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BFG zur Reichweite der Sperrwirkung des § 300 Abs 1 BAO

Bearbeiter: Michael Gleiss

BAO: §§ 200, 295a, 300

Abstract

Das BFG hatte über eine Beschwerde gegen einen Bescheid zu entscheiden, mit dem ein Antrag auf Abänderung nach § 295a BAO eines vorläufigen Gebührenbescheides abgewiesen wurde. Strittig war im Verfahren insbesondere die Frage der Reichweite der Sperrwirkung nach § 300 Abs 1 BAO: So hatte sich das BFG mit der Frage zu beschäftigen, ob eine wie ein Vorlageantrag wirkende Vorlageerinnerung im Verfahren betreffend Abänderung nach § 295a BAO dazu führt, dass ab diesem Zeitpunkt der vorläufige Gebührenbescheid von der Sperrwirkung des § 300 Abs 1 BAO erfasst ist und somit eine Endgültigerklärung nichtig wäre. Das BFG kam zum Schluss, dass die Sperrwirkung der vorgenommenen Endgültigerklärung nicht im Wege steht. Die Revision ließ das BFG zu.

BFG 11. 6. 2024, RV/7104124/2023

Sachverhalt

Die Bf schloss als Pächterin am 4. April 2019 einen Pachtvertrag über eine gewerbliche Garagenanlage ab. Der Pachtvertrag wurde dem FA angezeigt und in der Folge am 13. Juni 2019 eine Rechtsgeschäftsgebühr iHv etwa EUR 15.000 nach § 200 Abs 1 BAO vorläufig festgesetzt. Begründend wurde ausgeführt, dass die genaue Bemessungsgrundlage (Kosten für die vertraglich vereinbarte Erneuerung der Schranken- und Videoanlage) noch ungewiss sei und die Festsetzung daher vorläufig erfolge.

Im März 2022 unterfertigten die Bf und die Verpächterin sodann eine „Vereinbarung zur Rückabwicklung des Pachtvertrages“ und lösten den im April 2019 geschlossenen Pachtvertrag rückwirkend auf. Begründend wurde festgehalten, es habe sich nach dem Vertragsabschluss herausgestellt, dass das mit der Vorpächterin bestehende Vertragsverhältnis aus rechtlichen Gründen nicht wirksam beendet werden könne und daher ein Geschäftsirrtum vorliege. Die Bf teilte dies im August 2022 dem FA mit und beantragte die Abänderung des vorläufigen Gebührenbescheides gem § 295a BAO (rückwirkendes Ereignis), die Festsetzung der Gebührenschuld mit EUR 0 sowie die Erstattung der bereits entrichteten Gebühr.

Das FA wies diese Anträge im Jänner 2023 ua mit dem Hinweis ab, dass ein gültig zustande gekommenes Rechtsgeschäft vorliegt und die bloße Anfechtbarkeit des Vertrages der Entstehung der Gebührenschuld nicht im Wege steht. Dagegen erhob die Bf Beschwerde (Februar 2023), über die nach einer ebenso abweisenden BVE (August 2023) sowie einem Vorlageantrag (ebenso August 2023) das BFG zu entscheiden hatte. Am 14. November 2023 brachte die Bf eine Vorlageerinnerung beim BFG ein.

Mit Bescheid vom 21. November 2023 wurde der bislang vorläufige Gebührenbescheid aus dem Juni 2019 für endgültig erklärt. Hinsichtlich der Höhe der Gebühr trat keine Änderung zur bisherigen Festsetzung ein. Auch dagegen erhob die Bf Beschwerde.

Strittig war in der Folge insbesondere, ob die wie eine Beschwerdevorlage wirkende Vorlageerinnerung vom 14. November 2023 dazu führt, dass ab diesem Zeitpunkt der vorläufige Bescheid von der Sperrwirkung des § 300 BAO erfasst ist und somit die Endgültigerklärung vom 21. November 2023 nichtig war. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob – sofern die Endgültigerklärung für zulässig befunden wird und somit der endgültige Bescheid anstelle des vorläufigen Bescheides getreten ist – sich die erhobene Bescheidbeschwerde gegen die Abweisung des Antrags nach § 295a BAO (vorläufiger Bescheid) gem § 253 BAO auch gegen den endgültigen (und inhaltsgleichen) Bescheid richtet.

Anm: Die im Verfahren ebenso strittige (und im Ergebnis zu verneinende) Frage, inwiefern die einvernehmliche Vertragsauflösung zum rückwirkenden Wegfall der Gebührenschuld führt, wird in der vorliegenden LexisNews nicht weiter vertieft.

