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BFG zur Umsatzsteuerpflicht der Veräußerung von Patientenkarteien

Bearbeiter: Kilian Posch

UStG 1994: § 6 Abs 1 Z 19 und Z 26

Abstract

Im vorliegenden Fall hatte das BFG zu klären, ob die entgeltliche Überlassung einer Patientenkartei an den Ordinationsnachfolger einen steuerpflichtigen Umsatz darstellt oder als Umsatz aus Heilbehandlungen gem § 6 Abs 1 Z 19 UStG, alternativ als damit zusammenhängende Hilfsleistung gem Z 26 leg cit, steuerbefreit ist. Das BFG entschied dabei unter Berufung auf Rsp von EuGH und VwGH, dass die Veräußerung keinen Umsatz aus Heilbehandlungen darstellt und die Überlassung als sonstige Leistung auch nicht als Hilfsleistung befreit sein kann – und widerspricht damit den UStR.

BFG 9. 4. 2024, RV/7105211/2018

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) war Ärztin für Allgemeinmedizin und hat ihre Ordination mit Ende 2016 an einen Nachfolger übergeben. Dabei veräußerte sie die Patientenkartei, die für den übernehmenden Arzt wertvolle Informationen über bisherige Patienten wie deren Krankheitsgeschichte enthält, an ihren Nachfolger um 30.000 €. Nach einer Außenprüfung erkannte das Finanzamt diesen Vorgang als steuerpflichtigen Umsatz und setzte dafür Umsatzsteuer iHv 5.000 € (wohl 20 % von 25.000 €) fest. Gegen diesen Bescheid legte die Bf Beschwerde ein, mit der Begründung, dass die Veräußerung der Patientenkartei als Umsatz aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gem § 6 Abs 1 Z 19 UStG, oder aber zumindest als Hilfsleistung für eine steuerfreie Tätigkeit gem Z 26 leg cit, steuerbefreit sei.

Entscheidung des BFG

Nach § 6 Abs 1 Z 19 UStG sind die Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt (oder anderer aufgezählter Heilberufe) durchgeführt werden, steuerfrei. Diese Bestimmung ist als Umsetzung der Mehrwertsteuerbefreiung für Heilbehandlungen gem Art 132 Abs 1 lit c und lit f MwStSyst-RL zu sehen. Laut EuGH sind unter Heilbehandlungen der Humanmedizin Leistungen zu verstehen, die der Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH 6. 11. 2003, Dornier, C-45/01, ECLI:EU:C:2003:595; EuGH 8. 6. 2006, L.u.p., C-106/05, ECLI:EU:C:2006:380), wobei auch Vorbeugungsleistungen erfasst sind (EuGH 10. 9. 2002, Kügler, C-141/00, ECLI:EU:C:2002:473). Der VwGH hat deshalb in richtlinienkonformer Auslegung zu § 6 Abs 1 Z 19 UStG ausgesprochen, dass mit Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nur jene Tätigkeiten umfasst sind, die das Ärztegesetz 1998 abdeckt (VwGH 24. 9. 2008, 2006/15/0283). Darunter fallen demnach jegliche medinisch-wissenschaftliche, ärztliche Tätigkeiten (vgl § 2 Abs 2 ÄrzteG), nicht jedoch Geschäfte zur Förderung, Aufrechterhaltung und Fortführung sowie zur allfälligen Auflösung des Unternehmens (VwGH 17. 12. 2001, 2001/17/0155). Das BFG schließt daraus, dass die Informationsweitergabe durch eine Patientenkartei keinen Umsatz aus der Heilbehandlung im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit darstellt und daher nicht durch § 6 Abs 1 Z 19 UStG befreit sein kann.

