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BFG: Melbourne-Agreement nicht relevant für Leistungsort von Telekom-Leistungen

Bearbeiter: Matthias Zaman

Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen: § 1

UStG 1994: § 3a

MwStSyst-RL: Art 59a

Abstract

Das BFG hatte zu beurteilen, ob das Melbourne-Agreement als völkerrechtliches Abkommen die Verlagerung des Leistungsorts von in Österreich (Ö) genutzten Telekommunikationsleistungen vom Drittland in das Inland gem § 1 Telekom-VO ausschließt. Im Ergebnis erachtet das BFG das Melbourne-Agreement als nicht relevant für die Bestimmung des Leistungsorts von Telekommunikationsleistungen, womit eine Verlagerung des Leistungsorts nach Ö zulässig sei. Mangels hgRsp zur Bedeutung des Melbourne-Agreements für die Bestimmung des Leistungsorts war die Revision zuzulassen. Die Revision ist bereits beim VwGH zur Zahl Ro 2024/15/0027 anhängig.

BFG 12. 7. 2024, RV/2100058/2023

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) ist ein Telekom-Unternehmen aus einem Drittland, das in den Streitjahren 2013–2016 seinen Kunden ermöglichte, mit ihren Mobiltelefonen auch in Ö Telekommunikationsleistungen (Anrufe, Nutzung von Internet) in Anspruch zu nehmen. Die Leistungen wurden im Rahmen von sog „Bundles“ angeboten, bei denen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalentgelts Telekommunikationsleistungen in dem Drittland und im gesamten EU-Ausland angeboten wurden. Daneben konnten auch „Roamingpakete“ für das gesamte EU-Ausland erworben werden, bei denen die Kunden gegen Zahlung eines pauschalen Entgelts auch in der gesamten EU telefonieren konnten.

Das Finanzamt (FA) ging davon aus, dass die Telekommunikationsleistungen der Bf in Ö genutzt wurden, womit sich der Leistungsort nach § 1 Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen (in weiterer Folge: „Telekom-VO“) vom Drittland nach Ö verlagerte. Daher setzte das FA für die von der Bf in den Streitjahren erbrachten Telekommunikationsleistungen österreichische Umsatzsteuer fest, wogegen die Bf Beschwerde vor dem BFG erhob.

Entscheidung des BFG

Gem § 1 Telekom-VO verlagert sich der Ort einer Telekommunikationsleistung vom Drittland nach Ö, wenn die Leistung im Inland genutzt oder ausgewertet wird. Auch die unionsrechtliche Grundlage des Art 59a Abs 1 lit b MwStSyst-RL ist nach dem BFG in diesem Sinn auszulegen. Das BFG führt dazu die Rsp des EuGH vom 15. 4. 2021 in der Rs C-593/19, SK Telecom Co Ltd ins Treffen: Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls im Drittland ansässig sind bzw dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden, und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, sind als Dienstleistungen anzusehen, deren „tatsächliche Nutzung oder Auswertung“ iSd Art 59a Abs 1 lit b MwStSyst-RL in diesem Mitgliedstaat erfolgt. Der Mitgliedstaat kann den Ort der Roamingleistungen daher so behandeln, als läge er in seinem Hoheitsgebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der EU vermieden wird. Es kommt hierbei nicht darauf an, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem Steuerrecht des Drittlands unterliegen.

Zentraler Beschwerdegrund der Bf war das Vorbringen, dass das – von Ö und dem Drittland der Bf abgeschlossene – Melbourne-Agreement die Leistungsortsverlagerung in das Inland nicht zulasse. Das gehe nach der Bf auch aus Rn 46 des Urteils des EuGH in der Rs SK Telecom Co Ltd hervor: Völkerrechtliche Abkommen können Mitgliedstaaten verpflichten, Steuerregelungen des Drittlands zu berücksichtigen, um zu beurteilen, ob Telekommunikationsleistungen einer Nichtbesteuerung unterliegen. Jedoch sind diese Ausführungen des EuGH in Rn 46 der Rs SK Telecom Co Ltd nach dem BFG in Zusammenschau mit Rn 45 der Rs SK Telecom Co Ltdzu lesen: Für die Leistungsortbestimmung sind die Steuerregelungen des Drittlands grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Etwas Anderes kann sich nur ergeben, wenn ein Abkommen vorsieht, dass die Staaten verpflichtet sind, auf die Steuergesetze des jeweiligen anderen Staates Rücksicht zu nehmen. Laut dem BFG gibt es dafür im Melbourne-Agreement jedoch keine Anhaltspunkte. Die Mitgliedstaaten können daher von der Möglichkeit der Verlagerung des Leistungsorts in die EU gem Art 59a Abs 1 lit b MwStSyst-RL Gebrauch machen, wenn dies lediglich dazu dient, eine Nichtbesteuerung innerhalb der EU zu verhindern und die tatsächliche Nutzung in der EU erfolgt.

