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BFG: Konsultationsvereinbarung über Besteuerung von AHV-Renten im DBA Österreich-Schweiz entfaltet keine Wirkung

Bearbeiter: Severin Schragl

DBA Österreich-Schweiz: Art 18, 19, 21, 23 und 25

EStG 1988: § 124b Z 53

Abstract

In einer spektakulären Entscheidung hat sich das BFG mit mehreren Rechtsfragen hinsichtlich Schweizer Einkünfte, die iZm dem Ableben des Ehegatten einer in Österreich ansässigen Witwe stehen, beschäftigt. Auch wenn sich das Gericht in einigen Bereichen der Auffassung des FA anschließt, so spricht es sich – ua –gegen die in einer Konsultationsvereinbarung festgelegte Auffassung der schweizerischen und der österreichischen Finanzverwaltung aus und erklärt diese für unwirksam.

BFG 12. 7. 2023, RV/1100132/2019

Sachverhalt

Die in Österreich ansässige Beschwerdeführerin (Bf) bezog im Streitjahr 2016 neben Einkünften aus im Inland ausgeübter nichtselbstständiger Tätigkeit einen Einmalbetrag iHv ca 388.853 CHF – anstelle einer Witwenrente – von einer im Schweizer Handelsregister eingetragenen Stiftung und zusätzlich ein Todesfallkapital iHv 26.795 CHF. Der verstorbene Ehegatte war zu Lebzeiten sowohl bei privatwirtschaftlichen Arbeitgebern als auch als selbstständiger Architekt und zuletzt als Therapeut bei einem nach öffentlichem Recht geführten Pflegezentrum in der Schweiz tätig.

Im Jahr 2019 wurde der Bf zusätzlich eine Witwenrente von der Schweizer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zuerkannt, wobei auf das Streitjahr ein Betrag von 18.588 CHF entfiel. Diese AHV-Rente beruht zu 67,65 % auf Beiträgen des verstorbenen Gatten aus nichtselbstständiger Tätigkeit bei privatwirtschaftlichen Arbeitgebern und zu 32,35 % auf Beiträgen für Tätigkeiten bei öffentlich-rechtlichen Dienstgebern. Das FA sprach Österreich im Einkommensteuerbescheid 2016 das Besteuerungsrecht über sämtliche genannte Einkünfte zu und verneinte zusätzlich die Anwendung der Begünstigung des § 124b Z 53 EStG. Die Bf erhob gegen den Bescheid Beschwerde an das BFG.

Entscheidung des BFG

Die Entscheidung des BFG gliedert sich in vier inhaltliche Abschnitte.

Der erste Themenblock bezieht sich auf das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Kapitalauszahlungen der Schweizer Vorsorgeeinrichtung. Zur Feststellung der Zuweisung des Besteuerungsrechts zieht das BFG die einschlägigen Verteilungsnormen des DBA Ö-Schweiz heran. Grundsätzlich kommen für Rentenzahlungen Art 18 und Art 19 DBA Ö-Schweiz in Betracht: Nach Art 18 DBA Ö-Schweiz dürfen Ruhegehälter für eine frühere unselbstständige Arbeit nur im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, während Art 19 Abs 1 DBA Ö-Schweiz als lex specialis für Bezüge aus einer ehemaligen Beschäftigung im öffentlichem Dienst das Kassenstaatsprinzip festsetzt. Diese beiden Normen umfassen auch Pensionsabfindungen (vgl Schmidjell-Dommes in Aigner/Kofler/Tumpel (Hrsg), DBA-Kommentar2 [2019] Art 18 Rz 26 f). Entgegen der Ansicht des steuerlichen Vertreters der Bf normiert Art 19 Abs 1 DBA Ö-Schweiz explizit zwei Tatbestandsvoraussetzungen, die nach Auffassung des BFG kumulativ erfüllt sein müssen: Einerseits muss die auszahlende Stelle eine juristische Person öffentlichen Rechts sein, andererseits müssen die Dienstleistungen für eine juristische Person öffentlichen Rechts erbracht werden oder erbracht worden sein (siehe dazu auch Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/1 [2015] Z 19 Rz 82). Da im vorliegenden Fall die auszahlende Stelle eine selbstständige privatrechtliche Körperschaft ist, kommt statt Art 19 DBA Ö-Schweiz Art 18 leg citzur Anwendung und damit ausschließlich Österreich in den Genuss des Besteuerungsrechts (vgl ua BFG 20. 9. 2022, RV/2100603/2021; BFG 31. 5. 2021, RV/1100027/2019; BFG 7. 3. 2019, RV/1100564/2016 und BFG 4. 2. 2019, RV/1100241/2017). Daran können auch die entgegenstehenden Auffassungen des Eidgenössischen Finanzdepartments und des Steueramtes der Stadt Zürich nichts ändern, da diesen gegenüber österreichischen Gerichten keine Bindungswirkung zukommt (VwGH 26. 7. 2000, 97/14/0070).

