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Abstract
Das BFG hatte über eine Beschwerde gegen den ESt-Bescheid 2019 zu entscheiden. Dabei war insb die Frage zu beantworten, ob dem in Österreich wohnhaften und in Deutschland beschäftigten Bf (Grenzgänger) der Veranlagungsfreibetrag zustand, obwohl keine lohnsteuerpflichtigen Einkünfte iSd § 41 Abs 3 EStG vorlagen. Entgegen seiner bisherigen Rsp bejahte das BFG diese Frage mit Hinweis auf Art 45 AEUV.
BFG 11. 3. 2024, RV/6100067/2023
Sachverhalt
Der in Österreich wohnhafte Bf ist bei einem deutschen Unternehmen angestellt und erbringt seine Tätigkeit in Deutschland nahe der österreichischen Grenze. Eine inländische Betriebsstätte existiert nicht. Der Bf erzielt aus dieser Beschäftigung im Jahr 2019 Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit. Da der Bf als Grenzgänger iSd Art 15 Abs 6 DBA Deutschland anzusehen war, kam Österreich das ausschließliche Besteuerungsrecht für die Einkünfte zu. Außerdem erzielt der Bf selbstständige Einkünfte aus einer sporadisch ausgeübten Vortragstätigkeit.
Gegen seinen Einkommensteuerbescheid 2019 erhob der Bf Beschwerde. Strittig war zunächst, ob dem ausländischen Bruttogehalt noch die Arbeitnehmerbeiträge für die Pensionskasse hinzuzurechnen sind. Das BFG kam aufgrund der deutschen Lohnzettel zum Schluss, dass diese Beiträge im Bruttogehalt bereits enthalten waren und gab der Beschwerde diesbezüglich statt. Darüber hinaus befasste sich das BFG im Rahmen seiner umfassenden Kognitionsbefugnis jedoch auch noch mit der – im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht aufgegriffenen – Frage, ob dem Bf hinsichtlich seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Veranlagungsfreibetrag nach § 41 Abs 3 EStG zusteht.
Entscheidung des BFG
Nach der herrschenden Ansicht und bisherigen Judikatur des BFG kommt der Veranlagungsfreibetrag im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, da die ausländischen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit keine „lohnsteuerpflichtigen Einkünfte“ iSd § 41 Abs 3 EStG sind. Vielmehr liegen „andere Einkünfte“ iS dieser Bestimmung vor (Hinweis auf ua Atzmüller in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG [20. Lfg, 2018] § 41 Rz 50; BFG 2. 7. 2018, RV/3100403/2013).
Diese Ansicht ist dem BFG zufolge jedoch nicht mit dem Unionsrecht vereinbar: So stehen die Vertragsbestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit (insb Art 45 AEUV) Maßnahmen entgegen, die Unionsbürger benachteiligen, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen. Würde der Veranlagungsfreibetrag nur auf Personen beschränkt, die im Inland lohnsteuerpflichtige Einkünfte erzielen, so wird das zu versteuernde Einkommen nur deshalb erhöht, weil er seine nichtselbständigen Einkünfte aus einem anderen Mitgliedstaat bezieht. Eine solche Regelung stellt eine nach Art 45 AEUV verbotene Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar (Hinweis auf EuGH 22. 6. 2017, C-20/16, Bechtel und Bechtel; Zorn, ÖStZB 2018, 519). Rechtfertigungsgründe für eine derartige Beschränkung sind für das BFG nicht erkennbar. Vielmehr sind allen in Österreich steuerpflichtigen Arbeitnehmern innerstaatliche Begünstigungen zu gewähren, die bei Arbeitgebern in der EU und im EWR beschäftigt sind (Hinweis auf Feuerstein, SWK 2005, 972).
Im Ergebnis ist die Einschränkung des Veranlagungsfreibetrags nur auf Arbeitnehmer, die Einkünfte von einem Arbeitgeber mit Betriebsstätte im Inland beziehen, nach Ansicht des BFG ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen Art 45 AEUV. Daher muss der Veranlagungsfreibetrag auch Arbeitnehmern zur Verfügung stehen, deren Einkünfte lohnsteuerpflichtige Einkünfte darstellen würden, wenn der Arbeitgeber im Inland eine Betriebsstätte hätte. Somit steht dem Bf der Veranlagungsfreibetrag zu.
Die Revision ließ das BFG mit dem Hinweis zu, dass zur vorliegenden Rechtsfrage keine Rsp des VwGH existiert. Nach den Informationen in der FINDOK wurde die Revision nicht erhoben.
Conclusio
Im vorliegenden Fall weicht das BFG von seiner bisherigen Rsp ab, wonach von ausländischen Arbeitgebern ohne Betriebsstätte im Inland bezogene Einkünfte nicht als lohnsteuerpflichtige Einkünfte iSd § 41 Abs 3 EStG angesehen werden können. Der vorliegende Sachverhalt wird jedenfalls als Schlechterstellung des grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einer rein nationalen Konstellation anzusehen sein. Fraglich ist, ob dafür auch eine Rechtfertigung gefunden werden kann. Da die für zulässig erklärte Revision nicht erhoben wurde, ist nicht mit einer unmittelbaren Klärung der Rechtsfrage zu rechnen. Die Finanzverwaltung dürfte dem BFG jedoch im konkreten Verfahren mitgeteilt haben, dass es die Rechtsansicht des BFG teilt. Fraglich ist, ob sich dies auch legistisch niederschlagen wird oder zumindest eine Änderung der LStR vorgenommen wird (vgl Hell, BFGjournal 2024, 173 [176]).
In der Praxis scheint das vorliegende Problem insofern gelindert werden zu können, wenn der Arbeitgeber die seit 2020 bestehende Möglichkeit zum freiwilligen Lohnsteuerabzug wahrnimmt. Dadurch qualifizieren sich die ausländischen Einkünfte als „lohnsteuerpflichtige Einkünfte“ und ein Veranlagungsfreibetrag steht in diesem Falle zu (siehe zB LStR Rz 927; vgl auch Ehgartner/Knechtl, SWK 2024, 882 [886]).
Ehgartner/Knechtl weisen außerdem auf andere Konstellationen hin, in denen ebenso – zumindest nach bisheriger Rsp– kein Veranlagungsfreibetrag zusteht und dies womöglich im Spannungsverhältnis mit dem Unionsrecht steht (Ehgartner/Knechtl, SWK 2024, 882 [886]): Genannt wird zunächst der Fall, in denen eine in Österreich wohnhafte Person ausländische Renteneinkünfte (und somit keine lohnsteuerpflichtigen Einkünfte) bezieht. Nach der Rsp des BFG kommt in derartigen Konstellationen ein Veranlagungsfreibetrag nicht in Betracht (BFG 30. 10. 2015, RV/7104766/2015). Außerdem wird auch auf die Konstellation hingewiesen, dass die Tätigkeit für einen ausländischen Arbeitgeber zwar im Inland, jedoch nicht in einer inländischen Betriebsstätte erbracht wird oder der ausländische Arbeitgeber nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet werden kann (zB Sur-Place-Personal). Auch in diesem Fall steht ein Veranlagungsfreibetrag nicht zu. Fraglich ist, ob in all diesen Konstellationen künftig ein Verstoß gegen das Unionsrecht erblickt werden wird und deshalb der Veranlagungsbetrag zusteht.