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Abstract
Das BFG hatte über eine Beschwerde gegen einen Haftungsbescheid nach § 9a BAO zu entscheiden. Aufgrund des Fehlens wesentlicher Sachverhaltsfeststellungen hob das BFG den angefochtenen Bescheid unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde auf. Die „grundlegende Verwaltungstätigkeit“ der Ermittlung des Sachverhalts solle nämlich nicht an das BFG übertragen werden.
BFG 16. 2. 2024, RV/5100080/2024
Sachverhalt
Über das Vermögen einer GmbH (Primärschuldnerin) wurde ein Konkursverfahren eröffnet, 95 % der Abgabenforderungen waren uneinbringlich. In der Folge erließ das FA einen Haftungsbescheid gegenüber dem früheren Gesellschafter (Bf) der GmbH, da dieser als faktischer Geschäftsführer iSd § 9a BAO anzusehen sei. Der Bf hatte seine Anteile an der GmbH verkauft, blieb aber in der Folge bei der GmbH angestellt.
Gegen den Haftungsbescheid nach § 9a BAO erhob der Bf Beschwerde. Im Rahmen der Vorlage der Beschwerde übermittelte die Behörde dem BFG weder Informationen über die Konkurseröffnung noch über die Verteilungsquote. Ebenso wenig fanden sich im Akt Informationen zu den Unterlagen, die der Masseverwalter bei der Primärschuldnerin sichergestellt hat. Weiters waren keine Angaben enthalten, inwiefern die Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters an die Staatsanwaltschaft zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Beteiligten geführt hat. Einziges Beweismittel im Akt war die Niederschrift der Finanzpolizei über die Einvernahme des Geschäftsführers iZm dem Verdacht des Vorliegens eines Scheinunternehmens nach § 8 SBBG. Die Niederschrift wurde dem Bf erst nach Erlass des angefochtenen Bescheides übermittelt. Schließlich fanden sich im Akt weiters keine Informationen über eine Befragung der steuerlichen Vertretung der primär schuldenden GmbH.
Entscheidung des BFG
Das BFG hob den angefochtenen Bescheid gem § 278 Abs 1 BAO unter Zurückverweisung an die Abgabenbehörde auf:
Faktische Geschäftsführer sind Personen, die de facto an Stelle des Vertreters die abgabenrechtlichen Pflichten wahrnehmen und verletzen oder die den Vertreter dahin gehend beeinflussen, dass die abgabenrechtlichen Pflichten verletzt werden (Hinweis auf ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 55). Tatsächlicher Einfluss liegt vor, wenn über die finanziellen Mittel des Unternehmens disponiert wird, also aufgrund tatsächlicher Machtausübung faktischer Geschäftsführung vorliegt, obwohl keine formelle Bestellung zum Geschäftsführer gegeben ist (Hinweis auf ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 55).
Die Haftung nach § 9a BAO ist eine Ausfallshaftung, Voraussetzung ist die Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden beim Primärschuldner, somit im vorliegenden Fall bei der GmbH. Weiters muss die tatsächliche Einflussnahme auf die Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen kausal für die Uneinbringlichkeit sein. Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen, dem BFG die Klärung dieser Tatbestandsvoraussetzungen zu ermöglichen.
Die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 278 Abs 1 BAO erfordert, dass das BFG die fehlenden und für maßgeblich erachteten Ermittlungsschritte bezeichnet. Darüber hinaus ist die Frage zu beantworten, ob die Feststellung des Sachverhalts durch das BFG nicht im Interesse der Raschheit des Verfahrens gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (Hinweis auf 9. 9. 2015, Ra 2015/16/0037).
Im vorliegenden Fall würden erst umfangreiche Aktenbeschaffungen und zusätzliche Erhebungen dem BFG ermöglichen, eine Entscheidung zu treffen. Hinsichtlich der tatsächlichen Geschäftsführung iSd § 9a BAO wurden nur unzureichende Ermittlungen durch die belangte Behörde durchgeführt. Insb enthält der Akt keine Feststellungen, wer über die finanziellen Mittel der Primärschuldnerin disponiert hat. Ebenso wenig wurden Feststellungen zum Abgabenausfall bei der Primärschuldnerin dokumentiert. Schließlich fehlen jegliche Feststellungen zu einer konkreten Verletzung abgabenrechtlicher Verpflichtungen und dem Verschulden durch den Bf sowie zum Kausalzusammenhang der Verfehlungen mit dem Abgabenausfall.
