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Abstract
Einkünfte des Bf waren sowohl in Deutschland als auch in Österreich besteuert worden, da beide Finanzverwaltungen von der unbeschränkten Steuerpflicht des Bf ausgegangen waren. Im Zuge eines Verständigungsverfahrens nach Art 25 Abs 1 DBA-Deutschland zur Frage der Ansässigkeit wurde dem Bf mitgeteilt, dass die Ansässigkeit zwar in Österreich zu sehen sei, für das in Frage stehende Jahr 2010 jedoch bereits die für das Verständigungsverfahren maßgebende Dreijahresfrist abgelaufen war. Die vom Bf beantragte Nachsicht nach § 236 BAO wurde vom FA abgewiesen. Auch das BFG wies die in der Folge erhobene Beschwerde mangels sachlicher Unbilligkeit ab, da es dem Bf möglich gewesen wäre, rechtzeitig ein Verständigungsverfahren zu initiieren. Zudem seien die DBA-widrigen Einkommensteuerbescheide nicht von der österreichischen Finanzverwaltung zu verantworten.
BFG 6. 3. 2023, RV/1100397/2017
Sachverhalt
Der bisher in Österreich ansässige Bf verlegte zum 1. 1. 2010 seinen Wohnsitz nach Deutschland. Das österreichische FA ging jedoch weiterhin von einer Ansässigkeit in Österreich aus und erließ für die Jahre 2010 und 2011 entsprechende Einkommensteuerbescheide. Demgegenüber beurteilte das deutsche FA den Bf als in Deutschland ansässig, weshalb wiederum entsprechende Bescheide erlassen wurden, die zu einer Doppelbesteuerung führten.
Zur Klärung der Ansässigkeitsfrage initiierte der Bf im Jahr 2015 ein Verständigungsverfahren. Dem Bf wurde mitgeteilt, dass sich die deutsche Steuerverwaltung der österreichischen Auffassung angeschlossen habe, wonach im vorliegenden Fall gem Art 4 Abs 2 DBA-Deutschland grundsätzlich von einer Ansässigkeit in Österreich auszugehen sei. Für das Jahr 2011 könne deshalb eine Freistellung der Einkünfte in Deutschland erfolgen. Dagegen sei für 2010 die für das Verständigungsverfahren nach Art 25 Abs 1 DBA-Deutschland maßgebliche Dreijahresfrist bereits abgelaufen, weshalb der Antrag insoweit abzulehnen sei.
Das vom Bf zusätzlich gestellte Nachsichtsansuchen nach § 236 BAO wurde vom österreichischen FA mit Hinweis auf das Nichtvorliegen persönlicher oder sachlicher Unbilligkeit abgewiesen. Für die Gewährung der Nachsicht sei allenfalls, so das österreichische FA, die deutsche Finanzverwaltung zuständig. In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Bf aus, dass die sachliche Unbilligkeit im vorliegenden Fall deshalb vorliege, weil § 3 Z 3 der VO zu § 236 BAO idF vor BGBl II 2019/236 erfüllt sei. Nach dieser Bestimmung liegt eine sachliche Unbilligkeit dann vor, wenn die Geltendmachung des Abgabenanspruchs „zu einer internationalen Doppelbesteuerung führt, deren Beseitigung ungeachtet einer Einigung in einem Verständigungsverfahren die Verjährung oder das Fehlen eines Verfahrenstitels entgegensteht“. Nach einer abweisenden BVE hatte das BFG über die Beschwerde zu entscheiden.
Anm: § 3 Z 3 der VO zu § 236 BAO wurde durch BGBl II 2019/236 aufgehoben, war jedoch im vorliegenden Fall noch anzuwenden, da das Verständigungsverfahren vor dem 1. 7. 2019 beendet wurde (siehe § 4 Abs 2 VO zu § 236 BAO idF BGBl II 2019/236).
Entscheidung des BFG
Nach § 236 BAO können fällige „Abgabenschuldigkeiten“ auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder teilweise durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn deren Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Dies gilt auch im Falle von bereits entrichteten Abgaben (§ 236 Abs 2 BAO). Die Unbilligkeit kann sowohl persönlicher als auch sachlicher Natur sein. Eine persönliche Unbilligkeit wurde vom Bf nicht behauptet; die Abgabenbehörde hat im Rahmen ihrer Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen (siehe zΒ VwGH 26. 2. 2013, 2010/15/0077).
Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall aus anderen als persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, das zu einer anormalen Belastungswirkung und – im Vergleich mit ähnlichen Fällen – zu einem atypischen Vermögenseingriff führt. Die anormale Belastungswirkung muss ihre Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat (Hinweis zB auf VwGH 24. 1. 2007, 2003/13/0062). Ist die Abgabeneinhebung dagegen lediglich die Folge des ordnungsgemäßen Abgabenvollzugs, kann dies nicht der Anlassfall für eine Abgabennachsicht aufgrund sachlicher Unbilligkeit sein.
Das DBA Deutschland sieht in Art 25 Abs 1 die Möglichkeit der Durchführung eines Verständigungsverfahrens vor. Dieses muss von der betroffenen Person innerhalb von drei Jahren ab der ersten Mitteilung jener Maßnahme initiiert werden, die zu einer dem Abkommen nicht entsprechenden Besteuerung geführt hat.
