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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
Abstract
In der vorliegenden Entscheidung des BFG wurde klargestellt, dass die Pflegekindeigenschaft iSd § 2 Abs 3 lit d FLAG nicht mit Erreichen der Volljährigkeit endet. Die zivilrechtliche Auslegung des Pflegekindbegriffs nach §§ 184, 185 ABGB bleibt auch über die Volljährigkeit hinaus bestehen. Das BFG folgt damit der Ansicht des VfGH, wonach Pflegekinder zivilrechtlich den leiblichen Stief- und Adoptivkindern gleichzustellen sind. Eine unterschiedliche Behandlung volljähriger Pflegekinder im Vergleich zu anderen Kindergruppen wäre im Hinblick auf Art 7 Abs 1 B-VG wohl auch sachlich nicht gerechtfertigt. Zudem wird auf die Gesetzesmaterialien verwiesen, die ausdrücklich die Gleichstellung aller Kinderarten im FLAG als Ziel des Gesetzes nennen.
BFG 23. 2. 2025, RV/7103871/2023
Sachverhalt
Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Pflegekindeigenschaft mit Volljährigkeit des Kindes endet und deshalb kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag besteht. Mit dieser Begründung forderte die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid von der Beschwerdeführerin (Bf) die Familienbeihilfe für den Zeitraum vom Februar 2019 bis Februar 2022 zurück (insgesamt 8.369,90 €). Fraglich ist, ob ein Beihilfenbezieher für das Pflegekind mit Erreichen dessen Volljährigkeit keinen Anspruch auf die Familienbeihilfe hat, weil mit Volljährigkeit die Eigenschaft als Pflegekind erlischt, oder ob volljährige Pflegekinder den leiblichen Stief- und Adoptivkindern zivilrechtlich gleichgestellt sind, sodass die Volljährigkeit nicht schadet.
Entscheidung des BFG
Der Begriff des Pflegekindes stammt aus dem Familienrecht. Als zivilrechtlicher Begriff ist er nach den Grundsätzen des Zivilrechts auszulegen und mit dem zivilrechtlichen Begriffsinhalt in § 2 Abs 3 lit d FLAG zu übernehmen. Nach den Materialien (ErläutRV 310 BlgNR 13. GP 6) wurde mit der Novelle des Familienlastenausgleichsgesetzes im Jahr 1972 bezweckt, mit der Einführung des Pflegekinderbegriffes in § 2 Abs 3 lit d FLAG die zivilrechtliche Gleichstellung aller Varianten von Kindern umzusetzen.
Der VwGH (14. 9. 1993, 93/15/0120) hat die bis 30. 6. 2001 geltende Zivilrechtslage so ausgelegt, dass das Pflegschaftsverhältnis nach dem Zivilrecht nicht ausdrücklich über die Volljährigkeit des Pflegekindes hinausging, weil mit Eintritt der Volljährigkeit des Pflegekindes die Ermächtigung der Pflegeeltern erlosch. Das Zivilrecht selbst hätte daher das Pflegschaftsverhältnis mit Erreichen der Volljährigkeit des Pflegekindes begrenzt. Der VwGH hatte keine Bedenken, dass eine Verletzung des aus dem Gleichheitssatz resultierenden Sachlichkeitsgebots vorliegen könnte, wenn der Anspruch auf die Familienbeihilfe auch für volljährige leibliche Kinder und deren Nachkommen, Wahlkinder und Stiefkinder (§ 2 Abs 3 lit a–c FLAG) besteht, jedoch bei Pflegekindern (§ 2 Abs 3 lit d FLAG) nur auf die Dauer deren Minderjährigkeit begrenzt ist.
Mit Erkenntnis VfGH 13. 6. 2023, E 2174/2022 erkannte der VfGH, dass Anspruch auf Familienbeihilfe auch für bereits volljährige behinderte Pflegekinder besteht. In diesem VfGH-Verfahren zu § 18a ASVG (Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes) war nicht das BFG belangte Behörde, sondern das BVwG. Der VfGH hat aber dennoch zum Kinderbegriff des § 2 Abs 3 FLAG eine konkrete Aussage getroffen, da § 18a ASVG auf den Kinderbegriff des FLAG Bezug nimmt. Eine differenzierte Auslegung der Kinderbegriffe des § 2 Abs 3 lit a–d FLAG müsste im Hinblick auf Art 7 Abs 1 B-VG aus besonderen Gründen sachlich gerechtfertigt sein. Derartige Gründe waren dem VfGH jedoch nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber in den ErläutRV 310 BlgNR 13. GP 6 zum Ausdruck gebracht, dass im Rahmen des § 2 Abs 3 FLAG die völlige Gleichstellung von Pflegekindern mit den übrigen Kindern erreicht werden soll.
Nach dem Beschwerdevorbringen hat das BFG keinen Zweifel daran, dass der verwirklichte Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen der Pflegekindeigenschaft erfüllt. Die Pflegekindeigenschaft nach §§ 184, 185 ABGB wird nicht durch den Eintritt der Volljährigkeit des Pflegekindes aufgehoben. Da zum Familienbeihilfenanspruch für das volljährige Pflegekind eine Rsp des VwGH zu § 2 Abs 3 lit d FLAG fehlt, war die ordentliche Revision zuzulassen. Es wurde auch Amtsrevision eingebracht.
Conclusio
Zu der Frage, ob die Pflegekindeigenschaft durch die Volljährigkeit des Pflegekindes aufgehoben wird, bestehen mehrere andere Entscheidungen des BFG, die ebenfalls zur aktuellen Rechtslage ergangen sind (BFG 8. 6. 2017, RV/7102827/2017; 16. 1. 2020, RV/7100699/2019; 20. 4. 2023, RV/4100086/2023; 22. 4. 2024, RV/7100710/2024). Diese Entscheidungen gehen aber alle davon aus, dass die Pflegekindeigenschaft des volljährigen Kindes aufgehoben wird. In den genannten Judikaten wurde außerdem die ordentliche Revision nicht für zulässig erklärt, da wegen der zitierten Rsp des VwGH keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bestehe.
Im Erkenntnis BFG 28. 2. 2025, RV/7101317/2024 kommt das BFG hingegen zum gleichen Ergebnis wie in der hier besprochenen Entscheidung BFG 23. 2. 2025, RV/7103871/2023. Im Hinblick auf das Erkenntnis VfGH 13. 6. 2023, E 2174/2022 sprechen wohl die besseren Argumente für die Beibehaltung der Pflegekindeigenschaft bei Volljährigkeit des Pflegekindes, da ansonsten das Ergebnis gleichheitsrechtlich bedenklich wäre.
Die Rsp des VwGH (14. 9. 1993, 93/15/0120) zu dieser Frage ist noch zur alten (zivilrechtlichen) Rechtslage ergangen. Da sowohl bezüglich des Erkenntnisses BFG 23. 2. 2025, RV/7103871/2023 als auch wegen des Erkenntnisses BFG 28. 2. 2025, RV/7101317/2024 Amtsrevision eingebracht wurde, wird der VwGH bald Gelegenheit erhalten, sich zu dieser in der Rsp des BFG umstrittenen Rechtsfrage zu äußern.