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BFG zur Frage der Haftung eines ständigen Vertreters nach § 9 iVm § 80 BAO

Bearbeiter: Dominik Hemmelmeyer

BAO: §§ 9, 80

Abstract

Das BFG hatte darüber zu entscheiden, ob ein ständiger Vertreter einer inländischen Zweigniederlassung (§ 254 Abs 2 AktG) für aushaftende Abgabenschulden einer Primärschuldnerin nach § 9 iVm § 80 BAO haftet. Es kam – unter Hinweis auf Judikatur des VwGH – zum Ergebnis, dass die Haftung zur Vertretung juristischer Personen berufener Personen jene Personen nicht umfasst, die lediglich rechtsgeschäftliche (gewillkürte) Vertreter sind. Im konkreten Fall sei die Beschwerdeführerin (Bf) als ständige Vertreterin der inländischen Zweigniederlassung nur gewillkürte Vertreterin, weshalb eine Haftung gem § 9 iVm § 80 BAO ausschied.

BFG 4. 8. 2023, RV/4100537/2019

Sachverhalt

Die Primärschuldnerin ist eine bulgarische Kapitalgesellschaft, die mit einer österreichischen AG vergleichbar ist. Am 23. 8. 2017 wurde in einer Sitzung des Rates der Direktoren der Primärschuldnerin der Beschluss zur Gründung einer Zweigniederlassung in Österreich gefasst. Die Bf wurde gemeinsam mit einer anderen Person als Rechtsvertreterin bestimmt und beauftragt, sämtliche erforderlichen Handlungen zur Gründung der Niederlassung nach österreichischem Recht vorzunehmen. Auf Antrag der Bf wurde die Zweigniederlassung am 4. 10. 2017 im österreichischen Firmenbuch eingetragen und ab diesem Zeitpunkt wurde die Gesellschaft von der Bf als ständige Vertreterin vertreten. Ab 19. 3. 2018 waren aufgrund eines Beschlusses des Direktorenrates der Primärschuldnerin Dispositionen betreffend das österreichische Konto der Primärschuldnerin nur mehr gemeinschaftlich durch die Bf und eine weitere Person möglich. Auf Antrag der Bf wurde die Zweigniederlassung in Österreich seit 29. 9. 2018 aus dem Firmenbuch gelöscht. Mit Bescheid vom 22. 11. 2018 wurde die Bf für Abgabenschulden iHv € 7.746,05 als Haftungspflichtige der Primärschuldnerin gem § 9 iVm § 80 BAO zur Haftung herangezogen.

Entscheidung des BFG

Gem § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Gem § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen.

Gem § 254 Abs 2 AktG haben Gesellschaften, deren Personalstatut nicht das Recht eines Mitgliedstaats der EU oder eines EWR-Vertragsstaats ist, für den gesamten Geschäftsbetrieb einer Zweigniederlassung mindestens eine Person zu bestellen, die zur ständigen gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der Gesellschaft befugt ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Gesellschaften, deren Personalstatut das Recht eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR ist, können einen solchen ständigen Vertreter bestellen. Da es sich im vorliegenden Fall um eine bulgarische Gesellschaft handelt, deren Personalstatut das Recht eines EU-Mitgliedstaates ist, hat sie ein Wahlrecht, ob sie einen ständigen Vertreter für ihre inländische Zweigniederlassung bestellt oder nicht. Unter Hinweis auf Literatur zu § 254 AktG (Karollus in Artmann/Karollus, AktG6 § 254 Rz 16; Kalss in Doralt/Novotny/Kalss, AktG3 § 254 Rz 27) führt das BFG aus, dass der ständige Vertreter kein organschaftlicher, sondern ein gewillkürter Vertreter sei und der Umfang der Vertretungsbefugnis des ständigen Vertreters gem § 49 IPRG nach österreichischem Recht zu beurteilen sei. Sie erstrecke sich auf alle mit der Zweigniederlassung verbundenen gerichtlichen und außergerichtlichen Handlungen.

Die Organe einer bulgarischen Aktiengesellschaft sind die Hauptversammlung und der Direktorenrat nach Art 219 des bulgarischen Handelsgesetzes. Sofern die Satzung nichts anderes bestimmt, wird die Gesellschaft gemeinsam von den Mitgliedern des Direktorenrates vertreten. Die Bf war nicht Mitglied des Direktorenrates und daher kein gesetzlicher Vertreter der bulgarischen Gesellschaft.

Aufgrund der § 254 Abs 2 AktG vergleichbaren Bestimmung des § 107 Abs 2 GmbHG ist die Rechtsprechung des VwGH im Zusammenhang mit GmbHs auch für AGs heranzuziehen. Im Erkenntnis vom 5. 3. 1991, 89/08/0223 hat der VwGH zu § 67 Abs 10 ASVG (gleichlautend mit § 9 iVm § 80 BAO) ausgesprochen, dass ein Prokurist keine zur Vertretung juristischer Personen berufene Person im Sinne dieser Vorschrift ist, weil er gewillkürter Vertreter ist. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Umfang der ihm rechtsgeschäftlich erteilten Bevollmächtigung im Gesetz geregelt ist.

