuerung: Wird die Abfertigung nämlich zur Gänze ausbezahlt, könnte sie in Österreich (wenn auch begünstigt) abermals steuerpflichtig (§ 25 Abs 1 Z 2 lit d iVm § 67 Abs 3 EStG) sein. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung könnte einerseits bereits vor Umzug über die Abfertigung verfügt werden. Ist dies nicht möglich oder gewünscht, können andererseits auch steuerfreie Verfügungsmöglichkeiten (zB Übertragung der Abfertigung an eine Pensionskasse) angedacht werden.