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DBA Deutschland-Schweiz (DBA D-CH): Art 15 Abs 1, Art 15a
Abstract
Im vorliegenden Fall wurde der Kl, der in Deutschland (D) wohnhaft und in der Schweiz berufstätig war, im Jahr 2016 gekündigt und ein halbes Jahr von der Arbeit freigestellt. Mit der Kündigung ging auch die einmalige Auszahlung einer Abfindung einher. Es stellt sich daher im vorliegenden Fall die Frage, ob und inwieweit die Einkünfte während der Freistellung wie auch die Abfindung in der Schweiz als Tätigkeits- oder Deutschland als Ansässigkeitsstaat besteuert werden dürfen.
BFH 1. 8. 2024, VI R 23/22
Sachverhalt
Der Kl (und RevKl) war seit 2011 in der Schweiz beschäftigt und hatte seinen Wohnsitz in D. Mit Schreiben vom 26. 4. 2016 kündigte der Schweizer Arbeitgeber den Kl zum 31. 20. 2016 und stellte ihn unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei. Der Kl erhielt im Streitjahr 2016 einen Bruttolohn iHv 131.895 CHF, wobei 30.148 CHF auf eine Abfindung entfielen. Er verbrachte nach den Feststellungen des FG in diesem Jahr elf Arbeitstage in der Schweiz und 52 in D, wobei der Rest der Tage auf Urlaubs-, Krankheits- und gesetzliche Feiertage entfiel. An insgesamt 22 Tagen kehrte der Kl aus Arbeitsgründen nicht zu seinem inländischen Wohnsitz zurück. Der Kl erklärte in behaupteter Übereinkunft mit dem DBA D-CH den Großteil seiner Einkünfte für in der Schweiz steuerpflichtig und dadurch in D steuerbefreit.
Das FA teilte die Auffassung des Kl nicht und nahm stattdessen an, dass der Großteil des im Streitjahr bezogenen Arbeitslohns der Besteuerung in Deutschland unterliege – der während des Zeitraums der Freistellung bezogene Arbeitslohn sogar zur Gänze. Der Kl erhob daraufhin Klage.
Entscheidung des BFH
Der BFH hält die Revision für unbegründet und weist sie daher zurück.
Zunächst hält er fest, dass der Kl im Streitjahr aufgrund seines inländischen Wohnsitzes in D unbeschränkt steuerpflichtig war. Daraufhin werden die Einkünfte, die während der Freistellungsphase bezogen wurden, thematisiert. Der BFH stellt hierzu fest, dass die Einkünfte während der Freistellungsphase gar nicht unter Progressionsvorbehalt freizustellen sind und die Einkünfte für die aktive Tätigkeit nur insoweit als diese auf in der Schweiz ausgeübte Tage entfallen. Der Kl ist nach Art 4 Abs 1 DBA D-CH in D ansässig. Art 15 DBA D-CH ist subsidiär zu Art 15a–19 DBA D-CH anzuwenden, weswegen zunächst die Inanspruchnahme des Art 15a DBA D-CH geprüft werden muss. Dieser ist im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil der Kl kein Grenzgänger war. Eine Person ist nach Art 15a Abs 2 dann Grenzgänger, wenn sie in dem anderen Vertragsstaat den Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt die Person nicht nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an den Wohnsitz zurückkehrt. In Bezug auf die Freistellungsphase liegt die Eigenschaft allein deswegen nicht vor, weil der Kl nicht mehr regelmäßig zu seinem inländischen Wohnsitz zurückgekehrt ist. Für die Vergütungen bis zum Zeitpunkt der Freistellung hingegen entfällt die Grenzgängereigenschaft deshalb, weil der Kl an 22 Tagen nicht zu seinem Wohnsitz zurückkehrte. Die 60 Tage Grenze muss im vorliegenden Fall nämlich aliquotiert werden, wonach die Grenze für den begrenzten Zeitraum von 1. 1. 2016 bis 27. 4. 2016 bei umgerechnet 18 Nichtrückkehrtagen liegt. Damit ist Art 15 DBA D-CH für die gesamten Einkünfte anwendbar.
