News

BFG: Mittelpunkt der Lebensinteressen nach dem DBA-Schweiz

Bearbeiter: Juliane Beverungen

BAO: § 26, § 184

DBA-Schweiz: Art 1 Abs 1, Art 4 Abs 2 lit a, Art 23 Abs 2

Abstract

Im vorliegenden Erk hatte sich das BFG mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Steuerpflichtiger seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen von Österreich in die Schweiz verschoben hatte. Das Gericht bestätigte dabei die stRsp, dass auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen ist, wobei den wirtschaftlichen Beziehungen idR eine geringere Bedeutung zukommen als den persönlichen Beziehungen. Wesentliche Faktoren für die Beurteilung sind bspw der gewöhnliche Aufenthalt, die Wohnsituation, gesellschaftliche Kontakte oder der regelmäßige Arbeitsort.

BFG 24. 5. 2024, RV/7100717/2024

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) ist ein österreichischer Staatsbürger, der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit in der Schweiz erzielt. Er ist Alleineigentümer einer österreichischen Liegenschaft, auf der seine Ehefrau wohnt (Familienwohnsitz) und auf der er bis September 2021 mit Hauptwohnsitz (danach mit Nebenwohnsitz) gemeldet war. Seit April 2021 hat er außerdem eine Wohnung in der Schweiz angemietet, bei der es sich um eine Ferienwohnung handelt, die regelmäßig zur Vermietung angeboten wird. Der Bf besucht seine Ehefrau einmal die Woche und über die Feiertage. In dieser Zeit wohnt er am Familienwohnsitz. Außerdem ist er Alleineigentümer mehrerer landwirtschaftlicher Flächen in Österreich (Ö). Des Weiteren sind auch zwei Kfz auf ihn angemeldet.

Aufgrund einer nicht abgegebenen Abgabenerklärung im Streitjahr 2021 schätzte das Finanzamt (FA) die Bemessungsgrundlage des Bf gem § 184 BAO. Hiergegen legte der Bf Beschwerde ein und brachte vor, dass sein Mittelpunkt der Lebensinteressen nunmehr in der Schweiz liegen würde. Er lehnte die Besteuerung in Ö zur Gänze ab. Auf Nachfragen des FA gab der Bf an, dass er in der Schweiz über keine sozialen Kontakte verfügt und an keinen gesellschaftlichen oder kulturellen Freizeitaktivitäten teilnimmt. Auf den vorgelegten Lohnausweisen seines Schweizer Arbeitgebers erscheint weiterhin seine österreichische Adresse.

Das FA korrigierte die Höhe der österreichischen Einkommensteuer auf Grundlage der Schweizer Lohnausweise. Daraufhin beantragte der Bf die Vorlage seine Beschwerde an das BFG.

Entscheidung

Der Bf war im Streitjahr in beiden Vertragsstaaten ansässig. Die Ansässigkeit in Ö ergibt sich aus seinem Wohnsitz iSd § 26 Abs 1 BAO. Dem Bf stand in Ö das Wohnhaus seiner Ehefrau für den Wohnbedarf zur Verfügung. Nach VwGH-Rsp reicht es für die Annahme eines Wohnsitzes aus, wenn die Wohnung dabei jährlich mehrere Wochen genutzt wird (s Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 26 Rz 9 mwN). Da der Bf seine Ehefrau wöchentlich besuchte und dabei im Haus unterkam, verfügte er 2021 über einen inländischen Wohnsitz. Aufgrund seiner angemieteten Wohnung verfügt der Bf auch in der Schweiz über einen Wohnsitz.

Aufgrund der doppelten Ansässigkeit und der Tatsache, dass der Bf in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt, richtet sich seine Ansässigkeit gem Art 4 Abs 2 lit a DBA-Schweiz nach dem Staat, in dem er seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen hat. Hierfür ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen.

Der Bf hat erst 2021 seinen Wohnsitz in der Schweiz begründet. Davor lag sein Mittelpunkt der Lebensinteressen unstrittig in Ö. Die Tatsache, dass er seine Wohnstätte in Ö nicht aufgab, als er seinen Wohnsitz in der Schweiz begründet hat, ist als Indiz anzusehen, dass er den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Ö beibehalten hat. Dies wird dadurch verstärkt, dass er in der Schweiz bloß in einer Ferienwohnung wohnt. Da solche idR nur für kurze Zeiträume angemietet werden, ist nicht darauf zu schließen, dass der Bf die Absicht verfolgte, sich dauerhaft in der Schweiz niederzulassen. Außerdem hat er nach eigenen Angaben in der Schweiz keine persönlichen Kontakte aufgebaut. Somit kann angenommen werden, dass der Bf engere persönliche Beziehungen zu Ö besitzt. Hierfür spricht auch sein Grundstückseigentum in Ö sowie bestehendes Vermögen.

Der Bf hat somit im Streitjahr seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen gem Art 4 Abs 2 lit a DBA-Schweiz in Ö. Diesem steht als Ansässigkeitsstaat gem Art 23 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 DBA-Schweiz das Besteuerungsrecht an seinen Schweizer Einkünften unter Anrechnung der ausländischen Quellensteuer zu. Der angefochtene Bescheid ist dementsprechend abzuändern. Eine Revision ist nicht zulässig.

Conclusio

In manchen Fällen sind natürliche Personen in beiden Vertragsstaaten nach dem jeweiligen nationalen Recht ansässig. In solchen Fällen findet die „Tie-Breaker“-Regelung iSd Art 4 Abs 2 OECD-MA Anwendung, welche eine Rangfolge für die Zuordnung der Ansässigkeit enthält. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen wird dann herangezogen, wenn eine natürliche Person nicht nur in beiden Vertragsstaaten ansässig ist, sondern auch in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte verfügt. Sie besagt, dass die Ansässigkeit in dem Staat liegt, zu dem eine Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen aufweist.

Für diese Qualifizierung wird in der Praxis häufig auf eine Vielzahl von Indizien abgestellt, bspw der gewöhnliche Aufenthalt, die Wohnsituation, die familiäre Lage, der Arbeitsort oder die Intensität der sozialen Kontakte. Bei einer Gleichwertigkeit der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ist nach stRsp den persönlichen Verhältnissen Vorrang zu geben (s VwGH 19. 3. 2002, 98/14/0026; 29. 1. 2015, Ra 2014/15/0059; 15. 9. 2016, Ra 2016/15/0057). Wichtig ist, dass grds nur objektive Kriterien von Bedeutung sind, während subjektive Absichten des Steuerpflichtigen unbeachtlich sind (s VwGH 22. 3. 1991, 90/13/0073).

Während vorliegend der Mittelpunkt der Lebensinteressen klar bestimmt werden konnte, gibt es allerdings auch Fälle, in denen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht unbedingt der normalen Lebenserfahrung entsprechen und damit die Bestimmung schwieriger wird. Fraglich ist dann, ob es dem Steuerpflichtigen im Rechtsstreit überhaupt möglich ist, einen Gegenbeweis zur Bewertung des FA zu erbringen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36108 vom 21.11.2024