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BFG: Über die Beschwerde gegen den Aufhebungsbescheid ist vor der Beschwerde gegen den neuen Sachbescheid zu entscheiden

Bearbeiter: Dominik Hemmelmeyer

BAO: §§ 299, 307

Abstract

Das BFG hatte sich in der vorliegenden Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, ob die in der Lit und Rsp vertretene Ansicht zu § 307 BAO, dass bei Bekämpfung sowohl des Wiederaufnahmebescheides als auch des neuen Sachbescheides – bei sonstiger Rechtswidrigkeit – zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden ist, auf Aufhebungsbescheide gem § 299 BAO übertragbar ist. Nach Ansicht des BFG liegen bei einem Aufhebungsbescheid und einem Sachbescheid ebenso wie bei § 307 BAO rechtlich zwei Bescheide vor, die jeweils einem Rechtsmittel zugänglich sind und rechtskräftig werden können. Werden beide Bescheide bekämpft, so ist zunächst über die Bescheidbeschwerde gegen den Aufhebungsbescheid zu entscheiden.

BFG 21. 2. 2024, RV/7103775/2015

Sachverhalt

Das FA erließ am 3. 11. 2014 betreffend den Beschwerdeführer (Bf) Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2012 und hob den Einkommensteuerbescheid 2013 gem § 299 BAO auf. Noch am gleichen Tag erließ das FA neue Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013. Am 18. 11. 2014 brachte der Bf sowohl gegen die Wiederaufnahme- als auch die Sachbescheide Beschwerde ein. Über die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013 entschied das FA sodann mit Beschwerdevorentscheidungen vom 28. 2. 2015. Am 16. 6. 2015 brachte der Bf betreffend die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013 einen Vorlageantrag ein. Die Beschwerde wurde sodann mit Vorlagebericht vom 24. 7. 2015 dem BFG zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerdevorentscheidungen hinsichtlich der Wiederaufnahmebescheide zu den Einkommensteuerbescheiden 2010 bis 2012 sowie hinsichtlich des Aufhebungsbescheides zum Einkommensteuerbescheid 2013 wurden erst am 20. 2. 2024 erlassen. Die Beschwerden wurden mit diesen Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet abgewiesen.

Entscheidung des BFG

Gem § 299 Abs 1 und 2 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Gem § 307 Abs 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

Zu § 307 BAO vertritt die hL und Rsp folgende Rechtsauffassung (vgl Ritz, BAO5 § 307 Rz 7): „Der Wiederaufnahmebescheid und der neue Sachbescheid sind zwei Bescheide, die jeder für sich einer Bescheidbeschwerde zugänglich sind und der Rechtskraft teilhaftig werden können (zB VwGH 12.9.1996, 96/15/0163; 17.11.2004, 2000/14/0142; 18.12.2008, 2006/15/0367; 24.6.2009, 2007/15/0041). Auch hinsichtlich ihrer Behebbarkeit (z.B. gem. § 299) sind sie getrennt zu beurteilen (VwGH 17.9.1991, 88/14/0012). Sind beide Bescheide mit Bescheidbeschwerde angefochten, so ist zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden (VwGH 22.5.1990, 87/14/0038; 22.12.2005, 2001/15/0004; 28.2.2012, 2009/15/0170). Die Entscheidung über beide Beschwerden kann in einer Entscheidung verbunden werden (VwGH 24.6.1986, 86/14/0014). Wurde das Rechtsmittel gegen den Wiederaufnahmebescheid unerledigt gelassen und vorerst über die Bescheidbeschwerde gegen den neuen Sachbescheid abgesprochen, so ist die Entscheidung inhaltlich rechtswidrig (vgl VwGH 8.11.1988, 88/14/0135; 2.9.2009, 2005/15/0031; 22.11.2012, 2012/15/0193)."

Bei einem Aufhebungsbescheid und einem Sachbescheid liegen ebenso wie nach § 307 Abs 1 BAO rechtlich zwei Bescheide vor, die jeweils für sich mit einem Rechtsmittel bekämpft und der Rechtskraft teilhaftig werden können (vgl zu § 307 zB VwGH 29. 11. 2000, 99/13/0225; 23. 4. 2001, 96/14/0091; 17. 11. 2004, 2000/14/0142).

