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BFG: Keine Akteneinsicht in die in Folge eines Amtshilfeersuchens übermittelten Akten

Bearbeiter: Jürgen Romstorfer

BAO: § 90 Abs 1, § 78 Abs 1

Abstract

Das BFG hatte im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob ein Recht auf Einsicht in die Akten besteht, die in einem zwischenstaatlichen Amtshilfeverfahren übermittelt wurden. Dabei kam es zum Ergebnis, dass dem Bf mangels Parteistellung im Amtshilfeverfahren kein Recht auf Akteneinsicht nach § 90 BAO zukommt. Daneben kann ein Recht auf Akteneinsicht auch nicht aus der Rsp des EuGH abgeleitet werden.

BFG 17. 7. 2023, RV/7102589/2022; 17. 7. 2023, RV/7102590/2022

Sachverhalt

Über die beschwerdeführende bulgarische Gesellschaft (Bf) wird in Bulgarien ein Umsatzsteuerprüfungsverfahren geführt. Da die bulgarische Behörde dafür zusätzliche Informationen benötigt, fordert sie die österreichische belangte Behörde zur Übermittlung von Unterlagen auf. Die österreichische Behörde übermittelte daraufhin der bulgarischen Behörde auf Basis der VO 904/2010/EU Informationen zum Zweck der korrekten Steuerfestsetzung im Rahmen der Umsatzsteuerprüfung über die Geschäftsbeziehungen zwischen der Bf und der österreichischen B GmbH.

Die Bf beantragte mit Schreiben vom 30. 7. 2021 Akteneinsicht gem § 90 Abs 1 BAO und ersuchte um Information, welche Dokumente von der belangten Behörde an die bulgarische Behörde übermittelt wurden. Mit Bescheid vom 1. 4. 2022 wies die belangte Behörde den Antrag auf Akteneinsicht mit der Begründung ab, dass das Informationsaustauschverfahren nur die Sphären der beteiligten Behörden betreffe. Eine Parteistellung kommt den Abgabepflichtigen, deren Informationen ausgetauscht werden, nicht zu. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob die Bf Beschwerde an das BFG.

Entscheidung des BFG

Eingangs führt das BFG in seinem Erkenntnis aus, dass die Abgabenbehörde den Parteien eines Abgabeverfahrens gem § 90 Abs 1 BAO Einsicht in die ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile zu gestatten hat. Die Parteistellung im Abgabeverfahren richtet sich nach § 78 Abs 1 BAO, wonach als Part der Abgabepflichtige anzusehen ist. § 78 Abs 3 BAO erweitert diese Rechtsstellung auch auf jene Personen, auf die sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde bezieht. Bei einem auf Art 54 der VO (EU) 904/2010 gestützten Amtshilfeverfahren handelt es sich nach Ansicht des BFG jedoch nicht um ein Abgabenverfahren iSd § 90 BAO. Vielmehr handelt es sich dabei um ein Verfahren, dass lediglich die Sphäre der beteiligten Abgabenbehörde betrifft. Diese Ansicht unterstützt auch Art 1 Abs 1 der VO (EU) 904/2010/EU, der vorsieht, dass die Verordnung die Modalitäten zwischen den zuständigen Behörden an sich und auch zwischen den MS und der Kommission regelt. Daher kommt das BFG zum Ergebnis, dass im zwischenstaatlichen Amtshilfeverfahren kein Recht auf Akteneinsicht besteht.

Unterstützt wird diese Ansicht daneben auch durch die Rsp des EuGH in der Rs Sabou. Darin hat sich der EuGH mit der im Grunde vergleichbaren Amtshilferichtlinie 77/799/EWG auseinandergesetzt und festgehalten, dass das Unionsrecht iVm dem Grundrecht auf rechtliches Gehör dem Steuerpflichtigen nicht das Recht verleiht, über ein Amtshilfeersuchen informiert zu werden. Aus der Rsp des EuGH geht dahingegen hervor, dass ein behördliches Ermittlungsverfahren grds ohne Einbindung oder Rechtsschutzmöglichkeiten des Steuerpflichtigen stattfinden darf. Dies wird noch zusätzlich von dem Argument unterstützt, dass eine frühzeitige Einbindung des Steuerpflichtigen den Ermittlungserfolg potenziell gefährden könnte. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur dann, wenn die übermittelten Informationen zuvor mithilfe von Zwangsmaßnahmen und nur zum Zweck des Informationsaustauschs eingefordert worden wären. In derartigen Fällen wäre dem Steuerpflichtigen sein Einsichtsrecht zu gewähren. Da dies im vorliegenden Fall nicht so ist, kann der Rechtsschutz nur im Rahmen des an das Ermittlungsverfahren anschließende Verwaltungsverfahren in Bulgarien gewahrt werden.

Da bisher eine Rsp des VwGH zur Rechtsfrage fehlt, ob das Recht auf Akteneinsicht gem § 90 Abs 1 BAO auch die Einsicht in ein zwischenstaatliches Amtshilfeverfahren gem Art 54 der VO (EU) 904/2010 umfasst, ließ das BFG die Revision zu. Diese wurde, soweit ersichtlich, bisher nicht erhoben.

Conclusio

Das Erkenntnis des BFG überzeugt, weil wohl weder aus dem nationalen Recht noch aus der Rsp des EuGH ein Recht auf Akteneinsicht abgeleitet werden kann. Ein Recht auf Akteneinsicht gem § 90 Abs 1 BAO besteht nur für die Parteien eines Abgabeverfahrens. Da im vorliegenden Fall aber weder ein Abgabeverfahren noch eine Parteistellung besteht, kann auf Basis von § 90 Abs 1 BAO kein Recht auf Akteneinsicht bestehen. Analysiert man die Rsp des EuGH, kommt man wohl ebenso zum selben Ergebnis: Nach der Rs Sabou muss man über ein Amtshilfeersuchen grundsätzlich weder informiert noch in ein Ermittlungsverfahren eingebunden werden (EuGH 22. 10. 2013, C-276/12, Sabou, ECLI:EU:C:2013:678). Fraglich ist jedoch, wie ein Rechtsschutz gewährt werden kann, wenn in Bulgarien im Anschluss entweder kein Verfahren eröffnet wird, oder wenn auch dort kein Recht auf eine Einsicht in die übermittelten Akten besteht.

Der diesem Erkenntnis zugrundeliegende Sachverhalt wurde auch als Basis des vom Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien veranstalteten BFG Moot Court verwendet (für einen ausführlichen Bericht dazu siehe Romstorfer/Herdin-Winter/Ehgartner, BFG Moot Court – Akteneinsicht infolge eines Amtshilfeersuchens, AVR 2023, 161).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34713 vom 07.11.2023