News

BFG zur Frage der Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils in gekürzter Ausfertigung

Bearbeiter: Dominik Hemmelmeyer

BAO: § 116

Abstract

Das BFG hatte sich in dieser Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, ob und inwieweit ein rechtskräftiges Strafurteil in gekürzter Ausfertigung das BFG bzw die Abgabenbehörden bei der Ermittlung des Sachverhalts bindet. Bindung bestehe – so das BFG – nur an die im Spruch enthaltenen Tatsachen, nicht jedoch an jene Tatsachenfeststellungen, die lediglich Eingang in die Entscheidungsgründe gefunden haben. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Entscheidung rechtswidrig ist. Die gekürzte Urteilsausfertigung enthielt allerdings keinen eigens festgestellten Sachverhalt, vielmehr waren die als erwiesen angenommenen Tatsachen im Spruch enthalten. Das BFG ging schlussendlich von einer Bindungswirkung aus, ließ die Revision an den VwGH aber mangels Rsp zur Frage, inwieweit eine Bindungswirkung auch an gekürzte Urteilsausfertigungen in einem strafgerichtlichen Verfahren besteht, zu.

BFG 13. 12. 2023, RV/6100030/2021

Sachverhalt

Dem Beschwerdeführer (Bf) wurde in seiner Eigenschaft als Gesellschafter mit Bescheid vom 25. 2. 2020 aufgrund einer verdeckten Ausschüttung in den Jahren 2010 und 2011 KESt vorgeschrieben. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 10. 9. 2020 abgewiesen. Der Bf stellte einen Vorlageantrag. Darüber hinaus wurde der Bf mit Urteil des Landesgerichts Salzburg wegen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 und 2 lit b FinStrG für die Jahre 2010–2016 verurteilt. Sein steuerlicher Vertreter brachte nun vor, dass in der gekürzten Ausfertigung des Strafurteils keine Feststellungen hinsichtlich des Zuflusses an den Bf im Jahr 2010 enthalten seien. Auch im Jahr 2011 wurde lediglich ein Zufluss iHv € 1.118,18 im Strafurteil festgestellt. Der steuerliche Vertreter argumentierte mit Verweis auf § 116 Abs 2 BAO, dass eine Bindungswirkung insoweit bestehe, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen vorzugehen ist, was in einem Strafverfahren der Fall sei. Demnach seien dem Bf nach diesen bindenden Feststellungen im Jahr 2010 keine und im Jahr 2011 erst ab August Kapitalerträge zugeflossen.

Entscheidung des BFG

Vor dem BFG war ausschließlich die Rechtsfrage strittig, inwieweit das rechtskräftige Strafurteil des LG Salzburg für die Beurteilung des Sachverhalts durch das BFG bindend ist.

Nach der stRsp des VwGH entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung mit Blick auf die Tatsachenfeststellungen, auf denen der Spruch beruht. Ein Abgabenverfahren, das vom bindenden Strafurteil abweicht, würde zulasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Gerichtsbarkeit durch die Verwaltung gleichkommen (VwGH 27. 3. 2018, Ra 2018/16/0043; VwGH 27. 11. 2020, Ra 2018/16/0210).

Bindung besteht aber nur hinsichtlich der durch den Urteilsspruch gedeckten Tatsachen, nicht aber jener, die nur in den Entscheidungsgründen genannt sind. Diese Bindungswirkung ist Ausfluss der Rechtskraft der jeweiligen Entscheidung. Der Beweiskraft von Beweismitteln, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung führen, wird von der Rechtsordnung eine besondere Bedeutung zugemessen, weil im Strafverfahren die volle Überzeugung vorliegen muss, wohingegen im Abgabenverfahren bereits größte Wahrscheinlichkeit ausreicht (VwGH 24. 9. 1996, 95/13/0214). Bindungswirkung besteht selbst dann, wenn die betreffende Entscheidung rechtswidrig ist (VwGH 18. 8. 1994, 94/16/0013).

Konkret sind die Abgabenbehörden dabei an den im Spruch des Strafurteils genannten Abgabenbetrag gebunden. Dieser ist als strafbestimmender Wertbetrag Tatbestandsmerkmal des Finanzvergehens und im Urteilsspruch ziffernmäßig anzuführen (VwGH 16. 12. 1999, 97/16/0006). Wird der Betrag nicht im Spruch, sondern nur in den Entscheidungsgründen angeführt, besteht keine Bindung (VwGH 16. 10. 1986, 86/16/0155).