Die Arbeit des Kl wurde im Streitjahr nur tw in der Schweiz ausgeübt. Während der gesamten Freistellungsphase lag keine Verpflichtung zur Arbeitsverrichtung in der Schweiz vor, weil die Arbeitspflicht des Kl sowie der Anspruch des Kl, Beschäftigung zu verlangen, mit der Freistellung erloschen sind. Die Zahlungen während der Freistellungsphase sind nach Judikatur des BFH nicht als Abfindung, sondern als Leistung in Erfüllung eines modifizierten Dienstverhältnisses einzuordnen (BFH 27. 4. 1994, XI R 41/93, BFHE 174, 352, BStBl II 1994, 653). Eine aktive Tätigkeit des Kl entfiel damit während der Freistellungsphase. Auch eine Arbeitsausübung in Form der Erfüllung einer anderen Pflicht gegenüber dem Schweizer Arbeitgeber lag nicht vor, weil sich der Kl während der Phase nicht an die Verfügungen des Schweizer Arbeitgebers zu richten hatte (vgl BFH 9. 9. 1970, I R 19/69, BFHE 100, 194, BStBl II 1970, 867). Es liegt auch keine Unterlassungsverpflichtung vor, die dort bewirkt würde, wo anderenfalls die zu unterlassende Handlung vorgenommen würde (vgl BFH 9. 9. 1970 – I R 19/69, BFHE 100, 194, BStBl II 1970, 867). Der Arbeitnehmer wird nämlich nicht für das „Nichtstun“ an einem bestimmten Ort bezahlt, sondern kann seinen Pflichten aus dem modifizierten Arbeitsverhältnis an jedem beliebigen Ort nachkommen. Genauso wenig lag eine Karenzpflicht vor. Der Vergleich des Kl mit dem BFH Urteil v 12. 1. 2011 – I R 49/10 (BFHE 232, 436, BStBl II 2011, 446) fällt ins Leere, weil der Bezug für Altersteilzeit eine zeitversetze Auszahlung ist, während die Zahlungen im vorliegenden Fall Folge der verbliebenen Laufzeit des durch Kündigung und Freistellung modifizierten Dienstverhältnisses darstellen (so im Ergebnis auch Schreiben des dBMF v 12. 12. 2023, BStBl I 2023, 2179, Rz 362). Prokisch in Vogel/Lehner, DBA7 Art 15 Rz 71 ist hierbei nicht heranzuziehen, weil weder ein „Zur-Verfügung-Halten“ noch ein „Nichtstun“ als Pflicht des Arbeitnehmers vorlag.
Damit war der Kl im Streitjahr nur an 11 Tagen in der Schweiz tätig, und die Grundlage der Berechnung der nicht der inländischen Besteuerung unterliegenden Einkünfte ist die Zahl der vertraglich vereinbarten Arbeitstage im Kalenderjahr abzüglich der Urlaubstage und der anderen arbeitsfreien Tage. Für diese Tage muss eine anteilige Aufteilung der Einkünfte stattfinden.
Die Abfindung hingegen ist nicht einmal anteilig in D freizustellen und unterliegt nach der Entscheidung des BFH in voller Höhe der Besteuerung in D. Nach stRsp sind Abfindungen nämlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern (vgl BFH-Urteile v 2. 9. 2009, I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387; I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl II 2010, 394; 24. 7. 2013, I R 8/13, BFHE 245, 291, BStBl II 2014, 929; 10. 6. 2015 – I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326). Dieser Umstand rührt daher, dass Abfindungen nicht für eine konkrete Tätigkeit, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt wird.
Daran mag letztendlich auch die vom Kl vorgebrachte Konsultationsvereinbarung v 17. 3. 2010, bekanntgegeben durch das BMF-Schreiben v 25. 3. 2010 (BStBl I 2010, 268), nichts zu ändern. Demnach hat der (frühere) Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht, sofern es sich bei der Abfindung um Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen oder Tantiemen aus einem früheren Arbeitsverhältnis handelt. Bei einer Gewährung für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ist eine zeitanteilige Aufteilung vorzunehmen. Der BFH ist jedoch der Ansicht, dass dieser Vereinbarung zwar Bedeutung für die Auslegung zukommt, allerdings der Wortlaut der Bestimmung die Grenze darstellt, die hierbei überschritten würde. Eine Konsultationsvereinbarung kann – auch trotz einer Ermächtigungsgrundlage im nationalen Recht – nicht den Abkommenstext und damit die besagte Besteuerungszuordnung für die betreffenden Einkünfte verändern.