Entscheidung des BFG

Nach § 300 Abs 1 BAO können Abgabenbehörden Bescheide, die beim Verwaltungsgericht mit Bescheidbeschwerde angefochten sind, ab Vorlage der Beschwerde (sowie ab Einbringung einer Vorlageerinnerung) – abgesehen von den in § 300 Abs 1 BAO vorgesehenen Ausnahmen – weder abändern noch aufheben.

Im vorliegenden Fall hat das FA den vorläufigen Gebührenbescheid für endgültig erklärt und damit einen Bescheid erlassen, der anstelle des bisherigen (vorläufigen) Bescheides getreten ist. Die Endgültigerklärung stellt grundsätzlich eine Aufhebung oder Abänderung des vorläufigen Bescheides dar, die § 300 BAO vor Augen hat. Jedoch war nicht der vorläufige Bescheid mit Beschwerde angefochten, sondern der Bescheid, mit dem der Antrag auf Abänderung (§ 295a BAO) des vorläufigen Bescheides abgewiesen wurde.

Dem Wortlaut des § 300 BAO zufolge ist lediglich die Abänderung und Aufhebung des „mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides“ mit Nichtigkeit befasst. Demgegenüber betrifft im vorliegenden Fall die Abänderung oder Aufhebung einen Bescheid (vorläufiger Gebührenbescheid), der selbst nicht mit Bescheidbeschwerde angefochten war. Somit steht der Wortlaut des § 300 BAO der vorgenommenen Endgültigerklärung nicht im Wege.

Der Zweck des § 300 BAO ist die Vermeidung gleichzeitiger Zuständigkeiten von Behörde und Verwaltungsgericht. Jedoch war die Entscheidungsbefugnis des BFG im vorliegenden Fall ohnehin insofern beschränkt, als nur darüber abzusprechen war, ob die Rückabwicklung des Pachtvertrages ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO ist. Demgegenüber kam dem BFG im gegenständlichen Beschwerdeverfahren keine umfassende Änderungsbefugnis des vorläufigen Bescheides zu, wie dies im Falle einer Bescheidbeschwerde der Fall gewesen wäre. Dies zeigt sich auch darin, dass ein Bescheid nach § 295a BAO zum bisherigen Bescheid hinzutritt und diesen ergänzt, wohingegen eine Beschwerdeentscheidung den bisherigen Bescheid ersetzt.

Im vorliegenden Verfahren – der Entscheidung über die Abweisung des Antrags nach § 295a BAO – liegt die Endgültigerklärung des vorläufigen Bescheides außerhalb der Grenzen der Entscheidungsbefugnis des BFG. Im Ergebnis kann es daher zu keiner diesbezüglichen Zuständigkeitskonkurrenz kommen, die § 300 BAO zu verhindern versucht (Hinweis auf BFG 15. 4. 2019, RV/6100508/2018 und VwGH 22. 10. 2015, Ro 2015/15/0035). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Endgültigerklärung des vorläufigen Bescheides auch Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren hat. Somit ergibt sich auch aus dem Zweck des § 300 BAO, dass § 300 BAO der Endgültigerklärung nicht entgegengestanden ist. Im Ergebnis trat der endgültige Bescheid vom 21. November 2023 anstelle des vorläufigen Bescheides vom 13. Juni 2019 und verdrängte diesen. Daher ging der Antrag nach § 295a BAO ins Leere.

Nach § 253 BAO gilt eine Bescheidbeschwerde auch gegen einen späteren Bescheid gerichtet, wenn ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides tritt. Jedoch kennt die BAO keine „Parallelbestimmung“ zu § 253 BAO, wonach ein Antrag auf Abänderung gem § 295a BAO auch als gegen einen Bescheid gerichtet gilt, der an die Stelle des abzuändernden Bescheides tritt. Demnach war der Antrag auf Abänderung nach § 295a BAO zurückzuweisen und nicht – wie vom FA angenommen – abzuweisen.