Im konkreten Fall liegt ein rechtskräftiges Strafurteil des LG Salzburg vor, in dessen Spruch die Höhe der Verkürzungsbeträge der KESt angeführt ist. Im Spruch wird – so das BFG – die Zuordnung der KESt im Verhältnis des angenommenen Zuflusses der Kapitalerträge vorgenommen, der sich wiederum aus dem Verhältnis der im Firmenbuch ausgewiesenen Gesellschaftsanteile ergibt. Danach hielt der Bf 51 % der Anteile ab 9. 8. 2011. Im Strafurteil wurde ein Zufluss der Kapitalerträge beim Bf folglich erst mit August 2011 festgestellt.

Das Strafurteil erging in einer gekürzten Ausfertigung, die keinen eigens festgestellten Sachverhalt enthält. Im Urteil wird aber auf Seite 12 darauf hingewiesen, dass der Spruch die als erwiesen angenommenen Tatsachen enthält. Nach der Rsp des VwGH erstreckt sich die Bindungswirkung eines Strafurteils auf die Tatsachenfeststellungen, auf denen der Schuldspruch beruht. Die Beteiligungsverhältnisse waren zwar im Spruch des Urteils nicht explizit angeführt, jedoch sei – so das BFG – aus dem Spruch klar und zweifelsfrei erkennbar, dass die dort angeführten Verkürzungsbeträge auf die beiden Gesellschafter genau nach Maßgabe der Beteiligung im Firmenbuch erfolgte und die vom Gericht vorgenommene Zurechnung die Beteiligungsverhältnisse laut Firmenbuch eindeutig widerspiegeln. Bei den Beteiligungsverhältnissen für die Jahre 2010 und 2011 handelt es sich damit nach Ansicht des BFG um Tatsachenfeststellungen, die vom Strafgericht getroffen wurden, und die einer steuerrechtlichen Beurteilung durch das BFG nicht mehr zugänglich sind.

Das BFG sah sich daher aufgrund der Bindungswirkung verpflichtet, diese Tatsachenfeststellungen seiner eigenen Entscheidung zugrunde zu legen. Entsprechend dieser strafgerichtlichen Feststellungen sind dem Bf im Jahr 2010 keine und im Jahr 2011 erst ab August Kapitalerträge zugeflossen.

Der Beschwerde wurde daher aufgrund der bestehenden Bindungswirkung an das Strafurteil des LG Salzburg stattgegeben.

Die Revision wurde zugelassen, weil Rsp des VwGH zur Rechtsfrage fehlt, inwieweit eine Bindungswirkung der Abgabenbehörden bzw des BFG an gekürzte Urteilsausfertigungen in einem strafgerichtlichen Verfahren besteht.

Conclusio

Das BFG setzt sich in diesem Erk mit der Frage auseinander, inwieweit die in einer gekürzten Urteilsausfertigung im Spruch enthaltenen Tatsachenfeststellungen Bindungswirkung entfalten. Das BFG beschreibt unter Bezugnahme auf bestehende Judikatur des VwGH, wie weit diese Bindungswirkung greift (vgl dazu ausf Blum, Bindungswirkung zwischen Abgabenverfahren und Finanzstrafverfahren, in Holoubek/Lang (Hrsg), Bindungswirkungen zwischen Verfahren [2023] 165 ff). Die Revision wurde jedoch deshalb zugelassen, weil der VwGH noch nicht zu der Frage Stellung genommen hat, ob diese Bindungswirkung auch gekürzten Ausfertigungen von Strafurteilen zukommt. In der zivilprozessualen Literatur findet sich zumindest eine Einschränkung: „Die gekürzte Urteilsausfertigung […] vermag nur dann bindende Wirkung zu äußern, wenn sie tatsächlich die in § 260 Abs 1 Z 1 und 2, § 270 StPO verlangte genaue Bezeichnung der Tat enthält, deren der Beschuldigte für schuldig erkannt wurde.“ (Klicka in Fasching/Konecny3 § 411 ZPO Rz 31 [Stand 1. 11. 2017, rdb.at]). Allerdings muss auch eine gekürzte Urteilsausfertigung im Falle einer Verurteilung alle Tatsachenfeststellungen in gedrängter Darstellung enthalten, die für die rechtliche Beurteilung erforderlich sind, weshalb der bloße Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO alleine nicht reicht (Danek/Mann in Fuchs/Ratz (Hrsg), WK StPO § 270 Rz 60 [Stand 1. 12. 2020, rdb.at]). Berücksichtigt man überdies die Ausführungen des BFG, wonach eine Abweichung vom rechtskräftigen Strafurteil in einem Abgabenverfahren zulasten der Rechtssicherheit einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft gleichkommt, spricht Einiges dafür, gekürzten Urteilsausfertigungen dieselbe Bindungswirkung zuzusprechen wie ungekürzten Urteilsausfertigungen. Eine Differenzierung, die zulasten der Rechtssicherheit geht und die materielle Rechtskraft von gekürzten Urteilsausfertigungen infrage stellt, wäre wohl nicht sachgerecht.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35071 vom 14.02.2024