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BFG zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Tagesbetreuung bei öffentlichen Ganztagesschulen

Bearbeiter: Dinah-Sophia Kernstock

§ 8 lit j SchOG

§ 12 Abs 1 UStG

Art 13 MwStSystRL

Abstract

Das BFG hat über die Berechtigung zum Vorsteuerabzug einer öffentlichen Volksschule entschieden. Fraglich war, ob der Betreuungsteil einer Ganztagesschule gem § 8 lit j SchOG als Betrieb gewerblicher Art iSd § 2 Abs 3 UStG anzusehen ist. Die beitragspflichtige Betreuung wurde getrennt vom Unterrichtsteil und durch Erzieher eines externen Vereins durchgeführt.

BFG 20. 3. 2024, RV/6100329/2023

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) ist eine Gemeinde, die seit dem Schuljahr 2021/22 eine Ganztagesschule gem § 8 lit j SchOG betreibt. Die Tagesbetreuung nach Schulschluss gliedert sich in Lernzeit und Freizeit. Die Lernzeit, die eine Stunde pro Tag umfasst, wird von Lehrern betreut. Die Freizeit, zu der verpflichtend auch die Verpflegung im Rahmen eines Mittagessens zählt, wird von externen Betreuern durchgeführt. Diese sind bei einem Verein angestellt. Die nähere Tätigkeit wird in einer Vereinbarung mit der Bf geregelt. Für den Freizeitteil wird ein kostendeckender Beitrag eingehoben, der als steuerpflichtig behandelt wird, da die Bf bereits 1995 für die gesamte Kinderbetreuungseinrichtung zur Steuerpflicht optiert hat. 2022 wurden bauliche Maßnahmen zur Schaffung zusätzlicher Räumlichkeiten für die Nachmittagsbetreuung durchgeführt, wobei die Bf einen Vorsteuerabzug für die dadurch entstandenen Kosten geltend machen wollte. Das Finanzamt war jedoch der Ansicht, dass auch die Freizeitbetreuung der Bf als hoheitliche Tätigkeit einzuordnen sei. Folglich übe die Bf keine gewerbliche Tätigkeit aus, weshalb der Vorsteuerabzug vom FA versagt wurde.

Entscheidung des BFG

Eingangs hält das BFG fest, dass ausschließlich Unternehmer iSd § 2 Abs 1 UStG einen Vorsteuerabzug geltend machen können. Die Gemeinde, die die öffentliche Volksschule betreibt, kann als Körperschaft öffentlichen Rechts gem § 2 Abs 3 UStG qualifiziert werden. Eine KöR kann wiederum nur im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art unternehmerisch tätig werden. § 2 Abs 5 UStG schließt einen derartigen Betrieb aus, wenn die Tätigkeit überwiegend im Rahmen der Hoheitsverwaltung ausgeübt wird. Da die Tagesbetreuung im Rahmen der ganztägigen Schulform stattfindet und die ganztägige Schulform den Bestimmungen des SchUG und des SchOG, insbesondere auch der Erfüllung der Aufgaben der österreichischen Schulen gem § 2 Abs 1 SchOG, entsprechen muss, geht das BFG von einer hoheitlichen Tätigkeit aus. Der Umstand, dass die Erzieher nicht in einem direkten Dienstverhältnis zur Schule, sondern zu einem Verein stehen, steht dieser Einordnung nicht entgegen, da sie dennoch den Weisungen der Schulleitung unterstehen und funktionell als Organe des Bundes tätig sind (vgl auch ErläutRV 448 BlgNR XXV. GP 3).

Darüber hinaus macht die Führung der Ganztagesschule in getrennter Form im Vergleich zur verschränkten Form gem § 8d Abs 1 SchOG hinsichtlich der Einstufung der Tagesbetreuung als hoheitliche Tätigkeit keinen Unterschied. Bei der verschränkten Form sind die Betreuungszeiten vollständig in den Schulalltag integriert, weswegen alle Kinder einer Klasse für die ganze Woche angemeldet und betreut werden müssen. Bei der getrennten Form kann die separate Nachmittagsbetreuung auch nur von einzelnen Kindern und an einzelnen Tagen in Anspruch genommen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass sich bei der getrennten Form die Organfunktion der Betreuer ändert. So wird nicht nur der Unterrichtsteil als hoheitlich angesehen, sondern auch die Betreuung im Rahmen der Freizeit.

