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Abstract
In der vorliegenden Entscheidung war fraglich, wie der Selbstbehalt gem § 34 Abs 4 EStG zu berechnen ist. Nach Ansicht der Bf sollte jeweils nur der Teil des Einkommens, der den jeweiligen Grenzbetrag überschreitet, mit dem höheren Prozentsatz belastet werden. Im Ergebnis hielt das BFG nach Anwendung der Interpretationsmethoden an der in Österreich üblichen Berechnungsweise fest und wendete somit denselben Prozentsatz auf die gesamte Bemessungsgrundlage an.
BFG 6. 2. 2023, RV/3100206/2019
Sachverhalt
Das Einkommen der Beschwerdeführerin (Bf) betrug im Jahr 2017 € 14.929,26. Dieses Einkommen war der Berechnung des Selbstbehaltes für außergewöhnliche Belastungen zu Grunde zu legen. Im selben Jahr hatte die Bf Kosten für eine Zahnbehandlung iHv € 1.516,– zu tragen. Es war unstrittig, dass die Kosten für die Zahnbehandlung dem Grunde nach eine außergewöhnliche Belastung darstellen und davon noch der Selbstbehalt in Abzug gebracht werden muss. Fraglich war jedoch die Höhe des Selbstbehaltes. Den Selbstbehalt im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 berechnete das Finanzamt (FA) folgendermaßen: 10 % von € 14.929,26 = € 1.429,93. Die Bf sprach sich für folgende Berechnungsweise aus: 6 % von den ersten € 7.300,– (= € 438,–) + 8 % von den nächsten € 7.300,– (= € 584,–) + 10 % von den verbleibenden € 329,26 (= € 32,93) = € 1.054,93. Der Selbstbehalt wäre bei der von der Bf als korrekt erachteten Berechnungsweise deutlich niedriger. Die Bf hat diese Berechnungsmethode aus einer Entscheidung des deutschen Bundesfinanzhofs (BFH 19. 1. 2017, VI R 75/2014) zu § 33 dEStG abgeleitet.
Entscheidung des BFG
Nach Ansicht des BFG stellen die Kosten der Zahnbehandlung unstrittig eine außergewöhnliche Belastung dar. Fraglich ist jedoch, wie der Selbstbehalt nach § 34 Abs 4 EStG zu berechnen ist. Nach der stRsp des VwGH wird § 34 Abs 4 EStG so ausgelegt, dass, sobald ein Grenzbetrag überschritten wird, das gesamte Einkommen mit dem höheren Prozentsatz belastet wird (VwGH 12. 9. 2001, 96/13/0066; VwGH 28. 1. 2003, 98/14/0160 mwN; VwGH 24. 5. 2007, 2004/15/0051).
Die Bf stützte sich dagegen auf eine Entscheidung des BFH: Der BFH hat entgegen der in Deutschland üblichen Praxis der Finanzverwaltung ausgesprochen, dass der Selbstbehalt stufenweise nach den jeweiligen Einkommensgrenzen zu berechnen sei (BFH 19. 1. 2017, VI R 75/2014 zu § 33 dEStG). Darüber hinaus brachte die Bf vor, dass diese Berechnung auch dem System der Tarifstufen der Einkommensteuer entspreche.
Das BFG legt § 34 Abs 4 EStG aus und betont, dass auch im Verwaltungsrecht die Auslegungsvorschriften des ABGB anzuwenden sind (VwGH 28. 10. 1988, 88/18/0091). Durch die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung soll der objektive Wille einer Vorschrift ermittelt werden. Die Auslegungsmethoden schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich (VwGH 7. 9. 1989, 89/16/0067). Der äußerst mögliche Wortsinn bildet dabei jedoch die Grenze der Auslegung (VwGH 25. 2. 2004, 99/13/0135).
§ 34 Abs 4 zweiter Satz EStG lautet:
„Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen
von höchstens 7 300 Euro 6%.
mehr als 7 300 Euro bis 14 600 Euro 8%.
mehr als 14 600 Euro bis 36 400 bis 10%.
mehr als 36 400 Euro 12%.“
§ 33 Abs 3 dEStG lautet auszugsweise:
„Die zumutbare Belastung beträgt bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte
bis 15.340 EUR 1-5%
über 15.340 EUR bis 51.130 EUR 1-6%
über 51.130 EUR 2-7%
Prozent des Gesamtbetrags der Einkünfte.“
Nach Ansicht des BFG ist anhand des Wortlautes des § 34 Abs 4 EStG die Berechnung in der Form vorzunehmen, dass derselbe Prozentsatz auf das gesamte Einkommen angewendet wird. Darüber hinaus ist nach Ansicht des BFG bei der sprachlichen Auslegung einer Bestimmung auch die Systematik der Anordnung sowie der Zusammenhang mit anderen Bestimmungen zu berücksichtigen (Posch in Schwimann/Kodek [Hrsg], ABGB Praxiskommentar5 [2018] § 6 ABGB Rz 15). Der Wortlaut „mehr als (…) bis (…)“ bezieht sich iZm dem Teilsatz „bei einem Einkommen...“ auf das gesamte Einkommen und nicht bloß auf die Einkommensteile, die über die jeweilige Grenze gehen. Das BFG weist außerdem darauf hin, dass die deutsche Regelung einen anderen Wortlaut als die österreichische Bestimmung aufweist.
