News

BFG: Unterjährige Verlagerung des Lebensmittelpunkts und Progressionsvorbehalt

Bearbeiter: Thomas Frenkenberger

DBA-Niederlande: Art 4 Abs 3, Art 16 Abs 1, Art 24 Abs 3

EStG 1988: § 33

Abstract

Das BFG hatte sich mit dem Progressionsvorbehalt bei Verlagerung des Lebensmittelpunkts ins Ausland auseinanderzusetzen. Der Steuerpflichtige hatte seinen Lebensmittelpunkt während des Jahres in die Niederlande verlegt, behielt seinen Wohnsitz aber in Österreich, sodass er weiterhin als unbeschränkt steuerpflichtig anzusehen war. Fraglich war, ob die niederländischen Einkünfte aus den letzten Monaten des Jahres für die Besteuerung der in Österreich erzielten Einkünfte als progressionserhöhend zu berücksichtigen waren.

BFG 13. 9. 2023, RV/7102146/2023

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) ist ein deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich und war bis zum 15. 9. 2019 in Österreich unselbstständig beschäftigt. Mit 16. 9. 2019 nahm er eine unselbstständige Tätigkeit in den Niederlanden auf, für die er auch in die Niederlande zog. Zunächst wohnte der Bf in einem Hotel und ab Anfang 2020 in einem dort gekauften Haus. Seinen Wohnsitz in Österreich gab er aber nicht auf.

Aus seiner Tätigkeit in Österreich bezog der Bf im Jahr 2019 Einkünfte iHv € 57.602,91, aus seiner Anstellung in den Niederlanden Einkünfte iHv € 30.516,00. Die österreichische Abgabenbehörde besteuerte nur die österreichischen Einkünfte, bezog aber die niederländischen Einkünfte für die Ermittlung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts ein. Der Bf erachtete die Einbeziehung der niederländischen Einkünfte als nicht rechtmäßig und erhob daher Beschwerde gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid, mit der sich nun das BFG zu befassen hatte.

Entscheidung des BFG

Das BFG ruft zunächst in Erinnerung, dass der Bf unabhängig von einer abkommensrechtlichen Ansässigkeit das gesamte Jahr über unbeschränkt steuerpflichtig ist. Eine allfällige Aufspaltung des Einkommensteuerbescheids in einen Zeitraum bis zum 15. 9. 2019 einerseits und in einen Zeitraum nach dem 16. 9. 2019 andererseits kommt daher nicht in Betracht. Auch die Zweitwohnsitzverordnung ist nicht einschlägig, weil die Begünstigung bei Auswärtsverlagerung des Lebensmittelpunktes erst im Folgejahr angewendet werden kann, sodass grundsätzlich auch die niederländischen Einkünfte in Österreich steuerpflichtig sind.

Das österreichische Besteuerungsrecht wird aber hinsichtlich der niederländischen Einkünfte folgendermaßen eingeschränkt: Bis zum 15. 9. 2019 war der Bf nur in Österreich, ab dem 16. 9. 2019 grundsätzlich in Österreich und den Niederlanden ansässig, sodass der Mittelpunkt der Lebensinteressen zu ermitteln ist. Da der Bf Freunde in Österreich, Deutschland und den Niederlanden hat, sind die näheren persönlichen Verbindungen für diesen Zeitraum nicht festzustellen. Daher bestimmt das BFG den Mittelpunkt der Lebensinteressen nach wirtschaftlichen Verhältnissen, die ausschlaggebend dafür sind, dass der Bf ab dem 16. 9. 2019 in den Niederlanden abkommensrechtlich ansässig war. Die aus der unselbstständigen Tätigkeit in den Niederlanden bezogenen Einkünfte sind daher gem Art 16 Abs 1 DBA-Niederlande (entspricht Art 15 Abs 1 OECD-MA) nur in den Niederlanden zu besteuern. Da Österreich im relevanten Zeitraum nicht der abkommensrechtliche Ansässigkeitsstaat ist, kann sich Österreich grundsätzlich nicht auf den expliziten Progressionsvorbehalt in Art 24 Abs 3 DBA-Niederlande (entspricht Art 23A Abs 3 OECD-MA) berufen.

Das BFG erkennt aber – in Anlehnung an kürzlich ergangene hg Rsp zum DBA-Türkei (VwGH 7. 9. 2022, Ra 2021/13/0067) –, dass das DBA-Niederlande einem innerstaatlichen Progressionsvorbehalt im Quellenstaat nicht entgegensteht. Dementsprechend muss „der sich aus dem innerstaatlichen Recht ergebende Progressionsvorbehalt (infolge Anwendung des progressiven Steuertarifes auf das Welteinkommen) angewendet werden.“ Das BFG weist daher die Beschwerde ab und lässt die ordentliche Revision mit Hinblick auf die kürzlich ergangene VwGH-Judikatur zur selben Problemstellung nicht zu.

Conclusio

Die Entscheidung des BFG war aufgrund der kürzlich ergangenen VwGH-Judikatur (VwGH 7. 9. 2022, Ra 2021/13/0067) und der darauffolgenden BFG-Judikatur (BFG 8. 11. 2022, RV/7101903/2021; 14. 4. 2023, RV/7102171/2021; 2. 5. 2023, RV/7101743/2021) im Grunde erwartbar. Dass ein DBA einem innerstaatlichen Progressionsvorbehalt im abkommensrechtlichen „Nichtansässigkeitstaat“ nicht entgegensteht, ist überzeugend. Die Ableitung eines innerstaatlichen Progressionsvorbehalts aus der allgemeinen Systematik des EStG durch den VwGH wird zwar vom Autor dieser Zeilen nicht geteilt (siehe Frenkenberger, VwGH: Progressionsvorbehalt in Österreich als abkommensrechtlicher Quellenstaat? LexisNexis Rechtsnews 33283 v 17. 11. 2022), ist aber mittlerweile nicht nur stRsp, sondern auch im Schrifttum weitgehend akzeptiert (Kerschner, VwGH zum Progressionsvorbehalt bei unbeschränkt steuerpflichtigen „DBA-Ausländern“, ÖStZ 2022, 627; Lang/Schmidjell-Dommes/Stefaner/Unger/Zorn in Klokar/Knotzer (Hrsg), SWI Jahrestagung: Progressionsvorbehalt im Quellenstaat Österreich, SWI 2023 [in Druck]; krit zu einem allgemeinen Teilaspekt der Berechnung des Progressionsvorbehalts: Kollruss, Ist die Steuerberechnung beim Progressionsvorbehalt im österreichischen Steuerrecht unionsrechtswidrig? SWI 2022, 615).

Die im konkreten Fall vorliegende Konstellation ist aufgrund des unterjährigen abkommensrechtlichen Ansässigkeitswechsels neu, kann aber mit der bereits vorliegenden Judikatur ohne Weiteres gelöst werden. Anzumerken ist, dass die Situation gänzlich anders wäre, wenn der Bf seinen österreichischen Wohnsitz mit 16. 9. 2019 aufgegeben hätte. In diesem Fall wären nach nationalem Recht die Veranlagungszeiträume zu trennen gewesen und die niederländischen Einkünfte hätten sich nicht progressionserhöhend auswirken können (siehe Kanduth-Kristen/Kofler in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler (Hrsg), Internationales Steuerrecht2 [2019] 424 f mwN; krit Heber, Progressiver Steuertarif bei Zu- und Wegzug nach und aus Österreich, ÖStZ 2016, 150).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34932 vom 09.01.2024