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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
Abstract
Das BFG hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob bei einem Antrag auf Aufhebung oder Abänderung gem § 295 Abs 4 BAO in Bezug auf die Rechtzeitigkeit des Antrages die im Antragstellungszeitpunkt oder die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag geltende Rechtslage anzuwenden ist. Das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag geltende „neue“ Rechtslage anwendbar ist und wies den Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides des Bf wegen Verspätung zurück. Demgegenüber sprach das BFG aus, dass es für die Antragsfrist auf die noch „alte“ Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung ankommt. Der beschwerdegegenständliche Antrag nach § 295 Abs 4 BAO wurde nach der alten Rechtslage fristgerecht eingebracht, weshalb der Zurückweisungsbescheid der Abgabenbehörde aufgehoben wurde. Die Revision wurde zugelassen, soweit ersichtlich jedoch (noch) nicht erhoben.
BFG 31. 3. 2025, RV/7102333/2021
Sachverhalt
Der Bf war im Jahr 2007 atypisch stiller Gesellschafter einer Gesellschaft (die Gesellschaft). Das Finanzamt änderte (i) am 27. 10. 2015 den Einkommensteuerbescheid 2007 des Bf aufgrund des vermeintlichen Feststellungsbescheides der Gesellschaft vom 15. 10. 2015 (vermeintlicher Feststellungsbescheid) und (ii) am 14. 1. 2019 abermals den Einkommensteuerbescheid 2007 des Bf aufgrund der vermeintlichen Beschwerdevorentscheidung betreffend Feststellungsverfahren der Gesellschaft vom 19. 12. 2018 (vermeintliche Beschwerdevorentscheidung) ab. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 26. 9. 2019 (zugestellt am 14. 10. 2019) wurde im Feststellungsverfahren der Gesellschaft die Beschwerde gegen den vermeintlichen Feststellungsbescheid zurückgewiesen, weil sowohl der vermeintliche Feststellungsbescheid als auch die vermeintliche Beschwerdevorentscheidung aufgrund fehlerhafter Adressierung Nichtbescheide waren. Da es sich beim vermeintlichen Feststellungsbescheid und bei der vermeintlichen Beschwerdevorentscheidung um Nichtbescheide handelte, beantragte der Bf am 14. 12. 2020 die Aufhebung seines Einkommensteuerbescheides 2007 vom 14. 1. 2019 gem § 295 Abs 4 BAO.
Das Finanzamt wies den Antrag auf Aufhebung gem § 295 Abs 4 BAO mit Bescheid vom 7. 6. 2021 ab. Nach Ansicht des Finanzamtes sei § 295 Abs 4 BAO idF BGBl I 2021/3 (COVID-19-StMG) (anwendbar ab 8. 1. 2021) anzuwenden, weil die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag maßgeblich sei. Durch diese Gesetzesänderung wurde die Frist für die Stellung eines Antrages nach § 295 Abs 4 BAO neu geregelt. Danach ist der Antrag nach § 295 Abs 4 BAO innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung gegen den Grundlagenbescheid zu stellen. Da die Beschwerdevorentscheidung zu den Nichtbescheiden am 14. 10. 2019 zugestellt wurde, wäre der Antrag nach § 295 Abs 4 BAO dem Finanzamt zufolge bis Montag, den 16. 11. 2020, zu stellen gewesen.
Dagegen brachte der Bf Beschwerde ein und argumentierte, dass die Rechtslage ab dem 8. 1. 2021 (Antragsfrist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung) nur auf ab dem 8. 1. 2021 gestellte Anträge Anwendung finden können. Auf den von ihm davor gestellten Antrag vom 14. 12. 2020 sei noch die frühere Rechtslage des § 295 Abs 4 idF BGBl I 2019/62 anzuwenden. Danach war der Antrag nach § 295 Abs 4 BAO vor Ablauf der für Wiederaufnahmeanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist zu stellen. § 304 BAO in der im Zeitpunkt der Antragstellung (14. 12. 2020) geltenden Fassung (BGBl I 2018/62) sah vor, dass nach Eintritt der Verjährung eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zulässig ist, wenn sie (a) vor Eintritt der Verjährungsfrist beantragt wird, oder (b) innerhalb von drei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides beantragt oder durchgeführt wird. Diese Frist sei nach Ansicht des Bf noch nicht verstrichen, weshalb die Antragstellung auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides nach § 295 Abs 4 BAO am 14. 12. 2020 fristgerecht erfolgte.
