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BFG: Stufentarif bei der Bemessung des Selbstbehalts?

Bearbeiter: Dominic Thierstein

EStG 1988: § 34 Abs 4

Abstract

Das BFG hatte zu entscheiden, nach welcher Art die Berechnung des Selbstbehalts nach § 34 Abs 4 EStG bei außergewöhnlichen Belastungen in Form von Krankheitskosten zu erfolgen hat. Der Beschwerdeführer (Bf) vertrat die Ansicht, dass kein einfacher Prozentsatz, sondern ein Stufentarif für die jeweiligen Einkommensteile anzuwenden sei. Entgegen dessen entschied das BFG, dass eine solche Interpretation aufgrund der klaren Unterschiede nicht möglich sei und die Berechnung mit dem Grenzsatz zu erfolgen habe.

BFG 21. 8. 2024, RV/6100327/2023

Sachverhalt

Der Bf befand sich im Ruhestand und bezog im Jahr 2022 Einkünfte von der Pensionsversicherungsanstalt iHv 34.186,88 €. Im Rahmen einer Arbeitnehmerveranlagung machte er in diesem Jahr eine außergewöhnliche Belastung für Krankheitskosten (zahnärztliche Leistung) iHv 6.127,92 € geltend. Das FA reduzierte die außergewöhnliche Belastung aufgrund des Selbstbehalts von 10 % des Einkommens nach § 34 Abs 4 EStG. Der Bf erhob dagegen Beschwerde, in der er behauptete, dass der Selbstbehalt nach einem Stufentarif zu berechnen sei. Somit seien 6 % von den ersten 7.300,00 €, 8 % von den weiteren 7.300,00 € und 10 % von den restlichen 19.586,88 € abzuziehen. Die Beschwerde wurde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung durch das Finanzamt (FA) als unbegründet abgewiesen und das FA hielt an der Berechnung mit (einheitlichen) 10 % fest. Der Bf beantragte sodann die Vorlage der Beschwerde an das BFG.

Entscheidung des BFG

Das BFG setzt sich im Rahmen seiner Entscheidung mit der Ansicht des Bf auseinander, wonach der Selbstbehalt nach § 34 Abs 4 EStG in teleologischer Interpretation in „Tarifstufen“ zu bemessen sei. Dabei stützt er sich auf eine Literaturmeinung (SWK 18/2017, S 838), nach der die Rsp des BFH bzgl § 33 Abs 3 dEStG in der Entscheidung vom 19. 1. 2017, VI R 75/14 auch auf die österreichische Selbstbehaltsregelung übertragbar wäre. Darin entschied der BFH, dass der gesetzlich festgelegte Prozentsatz sich nur auf den Gesamtbetrag der Einkünfte beziehe, die in der Spalte stehen, in der sich auch der jeweilige Prozentsatz befindet.

Nach Ansicht des BFG verkennt die Interpretation des Bf dabei den eindeutigen österreichischen Gesetzestext. Der österreichische Gesetzgeber brachte die Anwendung eines progressiven Stufentarifs durch die Anwendung von Tarifstufen auf einzelne Einkommensteile in § 33 EStG klar zum Ausdruck. Im Gegensatz dazu wird die Berechnung des prozentuellen Selbstbehalts nach der Höhe des (Gesamt)Einkommens in § 34 EStG definiert. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, dass die Anwendung von jeweils eindeutig unterschiedlichen Bezeichnungen in zwei aufeinanderfolgenden gesetzlichen Bestimmungen desselben Gesetzes zur gleichen Rechtsfolge führen soll.

Aufgrund dieses wesentlichen Unterschieds im Wortlaut bleibt kein Raum für eine, wie im Fachartikel des Vertreters des Bf gewünschte, Interpretation als progressiver Stufentarif. Daher ist der Selbstbehalt als einfacher Prozentsatz des Einkommens zu berechnen. Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen. Die Revision erklärte das BFG für unzulässig.

Conclusio

Das BFG bestätigt in der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rsp (BFG 6. 2. 2023, RV/3100206/2019; schlüssig, durch Anwendung des einfachen Prozentsatzes: 26. 1. 2022, RV/3100014/2022; 5. 4. 2018, RV/7101245/2018). Die Rechtsansicht des BFG wirkt aus mehreren Gründen überzeugend: § 34 Abs 4 EStG bietet wohl einen kleineren Interpretationsspielraum als § 33 dEStG. Der Wortlaut des § 33 dEStG hat einen sehr ähnlichen Wortlaut zu § 32a Abs 1 dEStG (der den progressiven Steuersatz regelt), was für eine ähnliche Interpretation spricht. Dahingegen unterscheiden sich die Wortlaute von § 33 Abs 1 EStG und § 34 Abs 4 EStG deutlich. Auch die Betrachtung des früheren Wortlauts der Bestimmung und die Gesetzesmaterialien unterstützen die Ansicht des BFG. Nach den Materialien zum EStG 1967 (ErläutRV 545, 11. GP 60): „für die Berechnung der zumutbaren Mehrbelastung maßgebenden Einkommensstufen für niedrige und mittlere Einkommen“. Der § 33 Abs 4 EStG 1954 (BGBl I 1954/1) lautete „Die zumutbare Mehrbelastung [heute: Selbstbehalt] beträgt in Prozentsätzen des Einkommens […]“. Beides spricht für die Anwendung eines einfachen Prozentsatzes auf das Gesamteinkommen. Der Gesetzgeber wollte mit dem leichten Unterschied zum aktuellen Wortlaut wohl keine Änderung der Berechnungsweise bezwecken (zu BFG 6. 2. 2023, RV/3100206/2019 siehe Surböck/Beer, BFG: Zur Berechnung des Selbstbehaltes bei außergewöhnlichen Belastungen gem § 34 Abs 4 EStG, ecolex 2023/665). Die Berechnung nach einfachem Prozentsatz wird auch in der gängigen Verwaltungspraxis so gehandhabt, wie bspw LStR 2002 Rz 835 zeigt. Die Nichtzulassung der Revision überzeugt, da der VwGH selbst im Rahmen seiner Rsp nur den einheitlichen Prozentsatz verwendet hat (VwGH 12. 9. 2001, 96/13/0066; 28. 1. 2003, 98/14/0160; 24. 5. 2007, 2004/15/0051). Dies lässt wohl eine aus Sicht des VwGH (zumindest schlüssige) Betrachtung der üblichen Berechnungsmethode als korrekt zu. Hier sei allerdings angemerkt, dass die Ausgangssituation in Deutschland bis zur Judikaturwende durch BFH 19. 1. 2017, VI R 75/14 sehr ähnlich aussah. Dennoch liegen Detailunterschiede vor, die mE eine Interpretation als Stufentarif in Österreich nicht nahelegen. Eine explizite Beantwortung der Frage der Berechnung des Selbstbehalts durch den VwGH liegt allerdings noch nicht vor und wird mangels Revision zumindest in diesem Fall ausbleiben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36305 vom 20.01.2025