Im zweiten Themenblock setzt sich das BFG mit der Drittelbegünstigung gem § 124b Z 53 EStG auseinander. Diese kommt nach den ErlRV 927 BlgNR 21. GP 2 bei Inanspruchnahme einer einmaligen Abfindung nur dann zur Anwendung, wenn keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme einer Pensionsabfindung – wie etwa eine Auszahlung in Rentenform – besteht. Die gesetzliche Grundlage für die Zahlung von Pensionsabfindungen in der Schweiz ist Art 37 Abs 1 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG), wonach die Vorsorgeeinrichtungen in ihren Reglements vorsehen können, dass die Anspruchsberechtigten anstelle einer Rente eine (einmalige) Kapitalabfindung wählen können. Davon hat in diesem Fall auch die auszahlende Stiftung Gebrauch gemacht. Gemäß Art 31 Abs 2 des Vorsorgereglements der betrieblichen Vorsorgeeinrichtung kann die anspruchsberechtigte Person damit einen ganzen oder teilweisen Kapitalbezug verlangen. Da der VwGH bereits mehrfach (vgl VwGH 29. 3. 2017, Ra 2015/15/0033, mwN) ausgesprochen hat, dass ein Wahlrecht die Anwendung der Drittelbegünstigung ausschließt, kommt § 124b Z 53 EStG im streitgegenständlichen Fall hinsichtlich der Kapitalabfertigung nicht zur Anwendung.

Als dritten inhaltlichen Punkt behandelte das Gericht das Todesfallkapital nach Art 25 Abs 1 des Vorsorgereglements, wonach ua dem Ehegatten der verstorbenen Person auch vor Erreichen der Pensionierung der (ehemals) versicherten Person ein Anspruch verliehen wird. Da der Bf in diesem Fall kein begünstigungsschädliches Wahlrecht zustand, das Todesfallkapital in Rentenform zu beziehen, war diesbezüglich die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 EStG anwendbar.

Der letzte Themenblock befasst sich schlussendlich mit der Nachzahlung der AHV-Rente. Anders als im ersten Themenbereich handelt es sich hierbei um eine von einer juristischen Person öffentlichen Rechts ausbezahlte Rente aus der staatlichen Sozialversicherung. Entsprechend hat eine Aufteilung dieses Betrags stattzufinden (vgl Schmidjell-Dommes in Aigner/Kofler/Tumpel (Hrsg), DBA-Kommentar2 [2019] Art 18 Rz 5 mwN; zum DBA Spanien siehe VwGH 21. 11. 2007, 2007/13/0087). Der auf einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit beruhende Teil der Rente fällt unter Art 18 DBA Ö-Schweiz, weil diese nicht – wie von Art 19 DBA Ö-Schweiz gefordert – für den Vertragsstaat erbracht worden ist und damit die lex specialis des Art 19 DBA Schweiz nicht zur Anwendung kommt. Das gilt hingegen nicht für denjenigen Teil, der infolge einer Tätigkeit für einen öffentlich-rechtlichen Dienstgeber erworben worden ist ‒ in diesem Fall sind alle Voraussetzungen des Art 19 DBA Ö-Schweiz erfüllt. Die Kassenstaatsregelung von Art 19 iVm dem Methodenartikel des Art 23 DBA Ö-Schweiz sprechen das Besteuerungsrecht der Schweiz zu, wobei Österreich diese Bezüge nur im Wege des Progressionsvorbehalts berücksichtigen darf. Zu einer anderen Ansicht sah sich das BFG auch nicht durch die – in Österreich im Erlassweg (BMF vom 8. 4. 2022, 2022-0.262.779, BMF-AV 2022/50) veröffentlichte – Konsultationsvereinbarung über die Behandlung von Rentenzahlungen der Schweizer AHV veranlasst. Demnach sollen nämlich sämtliche Einkünfte einer in Österreich ansässigen Person aus der Schweizer AHV unter Art 21 (sonstige Einkünfte) DBA Ö-Schweiz fallen.

Dem BFG nach, findet die in der Konsultationsvereinbarung geäußerte Ansicht im Abkommen keine Deckung. Begründend führt das Gericht dazu aus, dass der Tatbestand eindeutig unter den Wortlaut des Art 19 DBA Ö-Schweiz subsumierbar ist („einschließlich Ruhegehälter“). Folglich bleibt für den Auffangtatbestand des Art 21 DBA Ö-Schweiz kein Raum. Darüber hinaus ist im DBA Ö-Schweiz keine „subject-to-tax-Klausel“ oder „switch-over-Klausel“ zur Vermeidung negativer Qualifikationskonflikte enthalten. Ebenso wenig kann von einer späteren Übung iSd Art 31 Abs 3 lit b WVK gesprochen werden (vgl dazu auch die Aussage von Lang in Borns/Hubmann, SWI-Jahrestagung: Besteuerung schweizerischer AHV-Renten, SWI 2023, 259). Damit schließt sich das BFG der hL an (vgl die diesbezüglichen Aussagen von Holzinger/Zorn/Lang in Borns/Hubmann, SWI-Jahrestagung: Besteuerung schweizerischer AHV-Renten, SWI 2023, 257 ff; aA Schmidjell-Dommes, SWI-Jahrestagung: Besteuerung schweizerischer AHV-Renten, SWI 2023, 259 f).