Conclusio
Die Entscheidung des BFH, dass sowohl Entgeltfortzahlungen während der Freistellungsphase als auch aus einer Abfindung dem Ansässigkeitsstaat zuzuordnen sind, wirft einige Fragen auf und folgt offenbar auch einem anderen Rechtsverständnis als insb die österr Rsp (zB VwGH 1. 9. 2015, Ro 2014/15/0029), FinVw und Lit.
Der Fall ist sehr unterschiedlich gelagert im Vergleich zu demjenigen des BFH v 9. 9. 1970, I R 19/69, weil der damalige Sachverhalt tatsächlich eine Bereitstellungsverpflichtung zum Inhalt hatte und nicht aus einer reinen Entgeltfortzahlung in einem Freistellungszeitraum bestand. Das „Sichzurverfügunghalten“ führt zu einer Besteuerung an dem Ort, an dem der Verpflichtete sich während der Zeitdauer der vereinbarten Leistungsverpflichtung tatsächlich befindet. Die Einschätzung des BFH im vorliegenden Fall, dass der Kläger nicht für das „Nichtstun“ bezahlt werde, sondern der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase „seinen Pflichten aus dem in der Freistellungsphase noch bestehenden modifizierten Arbeitsverhältnis an jedem beliebigen Ort nachkommen“ kann, wirkt prima facie etwas befremdlich: Der Arbeitnehmer ist nicht an etwaige Weisungen des Arbeitgebers gebunden und unterliegt keinem Konkurrenzverbot, welches als Pflicht aus dem „modifizierten Arbeitsverhältnis“ erachtet werden kann. Der BFH spricht diesfalls davon, dass „eine Vielzahl von Rechten“ bestehen bleibt, allerdings ist dem SV zu entnehmen, dass nur mehr Rechte bestehen, die Pflichten allerdings entfallen sind. Dies leuchtet auch ein, wenn man sich die vom BFH aufgezählten Beispiele für diese Rechte und Pflichten durchdenkt: Hier wird nur von „zum Beispiel […] Lohnfortzahlung und Sozialleistungen“ gesprochen, beides entspricht allerdings nicht vertraglichen Verpflichtungen des Arbeitnehmers. Der BFH spricht hierbei davon, dass der Kl im Streitfall die Bezüge nicht während der Phase der aktiven Tätigkeit verdient hatte, sondern als „Folge der verbliebenen Laufzeit des durch Kündigung und Freistellung modifizierten Dienstverhältnisses“ erworben hat. Nach Ansicht des VwGH (26. 2. 2015, 2012/15/0128; siehe auch Waser in Aigner/Kofler/Tumpel [Hrsg], DBA2 Art 15 Rz 68) müssen Gehaltsfortzahlungen nach Dienstfreistellung dem ehemaligen Tätigkeitsstaat zugeordnet werden, sofern Kausalität vorliegt und die Einkünfte bei Nichtausübung der Tätigkeit nicht angefallen wären. Das kann man im vorliegenden Fall durchaus als erfüllt ansehen. Das entspricht auch der Ansicht des OECD-MK 2017 (Rz 2.6 zu Art 15), wonach fiktiv auf den Arbeitsort abgestellt wird, an dem der Arbeitnehmer – ohne Aussprache der Kündigung – weitergearbeitet hätte. Hierbei liegt nämlich der letzte Akt des Dienstverhältnisses vor (siehe auch Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer/Kaeser/Schwenke [Hrsg], Doppelbesteuerung, Art 15 Z 65e).
Auch bei Abfindungen weicht der BFH von der in Ö vertretenen Meinung ab. Nach Ansicht der Lit und FinVw werden diese der ehemaligen aktiven Tätigkeit zugeordnet und unterliegen entsprechend im Quellenstaat der Besteuerung (EAS 19. 7. 1994, 480; Waser in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 Art 15 Rz 68 mwN). Dass hierbei der Fokus auf dem Ort liegen muss, an dem die ehemalige Tätigkeit ausgeübt worden ist, hat der VwGH mit dem Erk v 23. 2. 2017, Ro 2014/15/0050 festgestellt (vgl dazu ausfl Lang, Die Vermeidung der Nichtbesteuerung von Abfindungen im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, in Beiser/Hohenwarter-Mayr/Mayr/Kirchmayr-Schliesselberger (Hrsg), Körperschaften im Steuerrecht – FS Zorn [2022] 369 ff).