Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ÖStZ erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
BAO: § 295a Abs 1, § 303 Abs 1
COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung: § 1 bis § 4
Abstract
Das BFG hatte zu beurteilen, ob die Kenntniserlangung der Abgabenbehörde darüber, dass die negativen betrieblichen Einkünfte des Jahres 2020 geringer sind, als nach § 1 Abs 1 Z 3 lit b COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung für Zwecke der Bildung einer COVID-19-Rücklage geschätzt, ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO ist und eine Kürzung der COVID-19-Rücklage auf den vermeintlich tatsächlichen Verlust 2020 erlaubt. Das Gericht verneinte das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses und die Anwendbarkeit des § 295a BAO.
BFG 9. 5. 2023, RV/3100193/2023
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (Bf) erzielte im Jahr 2019 positive betriebliche Einkünfte iHv 250.001,03 € und beantragte in der Einkommensteuererklärung 2019 die Berücksichtigung einer COVID-19-Rücklage nach § 1 Abs 1 Z 3 lit b COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung iHv 150.000,62 €, was 60 % des Gesamtbetrags der betrieblichen Einkünfte 2019 entsprach. Auf Verlangen der Behörde gab der Bf einen voraussichtlichen Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2020 iHv -166.193,00 € an. Daraufhin erließ das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2019 am 26. 1. 2022 erklärungsgemäß.
Am 25. 9. 2022 reichte der Steuerpflichtige seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2020 ein, in der er einen betrieblichen Gesamtverlust iHv 97.741,05 € auswies. Kurz darauf änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2019 mittels eines Abänderungsbescheids nach § 295a BAO vom 30. 9. 2022 dahin gehend ab, dass der Betrag der COVID-19-Rücklage von 150.000,62 € auf 97.741,05 € herabgesetzt wurde. In der Bescheidbegründung führte die Behörde aus: „Die Covid Rücklage wurde auf die Höhe des Verlustes des Jahres 2020 berichtigt.“ Nach Ansicht der Behörde sei aufgrund „der nachträglich bekanntgegebenen Informationen über die korrekte Höhe des Verlustes [...] ein Ereignis eingetreten welches eine abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit (Umfang eines Abgabenanspruches) habe.“ Der Bf erhob Beschwerde gegen den Abänderungsbescheid vom 30. 9. 2022 und begehrte dessen ersatzlose Aufhebung. Da das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet abwies, stellte der Bf fristgerecht einen Vorlageantrag.
Entscheidung des BFG
Das Gericht schloss sich der Ansicht des Bf an und hob den angefochtenen Abänderungsbescheid ersatzlos auf. Begründend führte es aus, dass § 295a BAO nach der stRsp des VwGH eine rein verfahrensrechtliche Bestimmung sei, die in keiner Weise Einfluss auf die Tatbestände materieller Abgabengesetze nehme. Einem Ereignis könne daher nur dann Rückwirkung (bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruchs) zukommen, wenn sich dies aus einer materiellrechtlichen Abgabenvorschrift ergibt (mit Verweis auf ua VwGH 20. 2. 2008, 2007/15/0259; 4. 2. 2009, 2006/15/0151). Die von der belangten Behörde mit der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2020 erlangte Kenntnis darüber, dass die negativen betrieblichen Einkünfte für dieses Jahr nicht wie prognostiziert 166.193,00 €, sondern 97.741,05 € betragen, rechtfertige nach Ansicht des BFG keine Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2019 nach § 295a BAO. Weder aus der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung noch aus einer anderen materiellrechtlichen Vorschrift ergebe sich nämlich, dass die besagte Kenntniserlangung eine abgabenrechtliche Wirkung auf die zu veranlagende Einkommensteuer des Jahres 2019 habe.
Das Gericht erklärte eine Revision für unzulässig; eine außerordentliche Revision wurde soweit ersichtlich nicht erhoben.
Conclusio
Die vorliegende Entscheidung ist die vierte, in der sich das BFG mit der Anwendbarkeit von § 295a BAO zur „Korrektur“ von COVID-19-Rücklagen auseinandergesetzt hat und steht im Widerspruch zu den Erk v 4. 1. 2023, RV/7103717/2022, v 24. 3. 2023, RV/7102950/2022 und v 26. 4. 2023, RV/5100379/2022, in denen das Gericht die Kenntniserlangung durch die Behörde von den tatsächlichen Verlusten des Jahres 2020 als rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO qualifizierte. Dieses verlange die Herabsetzung der COVID-19-Rücklage im Jahr 2019 auf den Verlust 2020, was bei Vorliegen eines rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids 2019 mittels einer Abänderung nach § 295a BAO erreicht werden könne.
Letztere nicht zuletzt vom BMF vertretene Ansicht (vgl EStR 2000 Rz 3920) ist wenig überzeugend, lässt doch der Wortlaut der §§ 1-4 COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung nicht darauf schließen, dass die tatsächlich erzielten Verluste des Jahres 2020 für die Bildung der COVID-19-Rücklage erheblich sind. So spricht die VO in § 1 Abs 1 Satz 1, Z 1, Z 3 lit b und § 3 wiederholt von voraussichtlichen betrieblichen Verlusten 2020 und vom voraussichtlich negativen Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte 2020 und 2021. Auch die Erläuterungen zum Entwurf der COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung lassen nicht den Schluss zu, dass der Verordnungsgeber eine Anpassung der COVID-19-Rücklage an die tatsächlich realisierten Verluste des Jahres 2020 intendierte. Vielmehr erwähnen die Materialien eine Anpassungsmöglichkeit des Einkommensteuerbescheids 2019 nach § 303 Abs 1 lit a BAO für den Fall, dass die voraussichtliche Höhe der negativen betrieblichen Einkünfte 2020 nicht sorgfältig geschätzt worden ist (vgl Erl zum Begutachtungsentwurf der COVID-19-VerlustberücksichtigungsVO 2; Klokar/Postlmayr, Zweifelsfragen zum Verlustrücktrag und zur COVID-19-Rücklage, SWK 2021, 399). Eine derartige Schätzung ist nämlich gem § 1 Abs 1 Z 3 lit b COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung Voraussetzung dafür, dass eine COVID-19-Rücklage im Ausmaß des geschätzten Verlustes 2020 – höchstens aber 60 % des positiven Gesamtbetrags der betrieblichen Einkünfte 2019 – gebildet werden kann (vgl im Detail Höltschl/Uedl in Hirschler/Kanduth-Kristen/Zinnöcker/Stückler [Hrsg], SWK-Spezial Einkommensteuer 2021 [2021] 153).
Im vorliegenden Fall hätte die Behörde die Offenlegung der Differenz zwischen tatsächlichem und geschätztem Verlust 2020 anlässlich der Einreichung der Einkommensteuererklärung 2020 also als Indiz dafür sehen können, dass der geschätzte Verlust 2020 nicht sorgfältig ermittelt worden war. Anstelle einer Bescheidänderung nach § 295a BAO wäre die Behörde daher gut beraten, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2019 nach § 303 Abs 1 BAO zu prüfen. Würde dem Bf im Falle einer Wiederaufnahme die Glaubhaftmachung des voraussichtlichen Verlustes 2020 nicht gelingen, könnte unter den Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 3 lit a COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung eine Kürzung der COVID-19-Rücklage auf max 30 % des positiven Gesamtbetrages der betrieblichen Einkünfte des Jahres 2019 (im vorliegenden Fall also ca 75.000 €) erfolgen.