Zudem steht der Bf zufolge Art 6.1.3. Melbourne-Agreement einer Verlagerung des Leistungsorts – zumindest für nichtansässige Leistungsempfänger – nach Ö entgegen: Diese Bestimmung sei als Leistungsortregelung zu verstehen, die einen Besteuerungsverzicht festlege, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Das BFG weist darauf hin, dass das Melbourne-Agreement aus dem Jahr 1988 stammt und somit unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abgeschlossen wurde, die sich erheblich von den heutigen unterscheiden. Auch bezweifelt das BFG, ob das Melbourne-Agreement überhaupt Roamingleistungen umfassen kann, da das Telefonieren mittels Mobiltelefons im Ausland damals noch nicht Stand der Technik war. Entscheidend ist lt BFG insb, dass Art 6.1.3 Melbourne-Agreement nicht als zwingende Leistungsortregelung verstanden werden kann, die einen Besteuerungsverzicht eines Abkommensstaats für nichtansässige Personen erfordert: Aus der Formulierung des Art 6.1.3 Melbourne-Agreement „this tax shall normally be collected“ ist abzuleiten, dass diese Bestimmung lediglich eine grundsätzliche Zuordnung vornimmt, von der Ausnahmen bestehen können. Diese Ansicht wird auch durch den letzten Satzteil des Art 6.1.3 Melbourne-Agreement bestärkt: „unless other arrangements are made to meet special circumstances“. Andere Regelungen können daher getroffen werden, um besondere Umstände zu berücksichtigen. Die Einführung neuer Technologien, die das Telefonieren im Ausland über Roaming überhaupt erst ermöglichten, stellt laut BFG einen solchen besonderen Umstand dar, der eine abweichende Zuordnung der Besteuerung rechtfertigt.

Ebenfalls folgt das BFG dem Vorbringen der Bf nicht, wonach die Mitgliedstaaten bei Festlegung der Leistungsortregeln der MwStSyst-RL das Melbourne-Agreement jedenfalls mitberücksichtigt hätten und daher bewusst den Leistungsort von Telekommunikationsleistungen nicht verlagern. Diese Sichtweise widerspricht ausdrücklich dem 22. ErwGr der MwStSyst-RL, der eine einheitliche Besteuerung von in der EU genutzten Telekommunikationsleistungen beabsichtigt, die in der EU genutzt oder ausgewertet werden. Gleichfalls weist das BFG das Argument der Bf zurück, nach der die Wortfolge „in der Union tatsächlich genutzt oder ausgewertet“ nicht wörtlich zu verstehen sei. Wenn der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hätte, dass „Telekommunikationsdienstleistungen, die in der Gemeinschaft in Anspruch genommen werden“ nur solche sind, die „an in der Gemeinschaft ansässige Personen erbracht werden“, würde dies dem 22. ErwGr der MwStSyst-RL – und damit auch dem Regelungskonzept des Art 59a Abs1 lit b MwStSyst-RL – den Sinn nehmen: Telekommunikationsleistungen an Nichtunternehmer aus der EU werden grundsätzlich bereits an dem Ort besteuert, an dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist. Daher ist für diese Fälle keine Verlagerung des Leistungsortes erforderlich.

Schließlich bringt die Bf noch vor, dass ihre Roamingleistungen, die im Rahmen von Bundles angeboten werden, als einheitliche Leistungen zu sehen seien, die einheitlich im Drittland zu besteuern seien, weil die Nebenleistung des Roamings das Schicksal der Hauptleistung der Telefonie in dem Drittland teile. Das BFG folgt der Auffassung der Bf nicht und behandelt die Leistungen im Rahmen von Bundles als eine Vielzahl an Einzelleistungen, die gegen ein Pauschalentgelt erbracht werden. Damit ist das Entgelt in einen in- und ausländischen Anteil aufzuteilen.

Insgesamt war daher die Beschwerde abzuweisen. Mangels hgRsp zur Bedeutung des Melbourne-Agreements für den Leistungsort hat das BFG die Revision zugelassen. Die Revision ist bereits beim VwGH zur Zahl Ro 2024/15/0027 anhängig.

Conclusio

Die vorliegende Entscheidung bildet das erste Erk des BFG zur Frage, ob das Melbourne-Agreement für die Bestimmung des Leistungsorts von Telekomleistungen relevant ist (siehe weiters BFG 24. 9. 2024, RV/2100752/2021; 25. 9. 2024, RV/2100888/2022; 25. 9. 2024, RV/2100046/2023). Das BFG ist zum Schluss gekommen, dass das Melbourne-Agreement eine Verlagerung des Leistungsorts für in Ö genutzte Roamingleistungen in das Inland nicht ausschließt. Insb hat sich das BFG zwei zentralen Vorbringen der Bf nicht angeschlossen: Einerseits verpflichte das Melbourne-Agreement für die Beurteilung des Vorliegens einer Nichtbesteuerung die Vertragsstaaten nicht, die Steuerregelung eines anderen Abkommensstaats zu berücksichtigen. Anderseits ist Art 6.1.3. des Melbourne-Agreements nicht als zwingende Leistungsortregelung zu verstehen, die die Besteuerung im Land der Nutzung für nichtansässige Personen jedenfalls ausschließt. Das BFG hat sich damit zwar inhaltlich mit dem Melbourne Agreement auseinandergesetzt, jedoch die Vorfrage des Verhältnisses des Melbourne Agreements zum Unionsrecht nicht näher thematisiert (siehe näher Staringer, Die Bedeutung völkerrechtlicher Abkommen für das Umsatzsteuerrecht, ÖStZ 2023, 657 [665 ff]). Im Ergebnis hat das BFG die Beschwerde abgewiesen, mangels hgRsp zur Bedeutung des Melbourne-Agreements für den Leistungsort aber die Revision zugelassen. Da die Revision bereits anhängig ist, bleibt abzuwarten, wie der VwGH entscheiden wird. Teile des Schrifttums verstehen Art 6.1.3 des Melbourne-Agreements als Leistungsortregelung, die Abkommensstaaten verpflichte auf die Umsatzbesteuerung von Telekommunikationsleistungen an nichtansässige Kunden zu verzichten (siehe erneut Staringer, ÖStZ 2023, 657 [668]).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36253 vom 07.01.2025