Im Erkenntnis vom 29. 3. 2000, 96/08/0268 hat der VwGH ferner zu § 107 Abs 1 GmbHG ausgesprochen, dass aus der Bestellung eines Inlandsvertreters weder der Schluss gezogen werden könne, dass dieser auch zur Vertretung der Gesellschaft schlechthin berufen sei, noch der Schluss gezogen werden könne, dass dieser dem Vertretungsorgan der Gesellschaft – als Voraussetzung einer Haftung nach § 25a Abs 7 BUAG – angehöre. Die Haftungsbestimmung des § 25a Abs 7 BUAG erfasse – wie auch § 67 Abs 10 ASVG – nur gesetzliche, nicht aber auch gewillkürte Vertreter juristischer Personen.

In einem weiteren Erkenntnis vom 26. 4. 2017, Ra 2017/17/0201 führt der VwGH zu § 9 Abs 1 VStG aus, dass strafrechtlich verantwortlich ist, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Damit sind jedoch nur die durch die Verfassung der juristischen Person (Gesetz, Satzung, Gesellschaftsvertrag) zur Vertretung berufene Organe gemeint, nicht jedoch der ständige Vertreter iSd § 107 Abs 2 GmbHG. Durch den Bestellungsakt wird der ständige Vertreter nämlich nicht zum Organ der Gesellschaft, sondern nur zu einem rechtsgeschäftlichen Vertreter.

Das BFG kommt daher zum Ergebnis, dass nach den Erkenntnissen des VwGH die Haftung „zur Vertretung juristischer Personen berufener Personen“ nicht jene Personen umfasst, die lediglich rechtsgeschäftliche (gewillkürte) Vertreter sind. Im streitgegenständlichen Fall sei die Bf – so das BFG – als ständige Vertreterin der inländischen Zweigniederlassung nur gewillkürte Vertreterin, jedoch kein durch die Verfassung der juristischen Person zur Vertretung berufenes Organ. Die Bf haftet folglich nach Ansicht des BFG nicht gem § 9 iVm § 80 BAO.

Die ordentliche Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass zur Frage, ob ein ständiger Vertreter einer inländischen Zweigniederlassung gem § 9 iVm § 80 BAO für Abgabenschulden der ausländischen Gesellschaft zur Haftung herangezogen werden kann, eine Rsp des VwGH fehlt.

Conclusio

Die vorliegende Entscheidung des BFG beschäftigt sich mit der Frage, welcher Personenkreis mit den zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen iSd § 80 Abs 1 BAO angesprochen ist. Es stellt sich in diesem Zusammenhang insb die Frage, ob mit dieser Wortfolge nur die organschaftlichen, oder aber auch die rechtsgeschäftlichen Vertreter gemeint sind. Der VwGH hat dazu in den vom BFG angeführten Erkenntnissen Stellung genommen und in jedem dieser Erkenntnisse ausgesprochen, dass mit dieser Wortfolge nur die gesetzlichen, nicht aber die rechtsgeschäftlichen Vertreter juristischer Personen angesprochen seien. Anzumerken ist, dass diese Entscheidungen des VwGH zu § 67 Abs 10 ASVG, § 25a Abs 7 BUAG und § 9 VStG ergangen sind. Es existiert jedoch eine Entscheidung des VwGH vom 13. 11. 1992, 91/17/0047, die sich mit den §§ 7 und 54 der Wiener Abgabenordnung (WAO) beschäftigt. In diesem Erkenntnis ist die Rede von mit den §§ 7, 54 WAO gleichartigen Rechtsvorschriften in anderen Landesabgabenordnungen sowie in der Bundesabgabenordnung. Da im konkreten Fall die § 9 und § 80 BAO zu beurteilen sind, scheint dieses Erkenntnis jedenfalls einschlägig zu sein. § 54 Abs 1 WAO spricht ebenfalls von „zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen“. Der VwGH hält fest: Die Berufung zur Vertretung juristischer Personen kann sowohl durch Gesetz als auch durch Vertrag erfolgen, wobei nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zwischen den beiden Vertretungsarten nicht unterschieden wird. (VwGH 13. 11. 1992, 91/17/0047; Ellinger/Sutter/Urtz BAO3 § 80 E 9 [Stand 1. 9. 2020, rdb.at]). Folgt man dieser Ansicht des VwGH, müsste man allerdings eine Haftung gem § 9 iVm § 80 BAO auch bei gewillkürten (rechtsgeschäftlichen) Vertretern bejahen. Es bleibt abzuwarten, ob (Amts-)revision eingebracht wird.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34729 vom 13.11.2023