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UStG 1994: § 12 Abs 10
Abstract
Die Abgabenbehörde nahm das Umsatzsteuerverfahren des Jahres 2008 gem § 303 BAO wieder auf. Die vorgenommene Vorsteuerkorrektur hätte nicht in voller Höhe, sondern gem § 12 Abs 10 UstG nur zu einem Zehntel erfolgen dürfen. Den Wiederaufnahmeantrag bezüglich der Folgejahre, mit dem die Bf die weiteren Zehntel geltend machen wollte, wurde von der Behörde abgewiesen: Es läge kein Wiederaufnahmegrund vor.
BFG 10. 5. 2023, RV/6100243/2022
Sachverhalt
Im Jahr 2008 nahm die Beschwerdeführerin (Bf) eine positive Vorsteuerberichtigung iSd § 12 Abs 10 UStG vor, da sich die Verhältnisse der Verwendung einer Immobilie geändert hatten. Die Veranlagung erfolgte zunächst antragsgemäß. Aufgrund einer Außenprüfung der Jahre 2008–2010 wurde das Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2008 wiederaufgenommen: Tatsächlich hätte die Vorsteuerkorrektur gem § 12 Abs 10 UStG über einen Zehnjahreszeitraum vorgenommen werden müssen. Die überhöhte Korrektur des Jahres 2008 wurde daher im neuen Sachbescheid vom 21. 5. 2014 nur anteilig berücksichtigt.
Die Bf beantragte daraufhin im Jänner 2015 auch die Wiederaufnahme der Jahre 2009 und 2010 und die Festsetzung der Umsatzsteuer für die genannten Jahre unter Berücksichtigung der positiven Vorsteuerberichtigungszehntel. Nach Ansicht der Abgabenbehörde lag jedoch kein Wiederaufnahmegrund vor, weshalb der Antrag abgewiesen wurde. Dagegen richtete sich die vorliegende Beschwerde.
Entscheidung des BFG
Die Bf stützte sich in ihrem Wiederaufnahmeantrag auf keinen der in § 303 Abs 1 BAO aufgezählten Gründe, sondern berief sich auf eine Entscheidung des VfGH vom 6. 12. 1990, B783/89. In dieser Entscheidung kam der VfGH zu dem Ergebnis, dass die Behörde § 303 BAO in gleichheitswidriger Weise, nämlich nur zum Nachteil des Steuerpflichtigen angewendet hatte. Im zugrundeliegenden Fall hatte die Behörde zwar mittels Wiederaufnahme eine nachträgliche Aktivierung vorgenommen, eine Berücksichtigung der AfA in den Folgejahren mittels Wiederaufnahme jedoch verneint. Der VfGH sah dieses Vorgehen als verfassungswidrig an und nahm daher eine verfassungskonforme Interpretation des § 303 Abs 1 BAO vor: Die Entscheidung über eine Vorfrage durch eine andere Behörde ist ein Wiederaufnahmegrund. Dasselbe muss auch für eine Entscheidung derselben Behörde (für einen früheren Steuerzeitraum), die sich in der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts direkt auf einen (einen späteren Steuerzeitraum betreffenden) Bescheid auswirkt, gelten.
Das BFG beurteilte den vorliegenden Sachverhalt als vergleichbar, denn auch hier führte die geänderte rechtliche Beurteilung der Vorsteuerkorrektur im Jahr 2008 zu Änderungen in den Folgejahren, indem für diese die Geltendmachung je eines Zehntels des Berichtigungsbetrages zusteht. Derartige Folgeänderungen sind entsprechend der Judikatur des VfGH zwingend zu berücksichtigen, sodass insgesamt eine periodenübergreifende rechtsrichtige Besteuerung erfolgt (vgl zB Ritz/Koran, BAO7 § 303 Tz 41). Ein Wiederaufnahmegrund war daher gegeben.
Auch die zweite Voraussetzung für einen Wiederaufnahmeantrag liegt vor; der Wiederaufnahmegrund ist geeignet, den Spruch der Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 zu ändern. Zudem wurde der Antrag innerhalb der vorgesehenen Frist gestellt.
Schließlich liegt die Wiederaufnahme zwar im Ermessen der Abgabenbehörde — im vorliegenden Fall hatte sie dieses jedoch in gleichheitswidriger Art und Weise geübt, indem eine Wiederaufnahme nur zulasten aber nicht zugunsten der Bf erfolgte. Bei der Ermessensübung ist dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu geben (vgl VwGH 30. 1. 2001, 99/14/0067). Im Ergebnis war daher der Beschwerde stattzugeben.
Da Rsp des VwGH zum „zusätzlichen“ Wiederaufnahmegrund aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 303 BAO fehlt, wurde die ordentliche Revision zwar zugelassen, soweit ersichtlich jedoch nicht erhoben.
Conclusio
Das BFG begründet die Zulässigkeit der Revision auch mit der Entscheidung des VwGH vom 10. 11. 1993, 92/13/0176, zu einem „ähnlich gelagerten Fall“, in dem nur § 295 Abs 3 BAO als tauglicher Verfahrenstitel behandelt wurde. Auch die Literatur sieht in dieser Entscheidung eine Diskrepanz zur Entscheidung des VfGH (zB Ritz/Koran, BAO7 § 303 Tz 42). Es ist jedoch zu beachten, dass in der Entscheidung des VwGH nachträglich ein Wahlrecht durch den Bf anders ausgeübt wurde, sich jedoch – im Gegensatz zum Sachverhalt vor dem VfGH – nicht die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts verändert hatte. Etwaig könnte sich daraus die unterschiedliche Beurteilung der relevanten Rechtsgrundlage ergeben. Eine Klarstellung durch den VwGH wäre jedenfalls wünschenswert.