Entscheidung des BFG
Unstrittig ist im gegenständlichen Fall, dass der Antrag auf Aufhebung nach § 295 Abs 4 BAO im Zeitpunkt seiner Antragstellung (14. 12. 2020) nach der in diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage rechtzeitig gestellt wurde. Gem § 295 Abs 4 BAO idF BGBl I 2019/62 war die nach § 304 BAO für Wiederaufnahmeanträge maßgebliche Frist anwendbar. Strittig ist jedoch, ob hinsichtlich der Rechtzeitigkeit des Antrages eben diese im Antragstellungszeitpunkt geltende Rechtslage (§ 295 Abs 4 BAO idF BGBl I 2019/62) oder die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag geltende Rechtslage anzuwenden ist. Danach wäre der Antrag wie vom Finanzamt entschieden, innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung, also bis Montag, den 16. 11. 2020, zu stellen gewesen.
§ 295 Abs 4 BAO ist eine verfahrensrechtliche Bestimmung und grundsätzlich für ab ihrem Inkrafttreten erfolgende Amtshandlungen anzuwenden (vgl VwGH 30. 9. 2015, 2012/15/0111; Ritz, Abänderung oder Aufhebung auf Nichtbescheide gestützter Bescheide [1. Teil], AFS 2024, 2 ff mwN). Ritz führt in Bezug auf die Antragsfrist weiter aus: „Nach Inkrafttreten der Aufhebung der Fristbestimmung (des § 295 Abs. 4 BAO aF) durch den VfGH (somit nach dem 31. Dezember 2020) bestand vor 8. Jänner 2021 keine das Antragsrecht befristende Bestimmung. Wurden in dieser Zeit (1. bis 7. Jänner 2021) Aufhebungsanträge gestellt, so erscheint die de facto rückwirkende Anwendbarkeit der Jahresfrist auf solche im Zeitpunkt der Antragstellung ‚rechtzeitige‘ Anträge verfassungsrechtlich bedenklich; ebenso wie die neue Verjährungsausnahme für bereits verjährte Zeiträume. Dies spricht für eine verfassungskonforme (keine Anwendbarkeit der Neufassung annehmende) Interpretation (des § 11 Abs 1 Bundesgesetzblattgesetz); dies gilt umso mehr für die Anlassfälle (iSd Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG)“ (vgl Ritz, AFS 2024, 5).
Dieser Rechtsmeinung schließt sich das Bundesfinanzgericht an. Ein anderes Ergebnis würde dem Gleichheitsgrundsatz (Vertrauensschutz) widersprechen, da die Gesetzesänderung auf die Frage der Rechtzeitigkeit des Antrages rückwirkte.
Es kam daher auf die Rechtslage betreffend Antragsfrist im Zeitpunkt der Antragstellung an. Der Antrag gem § 295 Abs 4 BAO war somit nach Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung am 14. 12. 2020 gem § 295 Abs 4 BAO iVm § 304 BAO vor Eintritt der Verjährungsfrist oder innerhalb von drei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides zu beantragen. Im gegenständlichen Fall wurde der das ESt-Verfahren 2007 abschließende Bescheid am 14. 1. 2019 erlassen. Der vom Bf gestellte Antrag auf Aufhebung nach § 295 Abs 4 BAO am 14. 12. 2020 wurde somit noch innerhalb der 3-jährigen Frist ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides gestellt.
Die Sache der gegenständlichen Beschwerde war lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages gem § 295 Abs 4 BAO wegen Verspätung. Das BFG hat nicht über den Antrag auf Änderung des ESt-Bescheides vom 14. 1. 2019 zu entscheiden. Vielmehr hat das Finanzamt über den nunmehr wieder unerledigten Antrag unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund der Verspätung zu entscheiden.
Da zu der Frage, ob ein nach „alter“ Rechtslage im Antragstellungszeitpunkt rechtzeitig eingebrachter Antrag auf Aufhebung gem § 295 Abs 4 BAO nach „neuer“ im Entscheidungszeitpunkt geltender Rechtslage verfristet und damit zurückzuweisen ist, keine Rsp des VwGH vorliegt, war die Revision zuzulassen.