Unzutreffend sei dem BFG zufolge das Vorbringen des Bf, wonach trotz einer Einigung der beiden Steuerverwaltungen im Verständigungsverfahren die Verjährung der Beseitigung der Doppelbesteuerung entgegenstehe. Vielmehr wurde – anders als für das Jahr 2011 – für das Veranlagungsjahr 2010 die Dreijahresfrist nach Art 25 Abs 1 DBA-Deutschland nicht eingehalten. Somit konnte für das Jahr 2010 keine Verständigungsvereinbarung getroffen werden. Für das Jahr 2010 sei somit, so das BFG, keine sachliche Unbilligkeit zu erblicken. Es sei den Akten nicht zu entnehmen, dass es dem Bf unmöglich gewesen wäre, die Dreijahresfrist des Art 25 Abs 1 DBA-Deutschland einzuhalten.
Auch § 3 Z 3 der VO zu § 236 BAO stehe diesem Ergebnis nicht entgegen: Diese Bestimmung solle nur ermöglichen, dass nach einem abgeschlossenen Verständigungsverfahren die DBA-widrige und häufig bereits verjährte Abgabenfestsetzung im Wege der Nachsicht saniert werden könne. Ein derartiger Fall sei im vorliegenden Sachverhalt jedoch nicht zu erblicken.
Schließlich weist das BFG darauf hin, dass die Steuerverwaltung, die die DBA-widrigen Einkommensteuerbescheide erlassen hat, die Unbilligkeit der Einhebung zu verantworten habe. Dies sei im vorliegenden Fall nicht die österreichische Finanzverwaltung. Das BFG wies die Beschwerde daher ab. Die Revision ließ das BFG nicht zu. Außerordentliche Revision wurde, soweit ersichtlich, nicht erhoben.
Conclusio
Die Nachsicht nach § 236 BAO ermöglicht die Abschreibung von fälligen Abgabenschuldigkeiten, wenn deren Einhebung persönlich oder sachlich unbillig wäre. Bis zur Änderung durch BGBl II 2019/236 war eine „internationale Doppelbesteuerung“, deren „Beseitigung ungeachtet einer Einigung in einem Verständigungsverfahren die Verjährung oder das Fehlen eines Verfahrenstitels entgegensteht“, eines der in der VO zu § 236 BAO (BGBl II 2005/435) genannten Beispiele einer sachlichen Unbilligkeit. Aufgrund der durch das EU-BStbG (BGBl I 2019/62) geschaffenen Möglichkeiten, Ergebnisse von Verständigungsverfahren national umzusetzen, wurde § 3 Z 3 der VO zu § 236 BAO aufgehoben (Capek/Gleixner/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar [2023] § 236 Rz 29). Jedoch kann auch nach der Streichung des § 3 Z 3 eine internationale Doppelbesteuerung dem Grunde nach weiterhin einen Fall der sachlichen Unbilligkeit begründen, da die Aufzählung der sachlichen Unbilligkeitsgründe nach § 3 der VO nicht abschließend ist (Capek/Gleixner/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar [2023] § 236 Rz 29).
Im vorliegenden Erkenntnis weist das BFG zutreffend darauf hin, dass dann nicht von einer Unbilligkeit iSd § 236 BAO auszugehen ist, wenn die Besteuerung das Ergebnis des ordnungsgemäßen Vollzugs des Abgabenrechts ist. Darüber hinaus lässt sich jedoch selbst ein dem ordnungsgemäßen Abgabenvollzug nicht entsprechendes (und für den Steuerpflichtigen nachteiliges) Ergebnis oft nicht durch einen Nachsichtsantrag sanieren: Nach der Rsp des VwGH dient § 236 BAO nämlich nicht dazu, um „im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen“ (Ritz/Koran, BAO7 § 236 Tz 14 mit Hinweis auf die Rsp des VwGH). Fraglich ist jedoch, ob sich – wie vom BFG offenbar angenommen – diese Aussage auf Situationen übertragen lässt, in denen es der Nachsichtswerber verabsäumt hat, die Dreijahresfrist für ein Verständigungsverfahren nach Art 25 Abs 1 OECD MA einzuhalten. So ist ein verabsäumtes Verständigungsverfahren wohl nicht ohne Weiteres als eine „im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendung“ anzusehen. Jedenfalls „vorwerfbar“ im Sinne eines Ausschlusses der Nachsicht nach § 236 BAO wird aber das unterlassene Rechtsmittel im jeweiligen Einkommensteuerverfahren sein.
Für den vorliegenden Fall wäre für den Nachsichtswerber aber ohnehin nichts zu gewinnen gewesen: Die Besteuerung in Österreich war das Ergebnis der anzuwendenden Rechtslage, weshalb der Nachsicht nach der Rsp des VwGH (zB VwGH 20. 9. 2007, 2002/14/0138) von vornherein der Erfolg verwehrt war. Vielmehr wäre der Ausweg aus der Doppelbesteuerung in einer rechtzeitigen Beantragung eines Verständigungsverfahrens, im Rechtsmittel gegen die deutsche Einkommensteuerfestsetzung oder der Nachsicht nach deutschem Recht (Erlassverfahren nach § 227 dAO) zu suchen gewesen.