Dem Argument der Bf, dass eine gestaffelte Berechnung des Selbstbehaltes der Systematik des § 34 Abs 4 EStG entspricht, kann nach Ansicht des BFG nicht gefolgt werden. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass nur die Teile, die den jeweiligen Grenzbetrag überschreiten, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet werden, so hätte er eine andere Formulierung gewählt. Siehe bspw § 10 Abs 1 EStG („für die ersten € … der Bemessungsgrundlage … 13 %, für die nächsten € … der Bemessungsgrundlage … 7 % […]“) oder § 33 Abs 1 EStG („für die ersten 11 693 € … 0%, für Einkommensteile über 11.693 € bis 19.134 € … 20% […]“).
Für das BFG besteht „kein Zweifel hinsichtlich der Auslegung und (bisher angewandten) Berechnungsweise dieser Gesetzesbestimmung“. Folglich weist es darauf hin, dass die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes sowie die Absicht des Gesetzgebers bei der Auslegung grds nur dann heranzuziehen sind, wenn die Bedeutung nach der Wortinterpretation und der systematischen Interpretation zweifelhaft bleibt. Das BFG verweist trotzdem auf die Regierungsvorlage (621 BlgNR 27. GP – Besonderer Teil zu § 34 EStG), weil diese gegen die Ansicht der Bf spricht: „Die außergewöhnliche Belastung ist nicht mehr als Tarifbestimmung konzipiert, sondern bereits bei der Ermittlung des Einkommens nach § 2 Abs 2 nach Abzug der Sonderausgaben zu berücksichtigen.“
Im Ergebnis bestätigt das BFG die Art und Weise der Berechnung des Selbstbehaltes vom FA. Da eine Rsp des VwGH zur Art und Weise der Berechnung fehlt, ließ das BFG die Revision zu. Diese wurde jedoch, soweit ersichtlich, noch nicht erhoben.
Conclusio
Das Erkenntnis des BFG zeigt, dass auch bei einer vollkommen üblichen Praxis der Finanzverwaltung neue Fragen aufkommen können. In der Literatur wird die Berechnungsweise des Selbstbehaltes teilweise nicht näher thematisiert (zB Kohler/Gebhart/Lenneis [Hrsg], EStG [2015] § 34 EStG) oder es wird die Ansicht vertreten, die Berechnung erfolgt mit demselben Prozentsatz auf die gesamte Bemessungsgrundlage (zB Peyerl in Kanduth-Kristen/Marschner/Peyerl/Ebner/Ehgartner [Hrsg], EStG23 [2023] § 34 EStG Rz 51; Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke [Hrsg], EStG § 34 EStG Rz 39 [Stand 1. 9. 2021, rdb.at]; Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn [Hrsg], Kommentar zum EStG20 [2018] § 34 EStG Rz 78).
Fuchs verweist allerdings auf Pülzl (Pülzl, Stufenweise Ermittlung des Selbstbehalts nach § 34 Abs 4 EStG?SWK 2017, 838), Pülzl überträgt dabei die Ansicht des BFH auf die österreichische Rechtslage. Nach Ansicht des BFH kann die aktuelle Berechnung zu Grenzsteuersätzen führen, die im Konflikt mit dem Ziel der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen. Das BFG hat diesen Aspekt jedoch nicht näher behandelt. Würde man das Argument der Leistungsfähigkeit und somit der Absicht des Gesetzgebers aufgreifen, stellt sich die Frage, inwieweit dieser Telos heranzuziehen wäre. Das BFG hat in der vorliegenden E darauf verwiesen, dass der Telos der Norm erst aufzugreifen ist, wenn weder der Wortlaut noch die systematische Interpretation zu einem Ergebnis führen. Solche Rangverhältnisse der Interpretationsmethoden könnten aber problematisch sein (Gassner, Interpretation und Anwendung der Steuergesetze [1972] 13).
Anzumerken ist, dass in Deutschland die Formulierung von § 32a Abs 1 dEStG (progressiver Steuersatz) sehr ähnlich zu § 33 Abs 3 dEStG (Selbstbehalt) ist, was für eine ähnliche Berechnungsweise spricht. In Österreich sind § 33 Abs 1 EStG sowie § 34 Abs 4 EStG aufgrund der voneinander abweichenden Formulierungen gerade nicht vergleichbar.
Der VwGH könnte aufgrund des Leistungsfähigkeitsprinzips jedoch auch zum Ergebnis kommen, dass sehr wohl eine stufenweise Berechnung vorzunehmen ist. Das BFG hält jedenfalls an der bisherigen Berechnungsweise (derselbe Prozentsatz auf das gesamte Einkommen) fest, wofür insb der Wortlaut von § 34 Abs 4 EStG sowie der Vergleich zum Wortlaut von § 33 EStG sprechen.