Die noch notwendigen weiteren Ermittlungen haben unter Wahrung des Parteiengehörs zu erfolgen. Sinnvollerweise sollen die weiteren Ermittlungsschritte durch Außendienstorgane der belangten Behörde durchgeführt werden. Diese können in Rede, Gegenrede und Würdigung der vorgelegten Beweismittel unmittelbar den maßgeblichen Sachverhalt ermitteln. Demgegenüber müsste das BFG entweder durch Ermittlungsaufträge oder im schriftlichen Vorhaltverfahren gegenüber den Parteien versuchen, den Sachverhalt zu ermitteln und die Ermittlungsergebnisse der jeweils anderen Partei zur Kenntnis- oder Stellungnahme übermitteln. Nach den Erfahrungen mit Sachverhaltsergänzungen in wesentlich geringerem Ausmaß sind derartige Ermittlungen aufgrund der (verlängerbaren) Beantwortungsfristen und der Einarbeitungsphase aller Beteiligten regelmäßig sehr zeit-, arbeits- und kostenaufwendig.
Nach der Rsp des VwGH ist die Aufhebung unter Zurückverweisung restriktiv anzuwenden. Im vorliegenden Fall liegt jedoch ein solcher Ausnahmefall vor, der aus den genannten Gründen die Aufhebung unter Zurückverweisung erfordert. Aufgrund des Umfangs der noch notwendigen Ermittlungen ist der Aufhebung unter Zurückverweisung der Vorrang gegenüber der Fortsetzung der Ermittlungen durch das BFG zu geben. Eine Ermittlung des Sachverhaltes durch das BFG wäre nicht im Interesse der Raschheit oder der Kostenersparnis geboten. In vielen Bereichen muss der Sachverhalt überhaupt erstmals ermittelt und beurteilt werden. Dies würde eine Verfahrensverzögerung darstellen und es wäre keinesfalls eine Entscheidung binnen der sechsmonatigen Entscheidungspflicht nach § 291 Abs 1 BAO möglich.
Die Revision ließ das BFG nicht zu. Begründend wurde ausgeführt, dass die im vorliegenden Fall getroffene Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt.
Conclusio
Die Aufhebung eines Bescheides unter Zurückverweisung an die belangte Behörde erfordert, dass die Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts unterlassen wurde und dessen Feststellung durch das BFG nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (vgl Tanzer/Unger in Rzeszut/Tanzer/Unger (Hrsg) BAO Stoll Kommentar [2023] § 278 Rz 9). Sinn und Zweck der Bestimmung ist die Entlastung der Rechtsmittelbehörde und die Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens (Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 278 Rz 6 mit Hinweis auf Rsp des BFH zur Zurückverweisung nach § 100 Abs 3 FGO). Nach der Rsp ist die Zurückverweisung an die belangte Behörde als „Ausnahmebestimmung“ anzusehen, die „an den Zielsetzungen Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 orientiert“, einen engen Anwendungsbereich hat (siehe zB VwGH 31. 1. 2018, Ra 2017/15/0017 mwN). Das BFG hat somit abzuwägen, ob es noch erforderliche Ermittlungen selbst vornimmt, es der belangten Behörde Ermittlungsaufträge nach § 269 Abs 2 BAO erteilt oder es die Sache nach § 278 Abs 1 BAO zur neuerlichen Entscheidung (und insb Sachverhaltsermittlung) an die Behörde zurückverweist. Nach dem VwGH-Erk vom 21. 11. 2002, 2002/20/0315, das zur Zurückverweisung nach § 66 Abs 2 AVG ergangen ist, jedoch mittlerweile auch in Entscheidungen des Gerichtshof zum Steuerrecht zitiert wird (zB VwGH 31. 5. 2017, Ro 2015/13/0022), ist für eine Zurückverweisung maßgebend, ob es „wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens“ vor die Kontrollinstanz käme „und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde“. Dies wird im vorliegenden Fall wohl zutreffen. Eine „überschießende Handhabung“ des Instruments der Kassation lag im Jahr 2011 nach Fischerlehner nicht vor, damals kam es bei 9.192 entschiedenen Rechtssachen zu 170 Kassationen (1,85 %, siehe Fischerlehner, Das Bescheidbeschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht in Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz [2013] 315 [326]). Diese Beurteilung wird wohl auch heute zutreffend sein: Von 10.115 Erledigungen im Bereich Steuern und Beihilfen im Jahr 2022 ist es lediglich zu 108 Kassationen gekommen (1,06 %, siehe Tätigkeitsbericht des BFG für das Jahr 2022, abrufbar unter www.bfg.gv.at/public/taetigkeitsbericht).