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BFG zur Verjährung bei vorläufig erlassenen, abgeleiteten Bescheiden

Bearbeiter: Michael Hubmann

BAO: §§ 200, 207, 208, 209, 295

Abstract

Das BFG hatte über eine Beschwerde zur Festsetzung von Einkommensteuer aus dem Jahr 2006 zu entscheiden, zu der über Jahre hinweg immer wieder gem § 295 Abs 1 BAO neuerlich vorläufige Festsetzungen ergingen – ohne dass jemals eine Ungewissheit iSd § 200 BAO vorlag. Es stellte sich die Frage, welchen Einfluss diese vorläufigen Festsetzungen auf die Festsetzungsverjährung haben und ob die Verjährungsfrist durch die neu erlassenen, vorläufigen Bescheide neu zu laufen beginnen kann. Das BFG bejahte dies.

BFG 28. 8. 2024, RV/7100746/2020

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) war an verschiedenen Gesellschaften beteiligt. Am 6. 10. 2008 wurde die Einkommensteuer 2006 vorläufig festgesetzt. Am 14. 1. 2010 erfolgte gem § 295 Abs 1 BAO eine die ursprüngliche Festsetzung ersetzende und erneut vorläufige Neufestsetzung. Ein Vorläufigkeitsgrund fehlte. Die dagegen eingebrachte Berufung führte dazu, dass die ESt 2006 nunmehr im Rahmen einer Berufungsvorentscheidung – jedoch wiederum vorläufig – festgesetzt wurde. Am 30. 7. 2012 kam es dann zu einer neuerlichen Änderung gem § 295 Abs 1 BAO. Die Abgabe wurde abermals ohne Nennung einer Ungewissheit vorläufig festgesetzt. Am 13. 2. 2017 erfolgte eine weitere Bescheidänderung gem § 295 Abs 1 BAO. Die Abgabe wurde wiederum ohne Nennung einer Ungewissheit vorläufig festgesetzt. Noch vor der Erledigung eines dagegen gerichteten Aufhebungsantrages nach § 299 BAO kam es erneut gem § 295 Abs 1 BAO zur Erlassung eines neuen vorläufigen Festsetzungsbescheids. Gegen diesen Bescheid wurde am 28. 2. 2018 eine Beschwerde eingebracht. Der Bf bringt vor, dass für die ESt 2006 bereits die Verjährung eingetreten sei. Mangels Vorliegens einer Ungewissheit könne sich der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht – wie von der Abgabenbehörde angenommen – nach § 208 Abs 1 lit d BAO richten; er richte sich daher nach § 208 Abs 1 lit a BAO und habe mit Ablauf des Jahres 2006 begonnen. Die Abgabe sei daher mangels einer entsprechenden Kette von Verlängerungshandlungen bereits relativ, sowie aufgrund des Ablaufs von 10 Jahren nach Entstehung des Abgabenanspruches auch absolut verjährt. Das Finanzamt folgte dem Beschwerdebegehren nicht, änderte den angefochtenen vorläufigen Bescheid jedoch dahin gehend ab, dass die Festsetzung nun endgültig erfolgte. Es wurde die Vorlage an das BFG beantragt.

