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BFG: Vorsteuerberichtigung bei steuerfreiem Verkauf eines ungenutzten Gebäudeteiles in einem bereits genutzten Gebäude

Bearbeiter: Benjamin Beer

UStG 1994: § 12 Abs 10 und 11

GrEStG 1987: § 2

Abstract

Das BFG hatte zu beurteilen, ob der Betreiber eines Einkaufszentrums nach dem steuerfreien Verkauf einer bislang ungenutzten Geschäftseinheit nur eine anteilige Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs 10 UStG oder eine Vorsteuerberichtigung in voller Höhe nach § 12 Abs 11 UStG vornehmen muss. Da nach Ansicht des BFG die Geschäftseinheit ein eigenständiges Berichtigungsobjekt darstellt, die infolge des Leerstandes nicht als Anlagevermögen genutzt wurde, ist der Anwendungsbereich des § 12 Abs 10 UStG nicht erfüllt. Daher ist die Vorsteuer in voller Höhe nach § 12 Abs 11 UStG zu berichtigen.

BFG 9. 6. 2023, RV/3100077/2015

Sachverhalt

Die Bf war Betreiberin und Mehrheitseigentümerin eines Einkaufszentrums in Tirol. Dieses hatte sie 2002 errichtet und machte für die sowohl unmittelbaren als auch nachträglich angefallenen Herstellungskosten einen Vorsteuerabzug geltend. Im Jahr 2010 wurde die Liegenschaft parifiziert, um eine Geschäftseinheit verkaufen zu können.

Die gegenständliche Geschäftseinheit war bislang – anders als andere Geschäftseinheiten des Einkaufszentrums – nicht vermietet worden. Tatsächlich wurde sie kurz nach der Parifizierung steuerfrei verkauft. Infolge des Verkaufes nahm die Bf eine anteilige Vorsteuerkorrektur iHv etwa 13 % der abgezogenen Vorsteuern für die Herstellungskosten der gegenständlichen Geschäftseinheit vor.

Das FA vertrat jedoch die Ansicht, die Vorsteuer hätte für die vollen Herstellungskosten der Geschäftseinheit korrigiert werden müssen, und erließ einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid, den die Bf anfocht. Nach einer abweisenden BVE wandte sich die Bf an das BFG.

Entscheidung des BFG

Das BFG stellte zunächst fest, dass es sich bei dem steuerfreien Verkauf der Geschäftseinheit unstrittig um eine Veränderung der Verhältnisse iSd § 12 Abs 10 UStG und der Voraussetzungen iSd § 12 Abs 11 UStG handelt. Im vorliegenden Fall erhob sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage, wie die Begriffe des „Gegenstandes“ und dessen „Nutzung oder Verwendung im Anlagevermögen“ iSd § 12 Abs 10 UStG auszulegen sind. Handelt es sich beim „Gegenstand“ um das gesamte Einkaufszentrum und wird dieses durch die erste Vermietung verwendet, so wären die Voraussetzungen des § 12 Abs 10 UStG erfüllt und die Bf müsste die Vorsteuer tatsächlich nur anteilig korrigieren. Ist jedoch die Geschäftseinheit als „eigener Gegenstand“ anzusehen und mangels Vermietung nicht verwendet worden, so müsste nach § 12 Abs 11 UStG eine Vorsteuerberichtigung in voller Höhe erfolgen.

Der Begriff des „Gegenstandes des Anlagevermögens“ ist im UStG nicht legaldefiniert. Aus dem Verweis des § 12 Abs 10 UStG idF BGBl I 2007/99 und idF BGBl I 2010/34, also in einer alten, aber für den Sachverhalt noch maßgeblichen Rechtslage des § 2 GrEStG, kann aber jedenfalls abgeleitet werden, dass sowohl Grundstücke als auch Grundstücksteile als Gegenstände iSd Bestimmung in Betracht kommen. Dies ist nämlich der ausdrücklichen Anordnung des § 2 Abs 3 zweiter Satz GrEStG zu entnehmen.

Die Einordnung der Geschäftseinheit als eigenen Gegenstand entspricht der ertragsteuerlichen Rsp des VwGH zu den Begriffen des Wirtschaftsgutes und des Vermögensgegenstandes (VwGH 21. 12. 1993, 93/14/0216). Die hieraus ableitbaren Voraussetzungen der selbständigen Bewertbarkeit und wertmäßigen Realisierbarkeit sind erfüllt, weil der separate Verkauf tatsächlich erfolgt ist.

