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BFH: Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für Sozialversicherungsbeiträge eines in Österreich tätigen Arbeitnehmers

Bearbeiter: Juliane Beverungen

DBA Deutschland-Österreich: Art 15 Abs 1, Abs 7

dEStG: § 10 Abs 2 S 1, § 32b Abs 1

EStG: § 18 Abs 1 Nr 2

AEUV: Art 45

Abstract

Der BFH bestätigt das FG München in seiner Ansicht, dass Beiträge zu einer österreichischen Sozialversicherung, welche im Ausland die Bemessungsgrundlage zur Lohnsteuer gesenkt haben, weder im Rahmen des Sonderausgabenabzugs noch beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen sind. Hierin sieht der BFH keinen Verstoß gegen die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit. Weiterhin muss Deutschland keinen betragsmäßigen Ausgleich zur österreichischen Entlastung liefern, da im EU-Raum keine vollständige Harmonisierung der Steuersysteme im Bereich der direkten Steuern besteht.

BFH 22. 2. 2023, I R 55/20

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine in Deutschland ansässige Steuerpflichtige und erzielt neben deutschen Einkünften auch Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit in Österreich. Im Rahmen der deutschen Einkommensteuererklärung macht sie geltend, dass im Streitjahr (2015) in Österreich gezahlte Sozialversicherungsbeiträge von der dortigen Lohnsteuerbemessungsgrundlage abgezogen wurden. Das daraufhin vom deutschen FA ermittelte ausländische Einkommen wirkt sich durch den Progressionsvorbehalt steuersatzerhöhend aus. Gegen den ausgestellten Bescheid legt die Steuerpflichtige Einspruch ein, da sie der Ansicht ist, dass die österreichischen Sozialversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des in Deutschland steuerpflichtigen Einkommens als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück, worauf sie Klage beim FG München einreicht, welche erfolgslos bleibt (s FG München 9. 8. 2020, 1 K 1501/18). Die Klägerin erhebt daraufhin Revision vor dem BFH mit der Begründung, dass die Entscheidung des FG materielles Recht verletzen würde. Sie beantragte, dass die Beiträge entweder als Sonderausgaben oder ansonsten im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden.

Entscheidung

Der BFH führt zunächst aus, dass gem § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 HS 1 dEStG ein Abzugsverbot für Sonderausgaben besteht, welche im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Von diesem Verbot sind gem § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 HS 2 dEStG Aufwendungen ausgenommen, welche im Zusammenhang mit Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit stehen, aufgrund eines DBA in Deutschland steuerfrei sind und die im Beschäftigungsstaat nicht im Rahmen der Besteuerung berücksichtigt werden können. Hierdurch soll eine doppelte Abzugsfähigkeit bestimmter Aufwendungen verhindert werden. Im vorliegenden Fall standen die Sozialversicherungsbeiträge im Zusammenhang mit Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit, welche gem Art 15 (1) DBA AUT nur im Beschäftigungsstaat Österreich besteuert werden dürfen, also in Deutschland steuerfrei sind. Allerdings hatte die Klägerin die Beiträge bereits im Lohnsteuerverfahren in Österreich geltend gemacht, sodass die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug gem § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 HS 2 dEStG nicht erfüllt sind.

Die Klägerin beanstandete, dass § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 HS 2 lit c dEStG unionsrechtswidrig ausgestaltet sei, zum einen, weil der Wortlaut der Norm bereits bei einer betragsmäßig geringen Abzugsmöglichkeit im Beschäftigungsstaat den Sonderausgabenabzug in Deutschland als Ansässigkeitsstaat verwehrt. Diese Frage ist, laut Ansicht des BFH, allerdings nicht entscheidungserheblich, da das FA Österreich die Beiträge der Klägerin zur Sozialversicherung in Österreich bei der Lohnsteuerermittlung bereits mindernd anerkannt hat und es sich dabei nicht nur um einen betragsmäßig geringen Teil der Aufwendungen handelt. Art 45 AEUV verbietet zwar die Schlechterstellung eines grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmers, allerdings geht die Regelung nicht so weit, dass sowohl der Beschäftigungs- als auch der Wohnsitzstaat Sonderausgaben berücksichtigen müssen (s BFH 27. 10. 2021, X R 11/20). Somit genügt § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 HS 2 lit c dEStG laut BFH den Anforderungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und entlastet Deutschland von der Berücksichtigung der Beiträge.

Zum anderen führt die Klägerin aus, dass Deutschland den Teilbetrag der Sozialversicherungsbeiträge, welche in Österreich nicht unter § 18 Abs 1 Nr 2 EStG fallen und damit nicht abzugsfähig sind, als Sonderausgaben berücksichtigen muss. Hiergegen führt der BFH aus, dass sich ein sog Kompensationsrecht nicht aus dem Unionsrecht ableiten lässt, da sich dieser betragsmäßige Unterschied im Sonderausgabenabzug aus dem nationalen Recht ergibt. In Art 15 Abs 7 DBA AUT haben die beiden Vertragsstaaten eine hinreichende Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen im Beschäftigungsstaat normiert, welche Österreich vorliegend durch den Abzug der Beiträge von der Lohnsteuerbemessungsgrundlage nachgekommen ist. Die EU-Mitgliedstaaten sind nach bisherigem Recht nicht dazu verpflichtet das eigene Steuersystem den anderen Staaten anzupassen, um jegliche Doppelbesteuerung, welche sich aus der parallelen Anwendung mehrerer nationaler Steuersysteme ergibt, zu beseitigen (s EuGH 12. 2. 2009, C-67/08, EU:C:2009:92, Rn 30). Somit ist Deutschland nicht verpflichtet den betragsmäßigen Unterschied beim Sonderausgabenabzug zu berücksichtigen.

Auch eine geforderte Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen des Progressionsvorbehalts schließt der BFH aus. Zwar müssen die durch ein DBA freigestellten österreichischen Einkünfte gem § 32b Abs 1 S 1 Nr 3 dEStG berücksichtigt werden, allerdings fließen in die Berechnung des besonderen Steuersatzes gem § 32b Abs 2 Nr 2 dEStG nur die Einkünfte ein. Da die Sonderausgaben aber gem § 2 Abs 4 dEStG nicht zu den Einkünften gehören, sondern erst vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, ist die Berücksichtigung vorliegend ausgeschlossen.

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen und der BFH bestätigt, dass die Nichtberücksichtigung der ausländischen Sozialversicherungsbeiträge nicht gegen die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit verstößt.

Conclusio

Die deutsche Literatur steht der Regelung des § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 HS 2 dEStG durchaus kritisch entgegen, da der Wortlaut der Norm als zu eng angesehen wird, um den unionsrechtlichen Grundfreiheiten Rechnung zu tragen. Zum einen gilt der Ausnahmetatbestand nur für Aufwendungen im Zusammenhang mit Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und zum anderen führt schon jegliche Berücksichtigung im Beschäftigungsstaat zu einem Sonderausgabenabzugsverbot (s Förster, DStR 2018, 1405 [1409 f]; Hölscher, FR 2020, 645 [652 f]) In der vorliegenden Fallkonstellation sorgt Österreich allerdings für eine effektive Entlastung des Steuerpflichtigen, sodass sich die Literatur hier dem BFH und seiner bisherigen Rechtsprechung anschließt (s Krüger in Schmidt, EStG42 § 10 Rn 136; Vogel in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 10 EStG Rn 517).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34696 vom 03.11.2023