Weiters verneint das BFG das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des Art 13 Abs 1 Ua 2 MwStSystRL. Sinn dieser Regelung ist es, private Marktteilnehmer nicht zu benachteiligen, wenn sie die gleiche Tätigkeit ausüben wie Körperschaften öffentlichen Rechts, aber im Gegensatz zu dieser der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Da die gesetzliche Betreuungspflicht nur den Schulerhalter einer Ganztagesschule trifft– so das BFG – kann zwischen Privaten und KöRs kein Wettbewerb bestehen. Dementsprechend kann auch keine Wettbewerbsverzerrung vorliegen.

Auch aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers könne die gegenständliche Ganztagesschule nicht mit anderen (privaten) Formen der Kinderbetreuung verglichen werden. Ganztagesschulen bieten ein abgestimmtes Konzept von Unterricht und Nachmittagsbetreuung. Dies wird im regelmäßigen Austausch zwischen den Lehrpersonen des Unterrichts und den Erziehern des Betreuungsteils gefördert. Darüber hinaus besteht eine Anwesenheitspflicht für die angemeldeten Kinder und die Betreuung ist nur während der Schulzeit möglich, wird also auch zeitlich als Ergänzung zum Unterrichtsteil gesehen. Ein weiterer entscheidender Punkt sei, dass in Schulen die Aufgaben der öffentlichen österreichischen Schulen gem § 2 Abs 1 iVm Abs 3 SchOG auch im Betreuungsteil der Nachmittagsbetreuung gefördert werden. All dies fehlt in anderen Formen der Kinderbetreuung, die für den Durchschnittsverbraucher in der Regel nur eine familienunterstützende Funktion haben. Somit geht das BFG davon aus, dass die Bf eine hoheitliche Tätigkeit erbringt. Auf Basis dessen kann die Bf nicht als Unternehmer iSd § 2 Abs 1 UStG qualifiziert werden, weshalb kein Vorsteuerabzugsrecht zusteht. Mangels höchstrichterlicher Rsp zur Frage, ob der Betreuungsteil einer Ganztagesschule iSd § 8 lit j SchOG als Betrieb gewerblicher Art angesehen werden kann, ließ das BFG eine Revision zu.

Conclusio

Das BFG qualifizierte das Betreiben einer Ganztagesschule als hoheitliche Tätigkeit und verneinte die Begründung des Betriebs gewerblicher Art. Dies führt zum einen dazu, dass Ausgangsumsätze der Bf nicht steuerpflichtig sind. Zum anderen kann die Bf eingangsseitig keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Aus Sicht des BFG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine derartige Einordnung eine Wettbewerbsverzerrung mit sich bringt. Zudem ist das BFG zum Ergebnis gelangt, dass ebenso wenig der Neutralitätsgrundsatz eine differenzierte Behandlung verlangt.

In Hinblick auf den Neutralitätsgrundsatz sprechen die rechtlichen Rahmenbedingungen, denen die gegenständliche Schule unterliegt, für die Ansicht des BFG. Der EuGH zieht diese beim Neutralitätsgrundsatz in Ausnahmefällen heran (vgl EuGH 27. 2. 2014, C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik und Pongratz Rn 56) und betrachtet sie in Zusammenhang mit den nicht-rechtlichen Komponenten (vgl EuGH 9. 9. 2021, C-406/20, Phantasialand Rn 42). Da öffentliche Schulen anderen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen als private Schulen, können diese aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers nicht miteinander verglichen werden.

In Bezug auf die nicht-rechtliche Komponente verneinte das BFG ebenfalls die Vergleichbarkeit der schulischen Betreuungsleistungen mit einer privaten Betreuungsleistung. Entgegen der vom BFG angeführten Gründen ließen sich allerdings wohl auch Argumente finden, die für eine Vergleichbarkeit sprechen – insbesondere für die Betreuung im Rahmen der getrennten Form: Bei der verschränkten Form kann eine Wettbewerbsverzerrung wohl eher ausgeschlossen werden, weil hier der Unterricht und der Betreuungsteil miteinander verzahnt sind. Dieser Konnex besteht bei einem Schülerhort nicht. In der getrennten Abfolge kann es jedoch zu einer Vermischung der Klassenstufen und sogar einzelner Schulen kommen, wodurch eine Ähnlichkeit zum (privaten) Hort bestehen würde. Auch die gelockerte Anwesenheitspflicht in der getrennten Form der Betreuung kann mit einem solchen Hort verglichen werden, in dem auch eine Aufsichtspflicht besteht – die Kinder also nicht nach Belieben gehen können. Es bleibt abzuwarten, ob der VwGH der Ansicht des BFG folgt und wie die Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers beurteilt wird.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35832 vom 06.09.2024