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BFG: Nach Rechtskraft eines Gerichtsbeschlusses gem § 213 IO ist die Festsetzung einer Abgabe, die von der Restschuldbefreiung umfasst ist, unzulässig

Bearbeiter: Dominic Thierstein

BAO: §§ 206, 294, 303

IO: § 213

Abstract

Das BFG hatte zu entscheiden, ob die Festsetzung einer Abgabe zulässig ist, wenn diese von der Restschuldbefreiung durch einen Gerichtsbeschluss nach § 213 IO umfasst ist. Da die Restschuldbefreiung zu einer Tilgung der Schuld führte, war eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Zeitpunkt des Erkenntnisses nicht mehr zulässig.

BFG 4. 4. 2025, RV/7103380/2018

Sachverhalt

Aufgrund der Abgabenerklärung der Beschwerdeführerin (Bf) erging am 2. 5. 2016 ein ESt-Bescheid für das Jahr 2015, mit dem gewerbliche Einkünfte iHv 17.526,84 € veranlagt wurden. Am 6. 6. 2017 wurde dieser Bescheid gem § 295 BAO mittels eines neuen Bescheides dadurch abgeändert, dass die Einkünfte mit 109.465,58 € festgesetzt wurden, wobei die ESt 2015 nun mit 43.964,00 € festgesetzt wurde. Diese Anpassung ergab sich aufgrund der Berücksichtigung von anteiligen KG-Einkünften der Bf. Letzterer Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Im Mai 2017 wurde vor dem Insolvenzgericht über das Vermögen der Bf das private Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Die ESt-Schuld 2015 iHv 43.964,00 € wurde fristgerecht und ordnungsgemäß in diesem Verfahren angemeldet. Bereits am 17. 9. 2017 stellte die Bf einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der ESt 2015, sowie der Abgabenbemessung 2015, da diese zu hoch festgesetzt worden sei. Zudem nannte sie ihre Überschuldung und Uneinbringlichkeit der Abgaben als Wiederaufnahmegründe. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom Finanzamt (FA) als unbegründet abgelehnt. Am 9. 2. 2018 wurde von der Bf ein Vorlageantrag von dem Wiederaufnahmeverfahren hinsichtlich der ESt 2015 gestellt. Im Jänner 2025 wurde das Abschöpfungsverfahren vom Insolvenzgericht allerdings für beendet erklärt und der Bf als Schuldnerin die Restschuldbefreiung erteilt. Aufgrund dessen wurde am 17. 3. 2025 die ESt 2015 zur Gänze wegen Uneinbringlichkeit vom FA abgeschrieben.

Entscheidung des BFG

Sämtliche Insolvenzverfahren finden im vorliegenden Fall nach Eintritt der Fälligkeit der ESt 2015, also nach Eintritt der formalen Rechtskraft statt. Im Zeitpunkt der Stellung des Wiederaufnahmeantrags war die Einbringlichkeit der ESt 2015 aufgrund des bereits bestehenden Schuldenregulierungsverfahrens zweifelhaft. Eine Teileinbringlichkeit wäre denkbar gewesen. Bei der Stellung des Wiederaufnahmeantrags war dieser daher zulässig. Das anhängige Schuldenregulierungsverfahren stellte kein Hindernis für eine verringerte Bemessung der ESt 2015 dar.

Die „Abschreibung“ der ESt-Schuld 2015 auf dem Abgabenkonto durch das FA führt selbst nicht zum Erlöschen der Abgabenschuld (vgl VwGH 30. 6. 1986, 84/15/0058; 22. 12. 2005, 2005/15/0114 mwN). Ebenso erging kein Löschungsbescheid gem § 235 BAO im vorliegenden Fall. Die Erlöschung wurde durch die gerichtlich erklärte Restschuldbefreiung gem § 213 IO bewirkt, die einen gesetzlichen Tilgungstatbestand darstellt.

Die durch den Wiederaufnahmeantrag beabsichtigte Änderung der Abgabenschuld kann somit nicht durchgesetzt oder nicht mehr legitim verfolgt werden. Aufgrund der gesetzlichen Tilgung durch § 213 IO ist ein Wiederaufnahmeantrag also aus heutiger Sicht als unzulässig anzusehen. Die Uneinbringlichkeit der ESt-Schuld 2015 ist gewiss und die Bf von der Schuld befreit. Aufgrund dessen erübrigen sich auch Überlegungen, ob der Antrag mängelfrei war (vgl Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 303 BAO Rz 52 ff).

Die Voraussetzungen einer Festsetzung der Abgaben nach Erlöschen des Abgabenanspruchs nach § 294 BAO bzw § 215 IO, lagen nicht vor. Ebenso ist gem § 206 Abs 2 BAO eine Abstandnahme der Abgabenfestsetzung nach § 206 Abs 1 lit b BAO nicht möglich, wenn der Abgabenanspruch getilgt ist. Mangels einer Rsp des VwGH zu den Rechtsfolgen des § 213 IO wurde die o Revision zugelassen.

Conclusio

Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren nach § 303 Abs 1 lit b BAO kann wieder aufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Die Tatsachen oder Beweismittel müssen aber bereits vor dem Zeitpunkt der ursprünglichen Bescheiderlassung bestanden haben (nova reperta) (vgl Ritz/Koran, BAO8 [2025] § 303 BAO Rz 30). Ob ein Verschulden der Partei seit dem FVwGG 2012 ein Hindernis für eine Wiederaufnahme darstellt, ist umstritten (vgl dagegen Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO: Stoll Kommentar – Digital First2.06 [2023] § 303 BAO Rz 39; BFG 12. 3. 2015, RV/7100341/2011; aA: BFG 10. 7. 2014, RV/5101246/2011; 16. 6. 2014, RV/3100671/2012; 12. 1. 2015, RV/7101489/2011; Zusammenfassend Althuber in Althuber/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO: Handbuch [2015] zu § 303 BAO, 820). Die Entscheidung über die Wiederaufnahme liegt im Ermessen der zuständigen Behörde und ist daher zu begründen (vgl VwGH 11. 8. 1993, 92/13/0096; 24. 1. 1996, 95/13/0136; 24. 2. 2000, 96/15/0129). Die Uneinbringlichkeit einer Abgabenforderung spricht dabei gegen eine Wiederaufnahme, wenn die gesamte Nachforderung davon betroffen ist, wie es im vorliegenden Fall war (vgl Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO § 303 BAO Rz 69).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36778 vom 28.05.2025