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UStG 1994: § 1 Abs 1 Z 1
MwStSystRL: Art 2 Abs 1 lit c
Abstract
Das BFG hatte im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob Entgelte, die für Zeiträume geleistet werden, in denen ein Kunde seine abonnierten Streamingdienste aufgrund eines Zahlungsverzugs nicht konsumieren kann, umsatzsteuerpflichtig sind. Das Gericht gelangt zum Ergebnis, dass die Sach- und Rechtslage mit der Rs MEO, EuGH 22. 11. 2018, C-295/17 vergleichbar ist und bejahte daher die Umsatzsteuerpflicht.
BFG 7. 1. 2025, RV/7100647/2018
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin (Bf) bot Streamingdienste im Internet an und potenzielle Kunden konnten zwischen unterschiedlichen kostenpflichtigen Abonnement-Modellen wählen. Im Fall des Zahlungsverzugs eines Kunden war vorgesehen, dass zunächst eine Mahnung ausgesprochen wurde und als weitere Konsequenz die Zugänge der säumigen Kunden gesperrt wurden, womit sie nicht mehr auf die Streamingangebote zugreifen konnten. Die Verträge zwischen den Kunden und der Bf blieben jedoch trotz Zahlungsverzugs weiterhin aufrecht und die Zahlungsverpflichtung für Zeiträume, in welchen sie die Streamingdienste nicht abrufen konnten, bestand weiterhin. Nach Ansicht der Bf waren jene Entgelte, die auf die Zeit der Deaktivierung des Angebots zuzuordnen waren, aufgrund des fehlenden inneren Zusammenhangs zwischen Leistung und Gegenleistung nicht umsatzsteuerpflichtig.
Entscheidung des BFG
Das BFG stützt seine Entscheidung überwiegend auf ähnlich gelagerte Judikate des EuGH: In der Rs MEO, EuGH 22. 11. 2018, C-295/17 hatte sich der Gerichtshof mit einer – nach Ansicht des BFG – vergleichbaren Sach- und Rechtslage wie im gegenständlichen Beschwerdefall auseinanderzusetzen. MEO schloss mit ihren Kunden ebenfalls ua Verträge über Telekommunikationsdienstleistungen ab, die tw Mindestbindungsfristen vorsahen. Im Fall des Nichteinhaltens der Mindestbindungsfristen mussten die Kunden eine Ausgleichszahlung in der Höhe des Betrags leisten, den sie bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung bis zum Ende der Bindungsfrist aufzubringen gehabt hätten. Diese Zahlungsverpflichtung bestand trotz Deaktivierung der Dienste von MEOnach vorzeitiger Vertragsauflösung. Hervorzuheben ist, dass die Ausgleichszahlung bei MEO im Zusammenhang mit einer – dem Kunden zuzurechnenden – vorzeitigen Vertragsauflösung zu zahlen gewesen ist, während es im gegenständlichen Beschwerdefall des BFG zu keinen Vertragsauflösungen kam, sondern nur der Zugang zu den Streamingdiensten gesperrt wurde. Der EuGH sprach in der Rs MEOim Wesentlichen aus, dass die „vorzeitige Vertragsauflösung durch den Kunden bzw. aus einem ihm zuzurechnenden Grund nichts an der wirtschaftlichen Realität des Verhältnisses zwischen MEO und ihrem Kunden“ ändert und dass MEO seine Leistung bereits vollständig erbringt, indem das Unternehmen den Vertragspartnern das Recht auf Erfüllung des Dienstleistungsvertrags einräumt. Der Umstand, dass die Kunden aufgrund der vorzeitigen Vertragsauflösung dieses Recht nicht in Anspruch nehmen können, tangiert das Vorliegen des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Ausgleichszahlung und der Leistung von MEO nicht. Als weiteres Argument für die Umsatzsteuerpflicht der Beträge gab der EuGH an, dass die Höhe der Ausgleichszahlung bereits in den Verträgen über die Dienstleistungen festgelegt wurde und dass dieser Betrag daher eine wichtige Komponente des Gesamtpreises für die Durchführung von Dienstleistungen darstellt.
