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BAO: § 205c Abs 1 Z 1 lit a, § 323 Abs 75
Abstract
Die Beschwerdeführerin (Bf) hatte Anspruch auf Umsatzsteuergutschriften aus den Jahren 2015–2018. Am 20. 7. 2022 trat das AbgÄG 2022 in Kraft (Art 49 Abs 1 zweiter Satz B-VG), womit die Bestimmung des § 205c BAO für Umsatzsteuerzinsen geschaffen wurde. Gleichzeitig wurde mit § 323 Abs 75 BAO eine Rückwirkung des § 205c Abs 1 Z 1 lit a BAO auf alle „offenen Verfahren“ normiert. Das BFG hatte nun zu entscheiden, ob die den Umsatzsteuergutschriften zugrundeliegenden Verfahren als „offen“ anzusehen waren und § 205c BAO daher anzuwenden war. Das BFG entschied sich für eine restriktive Auslegung des „offenen Verfahrens“ und verneinte den Zinsanspruch.
BFG 6. 3. 2025, RV/7104435/2024
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (Bf) brachte für die Zeiträume von 2015–2018 Umsatzsteuerjahreserklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen ein, woraus sich eine Umsatzsteuergutschrift ergab. Die Gutschrift für die Jahre 2015 und 2016 ergab sich aus zwei Umsatzsteuerjahresbescheiden, welche am 20. 7. 2022 bereits rechtskräftig waren. Die Gutschrift für die verbleibenden Zeiträume ergab sich aus Umsatzsteuervoranmeldungen. Die Bf beantragte für diese Gutschriften die Festsetzung von Umsatzsteuerzinsen nach § 205c iVm § 323 Abs 75 BAO. Die Abgabenbehörde wies den Antrag mittels Bescheid ab. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 205c BAO wäre nicht eröffnet. Einerseits seien die Umsatzsteuerjahresbescheide bereits rechtskräftig (§ 323 Abs 75 letzter Satz BAO), andererseits beziehe sich die Formulierung „offenes Verfahren“ nur auf das Umsatzsteuerverfahren nicht aber auch das Verzinsungsverfahren (§ 323 Abs 75 erster Satz BAO). Das Umsatzsteuerverfahren wäre jedoch nicht mehr „offen“, weil die Gutschriften bereits 2020 verbucht wurden. Gegen diesen Bescheid erhob die Bf Beschwerde beim BFG.
Entscheidung des BFG
Am Beginn seiner rechtlichen Beurteilung formuliert das BFG die zentrale Rechtsfrage des Falls. Es gilt zu klären, ob der Sachverhalt vom zeitlichen Anwendungsbereich des § 205c BAO und § 323 Abs 75 BAO erfasst ist. Zur Beantwortung dieser Frage muss näher auf die Ursprünge der Gutschriften eingegangen werden. Die Gutschriften für die Jahre 2015 und 2016 ergeben sich aus Umsatzsteuerjahresbescheiden. Für eine Verzinsung solcher Ansprüche wäre § 205 Abs 1 Z 1 lit c BAO einschlägig. Für Ansprüche aus dieser Rechtsgrundlage sieht § 323 Abs 75 letzter Satz BAO vor, dass die Vorschriften zur Verzinsung für alle Umsatzsteuerjahresbescheide verbindlich sind, die am Tag nach der Kundmachung des AbgÄG 2022 noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind. Der Tag nach der Kundmachung des AbgÄG 2022 ist der 20. 7. 2022. Zu diesem Zeitpunkt waren die Bescheide aber bereits rechtskräftig. Eine Anwendung der Zinsbestimmung auf die Forderungen aus den Umsatzsteuerjahresbescheiden ist daher ausgeschlossen, weil § 205c Abs 1 Z 1 lit c BAO gem § 323 Abs 75 letzter Satz BAO nicht anwendbar ist.
Die Gutschriften der restlichen Jahre basieren hingegen nicht auf Umsatzsteuerjahresbescheiden, sondern auf Umsatzsteuervoranmeldungen. Für die Verzinsung solcher Gutschriften ist § 205c Abs 1 Z 1 lit a BAO einschlägig. Für Ansprüche aus dieser Rechtsgrundlage sieht § 323 Abs 75 erster Satz BAO eine andere Inkrafttretensbestimmung vor. § 205 Abs 1 Z 1 lit a BAO ist demnach auch auf alle am 20. 7. 2022 (= Tag des Inkrafttretens des AbgÄG 2022) offenen Verfahren anzuwenden. Das BFG führt aus, dass unter den „offenen Verfahren“ in § 323 Abs 75 BAO ausschließlich Umsatzsteuerverfahren zu verstehen sind, nicht jedoch Verfahren zur Verzinsung. Dieses Verständnis ergebe sich auch aus Beispielen in den Gesetzgebungsmaterialien (ErläutRV 1534 27. GP 42). § 205c Abs 1 Z 1 lit a BAO ist daher nur auf offene Umsatzsteuerverfahren selbst anzuwenden, nicht jedoch auf sonstige Verfahren zu etwaigen Nebenansprüchen. Weil es sich bei dem Verfahren der Bf um ein Verfahren zur Verzinsung handelt und nicht mehr um ein offenes Umsatzsteuerverfahren selbst, ist § 323 Abs 75 erster Satz BAO nicht einschlägig und § 205c Abs 1 Z 1 lit a BAO nicht anwendbar.