Auch die erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene Parifizierung ist unerheblich, da diese ausschließlich im Ermessen der Eigentümer liegt. So sind die selbständige Bewertbarkeit und wertmäßige Realisierbarkeit bereits dann erfüllt, wenn eine Parifizierung zumindest abstrakt möglich ist. Für das Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen spricht zudem der Abschluss eines Vorvertrages vor der Parifizierung.

Diese Ansicht wird auch durch die Rsp des BFH zur vergleichbaren deutschen Rechtslage bekräftigt. Gem § 15a Abs 1 dUStG (sinngemäß § 12 Abs 10 öUStG) unterliegt ein Gebäude nur zu jenem Teil der Vorsteuerberichtigung, zu dem es bereits in Verwendung genommen wurde (BFH 29. 4. 2020, XI R 14/19).

Im Ergebnis ordnet das BFG die Geschäftseinheit daher als eigenen Gegenstand und somit als Berichtigungsobjekt für die Vorsteuer ein. Dieser Gegenstand wurde infolge des Leerstandes nicht als Anlagevermögen verwendet oder genutzt. Der Anwendungsbereich des § 12 Abs 10 UStG ist daher nicht erfüllt, weshalb eine Vorsteuerberichtigung in voller Höhe nach § 12 Abs 11 UStG zu erfolgen hat.

Die Anwendung des § 12 Abs 11 UStG verstößt weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht. Sie führt nämlich dazu, dass der steuerfreie Verkauf eines vorab nur zu einem kleinen Teil steuerpflichtig vermieteten Gebäudes nicht zu einer bloß anteiligen Vorsteuerberichtigung führt. Außerdem haben die Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der Umsetzung der Vorsteuerberichtigung und insbesondere bei der Definition des Berichtigungsobjekts. Letztere lässt uA das Abstellen auf die erstmalige tatsächliche Verwendung eines Investitionsgutes ausdrücklich zu (vgl dazu Art 187 Abs 1 MwStSyst-RL).

Das BFG schloss sich somit der Ansicht des FA an und wies die Beschwerde ab. Mangels Rsp des VwGH zu der hier entscheidenden Frage, nämlich ob ein Grundstücksteil einen selbständigen, im Anlagevermögen verwendeten Gegenstand und somit auch ein Berichtigungsobjekt für Zwecke des § 12 Abs 10 UStG darstellen kann, erklärte es die Revision für zulässig. Letztere wurde allerdings – soweit ersichtlich – nicht erhoben.

Conclusio

Seit dem AbgÄG 2016 (BGBl I 2016/117) enthält § 12 Abs 10 UStG keinen Verweis mehr auf § 2 GrEStG. Vielmehr ist die Grundstücksdefinition des Art 13b DVO (EU) Nr 282/2011 idF DVO (EU) Nr 1042/2013 seit ihrem Inkrafttreten zum 1. 1. 2017 maßgeblich (Ruppe/Achatz, UStG5 § 12 Rz 308, § 6 Rz 195 ff). Auch nach dieser kann eine einzelne Geschäftseinheit ein Grundstück und somit ein „Gegenstand des Anlagevermögens“ iSd § 12 Abs 10 UStG sein, da sie einen „wesentlichen Bestandteil eines Gebäudes“ iSd Art 13b lit c DVO bildet, ohne den das Gebäude unvollständig wäre.

Das BFG zieht hier im Wesentlichen die selbständige Bewertbarkeit und die wertmäßige Realisierbarkeit als Kriterien heran, um das Vorliegen eines selbstständigen Berichtigungsobjektes zu beurteilen. Diese Kriterien leitet das Gericht aus der ertragsteuerlichen Rsp des VwGH zu den Begriffen des Wirtschaftsgutes und des Vermögensgegenstandes ab (VwGH 21. 12. 1993, 93/14/0216). Zwar ist der Kontext hier ein anderer, dennoch erscheint deren Anwendung aufgrund der Ähnlichkeit der Begriffe auch im Bereich der Umsatzsteuer sachgerecht. So spricht § 12 Abs 10 UStG auch explizit von Gegenständen des Anlagevermögens. Eine unionsautonome Begriffsauslegung ist hier nicht erforderlich, weil nach Art 189 lit a MwStSyst-RL die Mitgliedstaaten den Begriff „Investitionsgüter“ selbst definieren und diesen somit auch mit dem Begriff des im Anlagevermögen verwendeten Gegenstandes gleichsetzen dürfen. Das Heranziehen der ertragsteuerlichen Kriterien scheint daher unionsrechtskonform zu sein.

Sollte die für zulässig erklärte Revision tatsächlich erhoben werden, hätte der VwGH zu entscheiden, ob diese Kriterien auch im Bereich der Umsatzsteuer heranzuziehen sind oder ob der Begriff eigenständig auszulegen ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34550 vom 27.09.2023