Schließlich wäre auch unter der Annahme, dass sich der Antrag nach § 295a BAO ebenso gegen den endgültigen Bescheid richten würde, für die Beschwerde nichts zu gewinnen: So hat das Sachverhaltselement der Vertragsauflösung im Rahmen der Erlassung des endgültigen Bescheides in die rechtliche Beurteilung einzufließen. Jedenfalls ist darin aber kein rückwirkendes Ereignis zu erblicken. Eine Anpassung nach § 295a BAO kommt nämlich nur hinsichtlich eines Ereignisses in Betracht, das sich nach Bescheiderlassung zugetragen hat. Unabhängig vom Ausgang der gebührenrechtlichen Frage ist somit aus verfahrensrechtlicher Perspektive festzuhalten, dass die im März 2022 vereinbarte Rückabwicklung des Vertrages kein rückwirkendes Ereignis für den Bescheid vom 21. November 2023 sein kann.

Die Revision ließ das BFG mit dem Hinweis zu, dass Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob § 300 BAO auch dann der Abänderung eines Bescheides entgegensteht, wenn ein auf seine Abänderung gem § 295a BAO gerichteter Antrag abgewiesen sowie gegen diesen Abweisungsbescheid Beschwerde erhoben und diese dem BFG vorgelegt wird. Nach den Informationen in der FINDOK wurde die Revision nicht erhoben.

Conclusio

Die Sperrwirkung des § 300 Abs 1 BAO verhindert, dass die Verwaltung der Rechtsprechung einen Fall ohne deren Zustimmung entziehen kann (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 300 Anm 3 [Stand 1. 1. 2017, rdb.at]). Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 300 Abs 1 BAO ist die absolute Nichtigkeit (und nicht die bloße Anfechtbarkeit). Dies ist Ausdruck der „besondere[n] Verpönung“ eines derartigen Eingriffs in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 300 Anm 6 [Stand 1. 1. 2017, rdb.at]).

Jedenfalls von § 300 erfasst ist im vorliegenden Fall der Abweisungsbescheid infolge des Antrags nach § 295a BAO: Die Bf erhob dagegen Beschwerde, die letztlich auch dem BFG vorgelegt wurde (infolge Vorlageerinnerung), weshalb die Sperrwirkung jedenfalls zu bejahen ist. Demgegenüber war jedoch der vorläufige Bescheid, der durch die Endgültigerklärung später ersetzt wurde, nicht selbst Anfechtungsgegenstand, weshalb aus diesem Verfahren die Sperrwirkung des § 300 BAO jedenfalls nicht resultieren kann. Fraglich ist jedoch, ob eine „abgeleitete Sperrwirkung“ möglich ist: Denkbar wäre, § 300 BAO über seinen Wortlaut hinaus auszulegen und die Entscheidungssperre auch in den Fällen zu bejahen, in denen der Sachbescheid nicht selbst durch Beschwerde angefochten ist, sondern es nach Vorlage der Beschwerde in einem anderen Verfahren (zB § 295a BAO oder § 303 BAO) zu einer Änderung des Sachbescheides kommen kann.

Im Erkenntnis BFG 15. 4. 2019, RV/6100508/2018 hat das BFG die Ansicht vertreten, die Vorlage einer Beschwerde gegen einen Berichtigungsbescheid nach § 293b BAO steht einer Abänderung oder Aufhebung des berichtigten Bescheides nicht entgegen. Diese Ansicht überträgt das BFG nun auch auf den vorliegenden Fall – und verneint damit, dass ein Anwendungsfall der Sperrwirkung des § 300 BAO vorliegt. Demgegenüber sprechen sich Rzeszut/Turpin für eine differenzierte Betrachtung aus: Schlägt nämlich die (von der Behörde vorgenommene) Abänderung oder Aufhebung des berichtigten Bescheides auf den vom BFG zu beurteilenden Berichtigungsbescheid nach § 293b BAO durch, so wäre dieser ebenso abzuändern oder aufzuheben. Jedoch verhindert § 300 BAO gerade Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Berichtigungsbescheides, was dafür spricht, von einem Anwendungsfall der Sperrwirkung auszugehen (vgl Rzeszut/Turpin in Rzeszut/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO: Stoll Kommentar [2023] § 300 BAO Rz 5). Eine baldige Klärung durch den VwGH ist nicht zu erwarten, da die für zulässig erklärte Revision nach den in der FINDOK ersichtlichen Informationen nicht erhoben wurde.

Ein Rechtsschutzdefizit ist in der vorliegenden Konstellation jedenfalls nicht zu erkennen, da der Bf gegen den Bescheid auf Endgültigerklärung das Rechtsmittel der Beschwerde offensteht. In diesem Verfahren können allfällige Argumente für das rückwirkende Wegfallen der Gebührenschuld vorgebracht werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35825 vom 04.09.2024