Das BFG geht weiters auf unionsrechtliche Bedenken der Bf ein. Laut EuGH-Rsp verlangt der Grundsatz der Neutralität des MwSt-Systems, dass dem Steuerpflichtigen nicht angemessene Zahlungsverzüge durch Zinszahlungen abgegolten werden (EuGH 24. 10. 2013, C-431/12, Rafinaria Steaua Romana, Rn 23). Eine Bestimmung, die diese Verzinsungspflicht für alle Umsatzsteuerverfahren sicherstellt, fehlt im österreichischen Steuerrecht. § 205c BAO ist durch § 323 Abs 75 BAO nämlich im zeitlichen Anwendungsbereich beschränkt. Das BFG erkennt diese Diskrepanz zwischen EuGH-Rsp und österreichischer Rechtslage, weswegen versucht werden muss, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen (EuGH 12. 5. 2021, C-844/19, technoRent, Rn 52 f). Grenzen ergeben sich jedoch dort, wo dieses Vorgehen zu einer Rechtsanwendung contra legem führen würde (EuGH 12. 5. 2021, C-844/19, technoRent, Rn 54). Das BFG kommt hierbei zu dem Schluss, dass die nationale Rechtslage zur Verzinsung im Hinblick auf Wortlaut und gesetzgeberische Intention so eindeutig ist, dass eine Verzinsung des Guthabens der Bf nicht einmal im Wege der Analogie methodisch zulässig ist. Eine unionsrechtskonforme Interpretation würde daher zu einer Auslegung contra legem führen. § 205c Abs 1 Z 1 lit a BAO ist somit auf den Sachverhalt der Bf nicht anwendbar, weswegen ihre Beschwerde abgewiesen wird. Weil es zur zeitlichen Einschränkung der Zuerkennung von Umsatzsteuerzinsen jedoch keine hg Rsp gibt, wird die ordentliche Revision zugelassen.
Conclusio
Beim Lesen des Erkenntnisses ist die zentrale Rolle des Begriffs „offenes Verfahren“ nicht zu übersehen. Anhand der Auslegung dieser Formulierung bestimmt sich, welche Arten von Verfahren von der Rückwirkung betroffen sind und somit, ob die Bf mit ihrem Zinsbegehren Erfolg haben wird. Umso mehr überrascht daher der Umstand, dass das BFG keine Auslegung des Begriffs selbst vornimmt. Das „offene Verfahren“ wird lediglich dahin gehend eingeschränkt, dass ausschließlich das Umsatzsteuerverfahren selbst erfasst ist. Auch nach dieser Feststellung „fehlt“ jedoch ein Prüfschritt, in dem dargestellt wird, wieso das konkrete, dem Zinsverfahren zugrundeliegende Umsatzsteuerverfahren nicht mehr als „offen“ iSd § 323 Abs 75 erster Satz BAO zu verstehen ist. Der einzige Schritt in Richtung Konkretisierung des „offenen Verfahrens“ im Erkenntnis kommt von Schilderungen der Abgabenbehörde. Diese begründet, dass das Umsatzsteuerverfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 205c BAO nicht mehr offen war, weil die Gutschrift bereits verbucht war. Das BFG schließt sich dieser Meinung wohl an, als es die Thematik in weiterer Folge nicht mehr aufgreift. In seinem Ergebnis ist dem BFG jedoch wohl Recht zu geben. Der Begriff des „offenen Verfahrens“ wird bei systematischer Betrachtung einen starken Bezug zur Rechtskraft aufweisen. Ist die Gutschrift bereits im Jahr 2020 verbucht worden, sind die Rechtsakte des Umsatzsteuerverfahrens wohl bereits rechtskräftig geworden und die Verfahren damit nicht mehr „offen“ (zur Auslegung des „offenen Verfahrens“ siehe Staringer, Doppelt ansässig, aber ohne grundsätzliche Bedeutung – zum Jersey-Limited-Beschluss des VwGH, SWI 2024, 154 [157 ff]; Lang, Die Zulässigkeit der Revision beim VwGH bei geänderter Rechtslage, AVR 2024, 50 [62 ff]).
Das Erkenntnis ist ein weiteres Beispiel für Fälle, in denen die Verwendung des Begriffs „offenes Verfahren“ zu einer unklaren Rechtslage führt (vgl auch VwGH 17. 1. 2024, Ro 2021/13/0019 zu § 26c Z 88 KStG; weitere Verweise auf „offene Verfahren“ und „offene Fälle“ sind in § 26c Z 16 lit d, Z 58, Z 74 KStG oder in § 3 Verordnung betreffend Art 19 Abs 1 des österreichisch-liechtensteinischen Doppelbesteuerungsabkommens, BGBl II 2013/450, zu finden). Diese Unschärfe ergibt sich zum einen daraus, dass das „offene Verfahren“ kein gebräuchlicher Rechtsbegriff ist, der im restlichen Verfahrensrecht keine Verwendung findet. Zum anderen wird Verständlichkeit eingebüßt, indem der Gesetzgeber und die Rsp dem Begriff „offenes Verfahren“ anscheinend auch unterschiedliche Bedeutungen je nach Kontext zuweisen. Während unter „offenes Verfahren“ in § 26c Z 88 KStG nämlich jedes Verfahren vor der rechtskräftigen Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verstanden wird (vgl Staringer, SWI 2024, 154 [157 ff]; Lang, AVR 2024, 50 [62 ff]), wird im Erkenntnis (wenn auch nur implizit) anscheinend auf die Verbuchung der Gutschrift abgestellt.
Interessant ist weiters, dass das BFG anscheinend einen Konflikt zwischen der zeitlichen Übergangsregelung zur Verzinsung und der einschlägigen EuGH-Rsp erkennt. Trotz unionsrechtskonformer Auslegung konnte die Übergangsregelung jedoch nicht herangezogen werden, um eine Verzinsung zu begründen. Das spricht zumindest dafür, dass das BFG eine unionsrechtliche Spannung in der (nicht-)Anwendung des § 323 Abs 75 BAO verspürt.