Nach Auffassung des BFG sind die Schlussfolgerungen aus dem Urteil MEOauf den Beschwerdefall übertragbar. Es ist demnach für die gegenständliche Beurteilung der Umsatzsteuerpflicht belanglos, ob – wie in der Rs MEO – die Ausgleichszahlung iZm der Vertragsauflösung zu entrichten ist, oder, ob das Vertragsverhältnis aufrecht bleibt, die Zahlungen jedoch für eine Zeit zu entrichten sind, in der die Bf aufgrund einer vom Kunden zu vertretenden Leistungsstörung ihre Dienste deaktiviert. Daher stehen die Entgelte für die Periode der nicht abrufbaren Streamingleistungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistung (Einräumung des Anspruchs auf Vertragserfüllung) der Bf und unterliegen somit der Umsatzsteuer.
Conclusio
Die Rsp des VwGH und des EuGH zu Vertragsstrafen und Ersatzzahlungen ist kasuistisch, da stets einzelfallbezogen zu prüfen ist, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zahlung des Kunden und der Leistung des Unternehmens vorhanden ist (Komár, Von Leistungsaustausch, Entgeltlichkeit und Vertragsstrafen im Umsatzsteuerrecht – das EuGH-Urteil in der Rs Apcoa Parking, ÖStZ 2023, 500 [502 f]). Insb die ältere Rsp des VwGH (VwGH 24. 6. 2010, 2008/15/0287; 12. 11. 1990, 88/15/0081) scheint in einem gewissen Widerspruch zur Rs MEO, EuGH 22. 11. 2018, C-295/17 zu stehen, weil der VwGH in den genannten Erkenntnissen entschieden hat, dass Entgelte für Zeiträume nach einer Vertragsbeendigung und ohne Möglichkeit einer weiteren Inanspruchnahme der Leistung nicht steuerpflichtig sind. Bemerkenswert scheint im Zuge dessen, dass offenbar die Finanzverwaltung (UStR 2000 Rz 15) (noch) nicht der Meinung des EuGH folgt und es bislang zu keiner Anpassung der UStR an die unionsrechtlichen Vorgaben zu dieser Thematik gekommen ist. Die Rs MEO und die darauffolgenden Judikate (EuGH 11. 6. 2020, C-43/19, Vodafone Portugal; 3. 7. 2019, C-242/18, UniCredit Leasing) des EuGH stehen in der österr Lehre zum Teil in der Kritik, weil der EuGH sich gewissermaßen von dem verbrauchsteuerlichen Charakter (Art 1 Abs 2 MwStSystRL) der Umsatzsteuer abwendet und stattdessen verkehrssteuerliche Erwägungen in die Beurteilung der Entgeltlichkeit einfließen lässt (Ruppe/Achatz, UStG Kommentar6 [2024] § 1 Rz 238/1; Tumpel in Kirchmayr/Mayr/Hirschler [Hrsg], Mehrwertsteuer und Schadenersatz: neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Praxis [2023] 73 ff).
Nichtsdestotrotz ist die Bindungswirkung von Auslegungsurteilen des EuGH zu beachten (Fraberger, Die Wirkung von EuGH-Urteilen und Rechtskraftdurchbrechung im Abgabenrecht, in Holoubek/Lang [Hrsg], Das EuGH-Verfahren in Steuersachen [2000] 158). Somit steht die Entscheidung des BFG im Einklang mit unionsrechtlichen Vorgaben, weil die Begründung des BFG – die Vergleichbarkeit der Sachlage mit der Rs MEO, EuGH 22. 11. 2018, C-295/17 – schlüssig erscheint. Da es noch keine höchstgerichtliche Entscheidung zur Frage gibt, ob eine umsatzsteuerpflichtige Leistung auch dann vorliegt, wenn der Leistungsempfänger aufgrund einer ihm zuzurechnenden Vertragsverletzung die Leistung nicht abrufen kann, wurde die Revision für zulässig erklärt.