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BFG: Gutschrift von Zinserträgen als Zufluss von Kapitalerträgen

Bearbeiter: Bence Péter Komár

EStG 1988: § 15 Abs 1, § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 und Abs 2

Abstract

Im vorliegenden Fall hatte das BFG die Frage zu beantworten, ob gutgeschriebene und anschließend reinvestierte Zinserträge als zugeflossene Kapitalerträge iSd § 19 Abs 1 EStG zu beurteilen sind und somit der Bf in den Jahren der Gutschriften (2013–2015) Einkünfte aus Kapitalvermögen bezog. Dies war vor dem Hintergrund fraglich, dass die Anlegergesellschaft (frühzeitige) Auszahlungen ab Mitte 2015 eingestellt hatte und der Bf den investierten Betrag samt Zinsen erst nach Ablauf einer 10-jährigen Mindestvertragslaufzeit hätte auszahlen lassen können. Der Bf behauptete ferner – ohne dies weiter nachzuweisen –, dass die Gesellschaft seinen Rückzahlungswünschen zu keinem (früheren) Zeitpunkt entsprochen hätte.

BFG 6. 7. 2023, RV/4100047/2022

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) schloss am 1. 10. 2012 eine „Anlegervereinbarung“ in Form eines Nachrangdarlehens mit der deutschen AnlegerKG ab. Die von der KG angebotenen Anlegervereinbarungen (dabei handelte es sich um ein sog „Schneeballsystem“) hatten eine Mindestvertragslaufzeit von zehn Jahren mit einer Zinsvereinbarung von fix 8 % p.a. oder einem variablen Satz abhängig vom konkreten Darlehensvertrag. Das angelegte Kapital ging in das Gesellschaftsvermögen der KG über und stand dieser für deren Anlagestrategien zur Verfügung, auf welche der Bf keinen Einfluss nehmen konnte. Lediglich erhielt er einen Zugang zur Homepage der AnlegerKG, auf welcher er den jeweiligen Kontostand und die monatliche Gutschrift der Zinserträge aus seiner Anlage überprüfen konnte. Der Bf erhielt zudem regelmäßig Kontoauszüge, aus denen die monatlichen Zinserträge ersichtlich waren. Nach den Feststellungen des BFG entsprach die KG bis Mitte 2015 den Auszahlungsbegehren ihrer Kunden — trotz der vereinbarten Anlagebedingungen (vgl insb 10-jährige Mindestvertragslaufzeit). Erfolgte keine Auszahlung, so wurden die erzielten Zinserträge stets zum Monatsende dem investierten Kapital zugeschlagen. Somit erhöhten sie den Anlagewert und in der Folge den Ertragswert (Wiederveranlagung). Der Bf konnte nach Ablauf einer Mindestlaufzeit von drei Monaten jederzeit rechtliche und wirtschaftliche Verfügungen über sein Konto treffen. Dies erfolgte in der Form des „Stehenlassens“ der Zinserträge für eine Wiederveranlagung. Ab Mitte des Jahres 2015 stellte die KG die Auszahlungen mVa die Mindestvertragslaufzeit ein, weil sich ihre Liquiditätslage verschlechterte. Für die streitgegenständlichen Jahre (2013–2015) reichte der Bf dem FA Einkommensteuererklärungen ohne die Bekanntgabe von Einkünften aus Kapitalvermögen ein. Im Rahmen des spontanen Informationsaustausches gemäß RL 2011/16/EU erhielt später das FA von der deutschen FinVw die Information über die gegenständliche Anlegervereinbarung. Das FA beurteilte die dem Bf auf den Kontoauszügen (2013–2015) gutgeschriebenen Erträge als stpfl Kapitalerträge, nahm mit Bescheiden vom 2. 7. 2019 gem § 303 Abs 1 BAO die Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2013–2015 wieder auf und erließ neue Einkommensteuerbescheide unter Ansatz der ausgewiesenen Kapitalerträge. Sowohl gegen die Wiederaufnahmen als auch gegen die Einkommensteuerbescheide erhob der Bf Beschwerde, mit der Begründung, dass die AnlegerKG seinen Rückzahlungswünschen im Zeitraum 2013‒2015 nie entsprochen hätte und die besteuerten Erträge nur fiktiv seien. Nach abweisenden Beschwerdevorentscheidungen erfolgte ein Vorlageantrag an das BFG.