Conclusio
Die Frist zur Stellung eines Antrags nach § 295 Abs 4 BAO war bereits in der Stammfassung umstritten. Nach § 295 Abs 4 letzter Satz BAO in der Stammfassung (BGBl I 2011/76) war der Antrag vor Ablauf der für Wiederaufnahmeanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist zu stellen. Dieser letzte Satz des § 295 Abs 4 BAO wurde durch den VfGH als verfassungswidrig aufgehoben (vgl VfGH 4. 12. 2019, G 159/2019, G 226/2019, G 248/2019). Der VfGH erachtete die Befristung des Antragsrechts als unsachlich. In der Entscheidung hat der VfGH zum Ausdruck gebracht, dass er in der bisherigen Bestimmung des § 295 Abs 4 BAO eine eigenständige Regelung zur Aufhebung von Bescheiden sieht, die unabhängig von der in § 302 Abs 1 BAO mit dem Ablauf der Verjährungsfrist begrenzten Zulässigkeit von Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden besteht (siehe dazu im Detail Vock, Die Neufassung des § 295 Abs 4 BAO durch das COVID-19-StMG, AVR 2020, 202).
Durch das COVID-19-StMG änderte der Gesetzgeber die Antragsfrist des § 295 Abs 4 BAO dahin gehend, dass der Antrag innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen ist. Diese Neuregelung ist mangels ausdrücklicher Inkrafttretensbestimmung mit 8. 1. 2021 in Kraft getreten. Verfahrensrechtliche Bestimmungen wie etwa § 295 Abs 4 BAO sind grundsätzlich für ab ihrem Inkrafttreten erfolgende Amtshandlungen anzuwenden (vgl ua VwGH 15. 12. 2014, Ro 2014/17/0083; 30. 9. 2015, 2012/15/0111; 17. 11. 2020, Ra 2019/13/0067; Unger, Verfahrenshilfe in Abgabensachen – Teil I: Fragen und Antworten, taxlex 2017, 161 [162]). So geht auch das Fachschrifttum davon aus, dass bspw bei einer ähnlichen verfahrensrechtlichen Bestimmung wie § 299 BAO für die Aufhebung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufhebung maßgebend ist (vgl Ritz/Koran, BAO8 [2025] § 299 Rz 14; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 299 Anm 16 [Stand 1. 1. 2017, rdb.at]). Diese Ansicht würde daher für die Vorgehensweise der Abgabenbehörde sprechen, wonach die „neue“ Antragsfrist (ein Jahr ab Rechtskraft der Zurückweisung der gegen den Nichtbescheid gerichteten Beschwerde) für nach dem 8. 1. 2021 erfolgte Entscheidungen der Abgabenbehörde maßgebend ist. Danach wären auch bereits vor dem 8. 1. 2021 gestellte Anträge verfristet, wenn sie von der Abgabenbehörde nach dem 8. 1. 2021 erledigt werden und bereits ein Jahr ab Rechtskraft der Zurückweisung der gegen den Nichtbescheid gerichteten Beschwerde verstrichen ist.
Wie vom BFG zitiert, hat Ritz beim Abstellen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung verfassungsrechtliche Bedenken, weil die „neue“ Jahresfrist des § 295 Abs 4 BAO de facto auch auf vor dem 8. 1. 2021 und im Zeitpunkt der Antragstellung womöglich fristgerecht gestellte Anträge nach § 295 Abs 4 BAO zurückwirkt (vgl Ritz, AFS 2024, 5). Da soweit ersichtlich keine Revision erhoben wurde, ist somit vorerst in Bezug auf Antragsfristen, wie vom BFG entschieden, die Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend. Die BFG-Entscheidung kann jedoch wohl nur so verstanden werden, dass die Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung nur in Bezug auf Antragsfristen maßgebend sein kann. Abgesehen davon hat die Rechtsmittelbehörde im Einklang mit der Rsp des VwGH bis auf wenige Ausnahmen (siehe zu den Ausnahmen näher Ritz/Koran, BAO8 [2025] § 279 Rz 32 ff) von der Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung auszugehen (vgl ua VwGH 26. 6. 2003, 2002/16/0301; 17. 5. 2004, 2003/17/0134; 24. 3. 2009, 2006/13/0149; 15. 2. 2023, Ra 2020/13/0045).