Aufgrund fehlender höchstgerichtlicher Rsp zum ersten und vierten behandelten Themenblock ist die Revision zulässig. Vonseiten des FA wurde Amtsrevision erhoben.

Conclusio

Die Entscheidung des BFG ist in ihrer Gesamtheit überzeugend, folgt weitgehend der höchstgerichtlichen Rsp und orientiert sich an der österreichischen hL. In Anbetracht des Wortlauts von Art 19 Satz 1 DBA Ö-Schweiz müssen für dessen Anwendung zwei Kriterien erfüllt sein, nämlich einerseits die Auszahlung durch den Vertragsstaat und andererseits eine an den Vertragsstaat erbrachte Leistung. Mit welcher Begründung die Eidgenössische Finanzverwaltung bei „gemischten Pensionen“ stets nur auf das letzte Arbeitsverhältnis abstellt (Rundschreiben des Eidgenössischen Finanzdepartements [EFD] vom 23. 1. 2007) und damit zu anderen Ergebnissen als das BFG kam, ist schwierig nachzuvollziehen. Zum E des BFG kann folglich einzig bemängelt werden, dass das Gericht in seinen Literaturangaben stets auf Art 19 des OECD-MA 2017 referiert, obwohl die Bestimmung des Art 19 DBA Ö-Schweiz im Wesentlichen aus dem OECD-MA 1963 stammt und diese Bestimmung sich im Musterabkommen seitdem stark verändert hat.

Auch die Behandlung der Drittelbegünstigung iSd § 124b Z 53 EStG in Bezug auf Abfertigungen anstelle von Renten als zweiter und dritter Themenblock ist stringent, weil der VwGH diesbezüglich in stRsp eindeutig auf eine Wahlmöglichkeit vonseiten des Stpfl abstellt (VwGH 29. 3. 2017, Ra 2015/15/0033, mwN).

Der womöglich spannendste Teil der Entscheidung setzt sich mit der Einordnung der von öffentlich-rechtlichen Kassen ausgezahlten Renten auseinander. Die vor der Veröffentlichung der Konsultationsvereinbarung ergangene ähnlich gelagerte E des BFG vom 14. 3. 2022, RV/1100284/2020 (siehe auch Stöcklinger, BFG: (K)eine Anwendung der „Kassenstaatsregel“? LexisNexis Rechtsnews 32633 vom 7. 6. 2022), kam bereits zum gleichen Ergebnis, die Revision ist derzeit beim VwGH anhängig. Doch auch nach der derzeitigen Rechtslage hat das BFG korrekt entschieden: Es ist kein überzeugender Grund ersichtlich, warum Art 21 DBA Ö-Schweiz zur Anwendung kommen sollte (vgl die Aussage von Holzinger in Borns/Hubmann, SWI-Jahrestagung: Besteuerung schweizerischer AHV-Renten, SWI 2023, 257 [258]; aA insb in Deutschland BFH 8. 12. 2010, I R 92/02 mwN). Ob Konsultationsvereinbarungen in Erlassform Bindungswirkung für Gerichte entfalten können, ist strittig (vgl Romstorfer, Besteuerung Schweizer AHV-Renten aus einer früheren öffentlich-rechtlichen Beschäftigung nach dem DBA Schweiz, SWI 2023, in Druck mwN; zustimmend bereits Dommes, Die Besteuerung von Abfertigungen und Abfindungen nach dem Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, ÖStZ 2010, 496; mit Verweis auf die Rsp des VfGH Papst/Urtz in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 [2019] Art 25 Rz 148 f; aA Holzinger in Borns/Hubmann, SWI-Jahrestagung: Besteuerung schweizerischer AHV-Renten, SWI 2023, 257 [258]; VwGH 23. 2. 2010, 2008/15/0148 und 30. 3. 2006, 2002/15/0098; VwGH jüngst zu EAS-Auskünften als Erlässe 28. 6. 2022, Ro 2022/13/0002; in Deutschland etwa BFH 2. 9. 2009, I R 111/08). Insb der Umstand, dass eine Konsultationsvereinbarung als Verordnung eingestuft werden könne, ist nach der Rsp des VfGH (28. 6. 2017, V 4/2017) denkbar; die Voraussetzungen sind lediglich ein unbestimmter Adressatenkreis und die allgemeine Kundmachung. Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass mit der Veröffentlichung in der Findok evtl eine Bindungswirkung vorliegt (vgl Romstorfer, Besteuerung Schweizer AHV-Renten aus einer früheren öffentlich-rechtlichen Beschäftigung nach dem DBA Schweiz, SWI 2023, in Druck). Diesfalls würde die genannte Bindungswirkung erst infolge einer Aufhebung durch den VfGH entfallen.

Entsprechend bleibt – insb hinsichtlich des letzten Punkts – abzuwarten, ob der VwGH die Auffassung des BFG teilen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, bedarf es kreativer Argumente seitens des Höchstgerichts, insb wenn von der bisherigen VwGH-Rsp abgewichen oder der hA widersprochen werden soll.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34672 vom 30.10.2023