Entscheidung des BFG

Zu den Einkünften aus der Überlassung von Kapital gehören gem § 27 Abs 2 Z 2 EStG ua Zinsen und andere Erträgnisse aus Kapitalforderungen jeder Art, zB aus Darlehen, Anleihen, Anlagen, Guthaben bei Kreditinstituten etc. Gemäß § 15 Abs 1 EStG liegen Einnahmen vor, wenn dem Stpfl Geld oder geldwerte Vorteile im Rahmen der außerbetrieblichen Einkunftsarten (§ 2 Abs 3 Z 47 EStG) zufließen. Nach § 19 Abs 1 EStG sind Einnahmen in jenem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Stpfl zugeflossen sind. Als zugeflossen ist eine Einnahme dann anzusehen, wenn der Empfänger „tatsächlich und rechtlich“ bzw „rechtlich und wirtschaftlich“ über sie „frei“ verfügen kann (VwGH 19. 6. 2002, 98/15/0142; 29. 1. 2014, 2009/13/0209). Der Zufluss wirkt sich wirtschaftlich in einer Vermehrung des Vermögens des Stpfl aus (VwGH 7. 7. 2011, 2007/15/0156). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist ein Betrag auch dann zugeflossen, wenn er dem Stpfl bloß gutgeschrieben wurde (VwGH 26. 9. 2000, 99/13/0193). Ein Zufluss iSd § 19 Abs 1 EStG liegt weiters vor, wenn ein Betrag einer im Voraus bestimmten Verwendung des Empfängers zugeführt wird. So sind Zinsen, die vereinbarungsgemäß dem Kapital zugeschlagen werden, mit dem Ende der jeweiligen Zinsperiode zugeflossen (VwGH 11. 12. 1990, 89/14/0040; Jakom/Peyerl, EStG16 [2023] § 19 Rz 26; EStR 2000 Rz 4613 f). Dass einmal zugeflossene Beträge bei der vom Stpfl gewünschten Verwendung verlorengehen (können), ändert nichts an deren Zufließen.

Streitgegenständlich konnte der Bf ab Jänner 2013 rechtlich und tatsächlich bzw rechtlich und wirtschaftlich über sein Anlagekonto frei verfügen. Denn die Verfügung kann auch durch ein „Stehenlassen“ erfolgen. Durch die nicht vorgenommene Auszahlung der Zinserträge erhöhten diese den Anlagestand auf dem Konto des Bf und bildeten ihrerseits wiederum die Bemessungsgrundlage für die monatlich durchgeführte Berechnung und Gutschrift der Zinserträge. Letztendlich bewirkten diese solcherart wirtschaftlich die Vermehrung des Vermögens des Bf. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts sei die AnlegerKG im Übrigen den Auszahlungswünschen ihrer Anleger vor dem Zusammenbruch des Systems nachgekommen. Dies spreche auch dafür, dass die Anleger über die auf den Kontoauszügen ausgewiesenen Zinserträge verfügen konnten. Mangels Vorlage eines E-Mail-Verkehrs zwischen dem Bf und der KG im streitgegenständlichen Zeitraum geht das Gericht ferner davon aus, dass der Bf erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 eine Auszahlung forderte, weil er bis April 2015 Einzahlungen in einer Höhe tätigte, die den ursprünglichen Anlagebetrag wesentlich überschritten. Es widerspräche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass jemand eine Auszahlung begehrt und etwa zeitgleich (etwas früher oder später) eine wesentlich höhere Einzahlung leistet. Nach alledem erkannte das BFG, dass die Zinserträge den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen und iSd § 19 Abs 1 EStG als zugeflossen galten und somit steuerpflichtig sind. Ob der Bf über die auf seinem Konto monatlich gutgeschriebenen Zinserträge rechtlich und wirtschaftlich verfügen konnte, war eine auf der Sachverhaltsebene im Rahmen der Beweiswürdigung zu klärende Frage. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag daher nicht vor, weswegen die ordentliche Revision nicht zugelassen wurde.

Conclusio

Die vorliegende Entscheidung steht in Einklang mit der stRsp des VwGH zu den Kriterien des Zuflusses iSd § 19 Abs 1 EStG. Interessant erscheint die Frage, ob eine etwaige Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Schuldners der Zinserträge – die für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht festgestellt werden konnten – den Zufluss an den Gläubiger verhindert. In diesem Zusammenhang hat der VwGH bereits 1990 entschieden, dass Zinsen auch dann als zugeflossen gelten, wenn sie nicht ausbezahlt, sondern in ein neues Darlehen umgewandelt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Schuldner zahlungsfähig ist (VwGH 11. 12. 1990, 89/14/0040 mVa Hofstätter/Reichel, Kommentar zur Einkommensteuer [1972] § 19 Tz 3.3). Die FinVw und einige Stimmen in der Lehre äußern sich mVa auf frühere hgRsp kritisch dazu (vgl EStR 2000 Rz 4604 und Mayr/Hayden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg), EStG18 § 19 Rz 21/1 mVa VwGH 12. 12. 1978, 2090/78).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34486 vom 12.09.2023