Sollten also beide Bescheide mit Bescheidbeschwerde angefochten werden, so ist – so das BFG – zunächst über die Bescheidbeschwerde gegen den Aufhebungsbescheid zu entscheiden (vgl zu § 307 VwGH 22. 5. 1990, 87/14/0038). Die Entscheidung über die beiden Beschwerden kann auch verbunden werden (VwGH 24. 6. 1986, 86/14/0014).

Im vorliegenden Fall hat sich der Bf in seiner Beschwerde gegen die „am 3. November 2014 ergangenen Wiederaufnahmebescheide betreffend die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013“ gerichtet. Die Beschwerde richtete sich demnach – so das BFG – eindeutig auch gegen die Wiederaufnahmebescheide sowie gegen den Aufhebungsbescheid gem § 299 BAO, mit dem der Einkommensteuerbescheid 2013 aufgehoben worden ist.

Das FA hat mit den Beschwerdevorentscheidungen unstrittig nur über die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013 abgesprochen. Andernfalls hätte das FA am 20. 2. 2024 die Beschwerdevorentscheidungen hinsichtlich der Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide sowie den Aufhebungsbescheid gem § 299 BAO nicht erlassen. Es wurde daher – so das BFG – nur über die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013 abgesprochen.

Nach Ansicht des BFG steht daher fest, dass das FA mit den Beschwerdevorentscheidungen vom 28. 5. 2015 nur über die Beschwerden gegen die (neuen) Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013 abgesprochen hat. Die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide und den Aufhebungsbescheid hat das FA hingegen unerledigt gelassen. Die Beschwerdevorentscheidungen des FA sind daher rechtswidrig, da nicht zumindest gleichzeitig mit der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Sachbescheide auch über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide und den Aufhebungsbescheid entschieden wurde. Dies kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht saniert werden.

Die Beschwerdevorentscheidungen vom 28. 5. 2015 wurden daher als rechtswidrig aufgehoben. Der gegen diese Beschwerdevorentscheidungen erhobene Vorlageantrag war folglich als unzulässig geworden zurückzuweisen, da ein Vorlageantrag zwingend eine im Rechtsbestand befindliche Beschwerdevorentscheidung voraussetzt. Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013 ist damit wieder unerledigt.

Die Revision wurde zugelassen, da zur Rechtsfrage, ob eine Beschwerdevorentscheidung betreffend eine Beschwerde gegen einen Aufhebungsbescheid gem § 299 BAO vor der Beschwerdevorentscheidung betreffend den Sachbescheid zu ergehen hat, Rsp des VwGH fehlt.

Conclusio

Das BFG beschäftigte sich in dieser Entscheidung mit der Frage, ob die in der Lit und Rsp vertretene Ansicht zu § 307 BAO auch für § 299 BAO zutreffend ist. Konkret geht es um die Frage, wie vorzugehen ist, wenn sowohl der Wiederaufnahmebescheid als auch der neue Sachbescheid mit Bescheidbeschwerde bekämpft werden. Zu § 307 BAO wird hierzu die Auffassung vertreten, dass in einem solchen Fall „zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmsbescheid zu entscheiden“ ist (Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 307 Rz 7). Sollte die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmsbescheid unerledigt gelassen und vorerst über die Beschwerde gegen den neuen Sachbescheid entschieden werden, „so ist die Entscheidung inhaltlich rechtswidrig“ (Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 307 Rz 7). Das ist insofern sachgerecht, als das Schicksal des Sachbescheides vom Ergebnis des hinsichtlich der Zulässigkeit der Wiederaufnahme durchgeführten Beschwerdeverfahrens abhängig ist (Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar – Digital First2.06 [2023] § 307 Rz 17). Wenn sich in diesem Beschwerdeverfahren die Unzulässigkeit der Wiederaufnahme herausstellt, führt dies zur Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides sowie zur Beseitigung des (angefochtenen) Sachbescheides. Wurde der Sachbescheid nicht bekämpft, verliert er dennoch seine Wirkung (Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar – Digital First2.06 [2023] § 307 Rz 17). In der Lit wird dies auch für Aufhebungsbescheide nach § 299 BAO vertreten: „Wird gegen beide Bescheide Beschwerde eingebracht, ist zuerst über die Beschwerde gegen den Aufhebungsbescheid zu entscheiden“ (Fiala in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar – Digital First2.06 [2023] § 299 Rz 42; vgl auch Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 299 Rz 45). Im Ergebnis ist die Entscheidung des BFG wohl sachgerecht. Es bleibt abzuwarten, ob gegen das Erkenntnis Revision erhoben wird.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35320 vom 18.04.2024