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DBA Deutschland-Schweiz: Art 15
DBA Deutschland-Frankreich: Art 18
DBA Frankreich-Schweiz: Art 15
dEStG: § 50d Abs 8 und Abs 9
Abstract
Der BFH erkannte, dass bei der Anwendbarkeit mehrerer DBA das für den Steuerpflichtigen günstigere DBA anzuwenden ist. Ferner kommt es bei einem Besteuerungsverzicht des Quellenstaates (aufgrund eines anderen DBA) zu einem Besteuerungsrückfall gem § 50d Abs 8 und Abs 9 Z 1 dEStG.
BFH 1. 6. 2022, I R 30/18
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige (Stpfl) wohnte gemeinsam mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in Deutschland, wo sich sein Mittelpunkt der Lebensinteressen befand. Er war als Altenpfleger in der Schweiz tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Um diese Tätigkeit auszuüben, unterhielt der Stpfl eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er an seinen Arbeitstagen die wenige Kilometer entfernt gelegene Arbeitsstätte in der Schweiz erreichte. Sowohl Deutschland, Frankreich als auch die Schweiz hatten für diese Einkünfte nach den nationalen Steuerrechten ein Besteuerungsrecht. Die abkommensrechtliche Zuteilung des Besteuerungsrechts sah wie folgt aus: Aufgrund der Grenzpendlerregelung des DBA Frankreich-Schweiz lag das Besteuerungsrecht bei Frankreich, gleichzeitig erhielt die Schweiz das Besteuerungsrecht gem Art 15 DBA Deutschland-Schweiz als Quellenstaat und Art 18 DBA Deutschland-Frankreich wies dem Ansässigkeitsstaat Deutschland das Besteuerungsrecht der Drittstaatseinkünfte zu. Der Arbeitslohn wurde vom Stpfl in Frankreich versteuert. Die Schweiz erhob aufgrund der Grenzpendlerregelung keine Steuer auf diese Einkünfte. Im Rahmen der Veranlagung in Deutschland setzte der Stpfl die Einkünfte mit Verweis auf das DBA Deutschland-Schweiz als steuerfreie Einkünfte an. Dem folgte das FA nicht und unterwarf den Schweizer Arbeitslohn der inländischen (deutschen) Besteuerung. Dagegen legte der Stpfl einen Einspruch ein, der vom FG Münster stattgegeben wurde (13. 7. 2018, 1 K 42/18 E). Das FG Münster stellte dabei die Einkünfte unter Beachtung des Progressionsvorbehalts frei. Gegen das Erk des FG Münster brachte das FA eine Amtsrevision ein. Das FA brachte vor, dass es im streitgegenständigen Fall zu einem Besteuerungsrückfall gem § 50d Abs 8 und Abs 9 Z 1 dEStG kommt, weil der Quellenstaat nicht von seinem Besteuerungsrecht Gebrauch macht und Deutschland aufgrund des DBA Deutschland-Frankreich das Besteuerungsrecht auf jene Einkünfte zugewiesen bekommt.
Entscheidung des BFH
Gem § 50d Abs 8 dEStG tritt ein Besteuerungsrückfall ein, wenn Deutschland als Ansässigkeitsstaat Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit freistellt, aber der Quellenstaat (hier die Schweiz) auf sein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht verzichtet. Im Streitfall liegt dieser Sachverhalt zwar vor, jedoch verzichtet die Schweiz aufgrund der Grenzpendlerregelung mit Frankreich auf sein Besteuerungsrecht. Ein Steuerverzicht infolge eines anderen DBA führt nicht zu einem deutschen Besteuerungsrecht iSd § 50d Abs 8 dEStG. Des Weiteren findet der Besteuerungsrückfall gem § 50d Abs 9 Z 1 dEStG keine Anwendung. Dies würde nur dann vorliegen, wenn die freigestellten Einkünfte in der Schweiz aufgrund der beschränkten Steuerpflicht nicht steuerpflichtig sind. Demnach konnte der BFH der Ansicht des FA hinsichtlich der unilateralen „Treaty Override“-Vorschriften nicht folgen und gab dem FG Münster in seiner Bewertung Recht.
Zur Lösung dieser abkommensrechtlichen Dreieckskonstellation bedarf es einer autonomen und voneinander unabhängigen Auslegung der jeweiligen DBA. Die Ansicht des FA, dass die Zuteilung des Besteuerungsrechts aufgrund des DBA Deutschland-Frankreich auf andere Staaten erstreckende „abkommensübergreifende“ Wirkung entfaltet, trifft nicht zu. Außerdem schließt Art 34 WÜRK – entgegen der Ansicht des FA, die das Besteuerungsrecht aufgrund des DBA Deutschland-Frankreich als gegeben sah – die Begründung von Rechten und Pflichten für einen Drittstaat aus. Des Weiteren sieht das DBA Deutschland-Schweiz keine entsprechende „Subject-to-Tax“-Klausel vor, die einen abkommensrechtlichen Besteuerungswechsel begründen würde. Der BFH resümierte daraus, dass sich der Stpfl grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm durch dieses DBA gewährt wird. Demnach erkannte der BFH, dass das FG Münster rechtsfehlerfrei den Sachverhalt gelöst hat. Dementsprechend sind die Einkünfte des Stpfl in Deutschland unter Progressionsvorbehalt freizustellen.
Conclusio
Das Erk des BFH stimmt mit der in der Literatur vertreten Meinung überein, dass sich ein Stpfl grundsätzlich auf jede Begünstigung eines DBA in einer Dreieckskonstellation berufen kann, die ihm als Stpfl am günstigsten erscheint. Weiters schloss der BFH eine Drittwirkung eines DBA aus. Das daraus abgeleitete Prinzip der Meistbegünstigung bei Anwendbarkeit mehrerer DBA wurde angewandt.
Die Lösung von abkommensrechtlichen Dreieckskonstellationen wäre grundsätzlich anhand der allgemeinen Verteilungsnormen des OECD-Musterabkommens einfach zu lösen, jedoch wird mit DBA spezifischen Sonderregelungen, wie bspw der Grenzpendlerregelung, die Anwendung erschwert.