§ 6 Abs 1 Z 26 UStG befreit hingegen die Lieferung von Gegenständen, wenn der Unternehmer für diese Gegenstände keinen Vorsteuerabzug vornehmen konnte und die gelieferten Gegenstände ausschließlich für eine nach den Z 7–25 leg cit steuerfreie Tätigkeit verwendet hat. Die Steuerbefreiung hat demnach das Vorliegen einer Lieferung zur Voraussetzung. In unionsrechtskonformer Auslegung (konkret der Rsp EuGH 22. 10. 2009, Swiss Re Germany Holding, C-242/08, ECLI:EU:C:2009:647) hat der VwGH ausgesprochen, dass die Übertragung eines Kundenstocks als sonstige Leistung und nicht als Lieferung einzuordnen ist (VwGH 27. 6. 2019, Ra 2018/15/0078). Das BFG entschied nun, dass der wirtschaftliche Gehalt des Kaufes einer Patientenkartei im Erwerb von Informationen über Patienten liegt und der Verkauf daher wie die Übertragung eines Kundenstocks als nicht-körperliche Dienstleistung zu sehen ist. Zusammenfassend sind daher weder Z 19 noch Z 26 des § 6 Abs 1 UStG auf die Veräußerung der Patientenkartei anwendbar, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.

Conclusio

Das BFG schließt die Steuerpflicht für die entgeltliche Überlassung von Patientenkarteien insb aus der VwGH-Rsp, dass nur vom ÄrzteG umfasste Tätigkeiten nach § 6 Abs 1 Z 19 UStG steuerbefreit sein können. Dieser Schluss ist aber nicht unumstritten: Beiser vertritt etwa die Auffassung, dass die Überlassung der Patientenkartei als Informationsaustausch über Krankengeschichte, Impfungen, Medikation etc der ärztlichen Heilbehandlung dient, weil dadurch die Behandlung erleichtert wird (vgl Beiser, Umsatzsteuerpflicht für die Übergabe einer Patientenkartei an den Ordinationsnachfolger? SWK 2014, 798). Dieser Ansicht zufolge ist die Veräußerung der Patientenkartei demnach nicht nur als Hilfsgeschäft zur Förderung bzw Auflösung des Unternehmens zu sehen, wie das BFG entschieden hat. Obwohl Beiser dabei zuzustimmen ist, dass die Patientenkartei vornehmlich der besseren und einfacheren Behandlung dient und aufgrund freier Arztwahl nicht zB mit einer Vertragsübertragung verglichen werden kann, so ist die Beschaffung der Information nicht Teil der Ausübung der Heilkunde in direkter Verbindung mit dem Patienten, die nach VwGH-Rsp gem § 6 Abs 1 Z 19 UStG befreit ist. Vielmehr ist die Patientenkartei mit anderem Kapital einer Arztpraxis, wie einem medizinischen Gerät, zu vergleichen, das den Arzt zwar zur adäquaten Heilbehandlung befähigt, aber dessen Veräußerung nicht unter Z 19 fällt (vgl zum medizinischen Gerät Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG3 [2021] § 6 Rz 571). Im Endergebnis ist dem BFG deshalb zuzustimmen. Die konkrete Rechtsfrage, ob eine Überlassung der Patientenkartei einen Umsatz aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin darstellen kann, wurde vom VwGH jedoch noch nie inhaltlich behandelt (vgl auch Müller-Dobler, Umsatzsteuerpflicht für die entgeltliche Überlassung einer Patientenkartei an den Ordinationsnachfolger, BFGjournal 2024, 288 [290]), weshalb der Spruch des BFG, die Revision trotz divergierender Literaturmeinungen nicht zuzulassen, kritisch zu sehen ist.

Die Überlassung der Patientenkartei im Wesentlichen als Informationsweitergabe und daher als sonstige Leistung zu sehen, ist jedenfalls überzeugend. Die Lieferung des Datenträgers ist lediglich eine unselbstständige Nebenleistung der sonstigen Leistung, die den wirtschaftlichen Kern der Dienstleistung nicht berührt (ebenso Müller-Dobler, BFGjournal 2024, 288 [290]). In den UStR ist hingegen noch die Auffassung zu finden, dass die Veräußerung eines Kundenstocks gem § 6 Abs 1 Z 26 UStG steuerbefreit sei (UStR 2000 Rz 991). Dies widerspricht mittlerweile aber der auf Unionskonformität bedachten VwGH-Rsp (VwGH 27. 6. 2019, Ra 2018/15/0078).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35971 vom 15.10.2024