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MwStSyst-RL: Art 132 Abs 1 lit g
Abstract
Das BFG hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Einkünfte einer Rechtsanwältin aus ihrer Sachwaltertätigkeit als unecht von der Umsatzsteuer befreit gelten. Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL sieht für Dienstleistungen, die durch Einrichtungen mit sozialem Charakter ausgeführt werden, eine unechte Steuerbefreiung vor. Unter Verweis auf das BFG-Erk vom 10. 10. 2022, RV/7100763/2017 (fortgesetztes Verfahren zu VwGH 15. 12. 2021, Ra 2019/13/0025) stellte das BFG im beschwerdegegenständlichen Fall fest, dass die Rechtsanwältin als gerichtlich bestellte Sachwalterin nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter zu qualifizieren ist. Die Steuerbefreiung des Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL ist daher nicht anwendbar, weshalb die Einkünfte aus der Sachwaltertätigkeit der Umsatzsteuer unterliegen. Die Revision wurde zugelassen und bereits erhoben.
BFG 12. 7. 2024, RV/7102345/2017
Sachverhalt
Die Bf ist Rechtsanwältin und überwiegend im Erb- und Familienrecht tätig. Daneben zählen Sachwalterschaften zu ihrem Tätigkeitsschwerpunkt. Im Jahr 2014 bezog die Bf aus ihrer Tätigkeit als gerichtlich bestellte Sachwalterin (nunmehr: Erwachsenenvertreterin) Einkünfte iHv rd 183.000 €. Der Gesamtumsatz aus ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin betrug 2014 rd 219.000 €. Während die Einkünfte aus der Sachwaltertätigkeit in den laufenden Umsatzsteuervoranmeldungen als steuerpflichtige Umsätze behandelt wurden, wurden sie in der Umsatzsteuerjahreserklärung als umsatzsteuerfrei erklärt und als steuerpflichtige Einnahmen der Einkommensteuer unterworfen. Mit Umsatzsteuerbescheid 2014 wurden die Einkünfte aus der Sachwaltertätigkeit jedoch entgegen der Umsatzsteuerjahreserklärung als steuerpflichtig veranlagt. Die im Zuge der Umsatzsteuervoranmeldungen abgeführte Umsatzsteuer wurde daher einbehalten.
Dagegen erhob die Bf Beschwerde und erklärte, dass die Einkünfte aus der Sachwaltertätigkeit als unecht von der Umsatzsteuer befreit anzusehen sind. Begründend wurde vorgebracht, dass Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL, wonach anerkannte Einrichtungen mit sozialem Charakter steuerfrei zu stellen sind, im vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar sei. Gegen die abweisende Beschwerdevorentscheidung beantragte die Bf die Vorlage an das BFG.
Entscheidung des BFG
Im beschwerdegegenständlichen Fall ist strittig, ob die von der Bf als gerichtlich bestellte Sachwalterin im Jahr 2014 erzielten Einkünfte als unecht von der Umsatzsteuer befreit zu qualifizieren sind. § 6 Abs 1 UStG sieht keine explizite Umsatzsteuerbefreiung für Sachwalter vor. Vielmehr ist daher die unmittelbare Anwendbarkeit der unechten Steuerbefreiung des Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL zu prüfen.
Ob ein nahezu ausschließlich als vom Gericht bestellter Sachwalter tätiger Rechtsanwalt nach der Maßgabe der unmittelbar anwendbaren Befreiungsbestimmung des Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, ist anhand sämtlicher maßgeblicher Umstände zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob (i) spezifische Vorschriften des nationalen Rechts bestehen, (ii) die Tätigkeit des Sachwalters dem Gemeinwohlinteresse dient, (iii) andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wurden und (iv) die Kosten für die Sachwalterschaft zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen wurden. Außerdem ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen, weshalb die Nichterfüllung eines Kriteriums die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht jedenfalls ausschließt (vgl dazu VwGH 15. 12. 2021, Ra 2019/13/0025, Rn 36 f unter Verweis auf EuGH, 15. 4. 2021, C-846/19, Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA, Rn 70 und Rn 83–87).
Zwar sprechen das Bestehen spezifischer Vorschriften (im Fall des gesetzlichen Erwachsenenvertreters §§ 268 ff ABGB) und das mit dem Tätigwerden des Sachwalters verbundene Gemeinwohlinteresse für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter. Demgegenüber sprechen jedoch das Entgelt und die Entschädigung der Sachwalterin, die nicht von öffentlichen Stellen, sondern von der betroffenen Person getragen werden, gegen die Qualifizierung als Einrichtung mit sozialem Charakter (vgl BFG 10. 10. 2022, RV/7100763/2017 fortgesetztes Verfahren zu VwGH 15. 12. 2021, Ra 2019/13/0025). Somit sind die Einkünfte aus der Sachwaltertätigkeit der Umsatzsteuer zu unterwerfen.
Der VwGH hat in seinem Erk vom 15. 12. 2021, Ra 2019/13/0025, zwar schon die Kriterien für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter ausgesprochen. Die Frage, ob eine beinahe ausschließlich als Sachwalterin tätige Rechtsanwältin als Einrichtung mit sozialem Charakter iSd Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL anzuerkennen ist, wurde jedoch offengelassen. Die Revision ist daher zulässig.
Conclusio
Bereits im Erk vom 10. 10. 2022, RV/7100763/2017 (fortgesetztes Verfahren zu VwGH 15. 12. 2021, Ra 2019/13/0025), hat das BFG ausgesprochen, dass Sachwalterleistungen einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwaltes umsatzsteuerpflichtig sind. Zuvor hat der VwGH die maßgeblichen Kriterien (siehe dazu oben bei der Entscheidung des BFG) unter Verweis auf die Rs C-846/19, Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA aufgestellt. Ob jedoch andere Steuerpflichtige (etwa gemeinnützige Vereine) mit den gleichen Tätigkeiten bereits als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wurden, konnte der VwGH bei seiner Entscheidung aufgrund fehlender Feststellungen des BFG nicht beurteilen. Vielmehr wurde dem BFG aufgetragen, weitere Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen. Das BFG sprach in seinem Erk vom 10. 10. 2022, RV/7100763/2017, sodann aus, dass im beschwerdegegenständlichen Zeitraum weder (gemeinnützige) Sachwaltervereine noch andere Personen, die Sachwalterleistungen erbracht haben, als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL anerkannt wurden.
Auch im gegenständlichen Beschwerdefall vom 12. 7. 2024, RV/7102345/2017, kam das BFG zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht vorliegen und daher die Umsatzsteuerbefreiung iSd Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL nicht unmittelbar anwendbar ist.
Entscheidend für die Voraussetzung, ob andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wurden, ist, ob bereits andere als Sachwalter tätige Personen tatsächlich als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL anerkannt und deshalb von der Umsatzsteuer befreit wurden (vgl dazu Lachmayer, Umsatzsteuerpflicht eines Sachwalters, iFamZ 2022, 77 [79]). Die bloße faktische Möglichkeit, dass etwa gemeinnützige Vereine gestützt auf Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt und von der Umsatzsteuer befreit werden könnten, genügt dem BFG nicht (vgl dazu Mayr, Umsatzsteuer-Update November 2022: Aktuelles auf einen Blick, SWI 2022, 1206 [1212]). Da bereits Revision erhoben wurde, darf die Entscheidung des VwGH mit Spannung erwartet werden.