Entscheidung des BFG

Nach der stRsp des VwGH kann ein endgültiger Bescheid nach § 200 Abs 2 BAO auch dann ergehen, wenn die Erlassung des (rechtskräftigen) vorläufigen Bescheids erfolgt ist, obwohl eine Ungewissheit nicht bestanden hat. Erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, ist für die Frage der Verjährung vom Vorliegen einer Ungewissheit iSd § 200 Abs 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen. Die Fristenregelung des § 208 Abs 1 lit d BAO gilt somit auch dann, wenn tatsächlich gar keine Ungewissheit vorlag. Allerdings beginnt die Verjährungsfrist in einem solchen Fall bereits mit Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde. Im Fall der ESt beträgt die Verjährungsfrist gem § 207 Abs 2 BAO grundsätzlich fünf Jahre. Das Recht, eine vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, verjährt gem § 209 Abs 4 BAO spätestens 15 Jahre nach Entstehen des Abgabenanspruches absolut. Diese absolute Verjährungsfrist begann also mit Ablauf des Jahres 2006 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2021. Der Erstbescheid erging am 6. 10. 2008 als vorläufiger Bescheid. Da keine Ungewissheit vorlag, begann die fünfjährige Verjährung nach § 208 Abs 1 lit d BAO mit Ablauf des Jahres 2008 zu laufen (und hätte mit Ablauf des Jahres 2013 geendet). Durch die am 14. 1. 2010 und am 30. 7. 2012 gem § 295 BAO vorgenommenen Bescheidersetzungen und die am 15. 7. 2011 geänderte vorläufige Festsetzung im Rahmen einer Berufungsvorentscheidung verlängerte sich die Verjährungsfrist gem § 209 Abs 1 BAO bis Ende 2014. Durch die Erlassung des vorläufigen Einkommensteuerbescheids am 30. 7. 2012 begann die fünfjährige Verjährungsfrist erneut mit Ablauf des Jahres 2012 zu laufen und hätte ohne Verlängerungshandlungen mit Ablauf des Jahres 2017 geendet. Am 13. 2. 2017 – somit vor Eintritt der Verjährung – erging wiederum ein vorläufiger Bescheid, der in Rechtskraft erwuchs, nämlich der gem § 295 Abs 1 BAO geänderte Einkommensteuerbescheid 2006, wodurch sich die Verjährungsfrist um ein weiteres Jahr, somit bis zum Ablauf des Jahres 2018 verlängert hat. An der Qualifikation dieses Bescheids als Verlängerungshandlung ändert sich auch dadurch nichts, dass dieser Bescheid rechtwidrig (weil nach der absoluten Verjährung von 10 Jahren) ergangen ist. Der angefochtene Bescheid ist somit vor Ablauf der Verjährungsfrist ergangen und dahin gehend abzuändern, dass die Festsetzung nunmehr endgültig erfolgt, da keine Ungewissheit iSd § 200 BAO vorliegt. Nach Ablauf von 10 Jahren und innerhalb von 15 Jahren nach der Entstehung des Abgabenanspruches darf eine endgültige Festsetzung nach einer vorläufigen Festsetzung gem § 209 Abs 4 BAO noch erfolgen. Die endgültige Festsetzung durch das BFG tritt daher an die Stelle des angefochtenen Bescheids und ersetzt die vorläufige Festsetzung der Abgabenbehörde. Die Revision wurde zugelassen, aber nicht erhoben.

Conclusio

Es konnte im vorliegenden Fall seitens des BFG keine Ungewissheit iSd § 200 BAO erkannt werden, weshalb vom gänzlichen Fehlen einer solchen auszugehen ist. Trotzdem liegt ein rechtskräftiger vorläufiger Festsetzungsbescheid vor, der sich auf eine tatsächlich nicht bestehende Ungewissheit stützt. Nach der jüngeren Rsp des VwGH (VwGH 28. 2. 2012, 2010/15/0164; 24. 10. 2013, 2012/15/0018; 6. 11. 2023, Ra 2021/16/0085) ist in einem solchen Fall – wie auch das BFG hier ausführt – die besondere Verjährungsfristenregel des § 208 Abs 1 lit d BAO dennoch anwendbar (aA VwGH 18. 10. 1984, 83/15/0085; Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 208 Rz 4 mwN). Zu beachten ist aber, dass hier zwei Verjährungsfristen nebeneinander laufen: Für die erstmalige Festsetzung und spätere Abänderung richtet sich der Verjährungsfristenlauf nach der Generalklausel des § 208 Abs 1 lit a BAO, wonach die relative Verjährungsfrist des § 207 Abs 2 BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch nach § 4 BAO entstanden ist, zu laufen beginnt. Die in § 200 Abs 2 BAO vorgesehenen Rechte (wie zB die Erlassung eines endgültigen Bescheids nach einem vorläufigen Bescheid) unterliegen hingegen einer nach § 208 lit d BAO ausgelösten eigenen relativen Verjährungsfrist (dazu im Detail Hubmann, Verjährungsfalle bei vorläufiger Abgabenfestsetzung, AVR 2024, 76 [78]). Die Ansicht des BFG, wonach ein gem § 295 BAO als ersetzender Bescheid erlassener, vorläufiger Bescheid die Festsetzungsverjährungsfrist nach § 208 Abs 1 lit d BAO neuerlich auslöst, ist überzeugend, sofern im Zeitpunkt der Bescheidersetzung nach § 295 BAO das allgemeine Festsetzungsrecht noch nicht verjährt ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36178 vom 09.12.2024