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dEStG: §§ 1 Abs 1, 18 Abs 1 Nr 1
dAO: §§ 8, 42
DBA Deutschland Großbritannien: Art II Abs 1 lit l Unterabs ii lit aa, XI Abs 1
Abstract
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH wird eine Betriebsstätte dann angenommen, wenn eine eigene unternehmerische Tätigkeit mit einer festen örtlichen Bindung ausgeübt wird. Diese Anforderung gilt auch für den abkommensrechtlichen Begriff einer Betriebsstätte / festen Einrichtung. Ihr wird bereits dann entsprochen, wenn dem Dienstleistenden personenbeschränkte Nutzungsstrukturen an ortsbezogenen Geschäftseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.
BFH 7. 6. 2023, I R 47/20
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionsbeklagte ist ein Flugzeugmechaniker, der über einen Wohnsitz in Deutschland und einen in Großbritannien verfügt, wobei sein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Großbritannien angenommen wird. Weiterhin ist er alleiniger Gesellschafter der in Großbritannien ansässigen X Ltd und hat einen Freelancer Contract mit der, ebenfalls in Großbritannien ansässigen, Y Ltd abgeschlossen, worin er sich verpflichtet Wartungsleistungen als Subunternehmer zu erbringen. Diese Tätigkeit übt der Kläger auf dem Gelände der deutschen A GmbH aus, mit der die Y Ltd einen Vertrag zur Überlassung von lizensiertem Flugzeugwartungspersonal abgeschlossen hat. Auf dem Gelände der A GmbH verfügt der Kläger über einen verschließbaren Spind, um seine Kleidung aufzubewahren und außerdem ein Schließfach, um persönliche Gegenstände während der Arbeitszeit zu verstauen. Er hat einen Sicherheitsausweis, mit dem es ihm möglich ist, sich nach einer anfänglichen Sicherheitskontrolle auch außerhalb der eingetragenen Arbeitszeit frei auf dem Flughafengelände zu bewegen.
Im Streitjahr beantragte der Steuerberater des Klägers eine deutsche Steuernummer aufgrund der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in Deutschland. 2011 erklärte der StB dann wiederum, dass die erzielten Einkünfte nur in Großbritannien versteuert worden sind, da in Deutschland keine Betriebsstätte vorliegt und dem Kläger daher fälschlicherweise Einnahmen in den Voranmeldungen zugerechnet worden seien. Eine Steuerfahndungsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass im Streitjahr von einer festen Einrichtung in Deutschland auszugehen ist und demnach Einnahmen aus selbstständiger Arbeit gem § 18 Abs 1 Nr 1 dEStG erzielt wurden, die im Tätigkeitsstaat Deutschland gem Art XI Abs 1 DBA Großbritannien besteuert werden dürfen. Das FA folgte der Auffassung der Steuerfahndung und setzte die Einkünfte für das Streitjahr schätzungsweise fest. Nach einem erfolglosen Einspruch legte der Kläger Klage beim FG Sachsen ein, welches den angefochtenen Bescheid aufhob (FG Sachsen 8. 10. 2020, 3 K 49/17). Das FA legte wiederum Revision beim BFH ein.
Entscheidung
Nach Ansicht des BFH ist der Kläger im Streitjahr gem § 1 Abs 1 dEStG aufgrund seines inländischen Wohnsitzes nach § 8 dAO in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Er ist dabei das Zurechnungsobjekt der Einkünfte, welche er durch die Y Ltd erhält. Den Einwand des Klägers, dass die Rechnungen der Y Ltd nicht an ihn, sondern an die X Ltd ausgestellt wurde und daher eine Einkünftezurechnung an die X Ltd erfolgen sollte, gab der BFH nicht statt. Da die X Ltd keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet und kein Grund für die Zwischenschaltung vorliegt, handelt es sich um einen Rechtsmissbrauch durch eine Briefkastenfirma iSd § 42 dAO.
Aufgrund des im Streitjahr anwendbaren DBA Großbritannien steht dem Tätigkeitsstaat Deutschland das Besteuerungsrecht gem Art XI Abs 1 DBA Großbritannien zu, wenn die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit regelmäßig über eine feste Einrichtung im Tätigkeitsstaat erbracht werden. Grundsätzlich fällt der Kläger aufgrund seiner Ansässigkeit sowohl in Deutschland und in Großbritannien unter den persönlichen Anwendungsbereich des DBA, wobei der Mittelpunkt der Lebensinteressen gem Art II Abs 1 lit h Unterabs ii lit aa DBA Großbritannien in Großbritannien ist. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer festen Einrichtung sind deckungsgleich mit denen einer Betriebsstätte: Diese liegt vor, wenn eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche gegeben ist, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (stRspr: RFH 26. 9. 1939, I 272/39; BFH 3. 2. 1993, I R 80-81/91; BFH 23. 5. 2002, III R 8/00; BFH 23. 2. 2022, III R 35/20).
Das FG Sachsen hatte im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen (vgl FG Sachsen 8. 10. 2020, 3 K 49/17): Der Kläger hatte das Gelände der A GmbH zu festen Zeiten aufgesucht und dort entsprechende Dienstleistungen erbracht, wobei das dafür benötigte Werkzeug immer mitgeführt wurde. Aus Sicht des FG reicht das bloße Aufhalten und Tätigwerden auf dem Gelände des Kunden nicht aus, um die Verwurzelung des Unternehmens mit dem Tätigkeitsort anzunehmen. Weiterhin habe der Kläger keine Verfügungsmacht über Vorrichtungen auf dem Gelände der A GmbH bzw in den angemieteten Räumen der Y Ltd gehabt. Eine alleinige Verfügungsmacht über den persönlichen Spind und das Schließfach sei nicht ausreichend, da diese nur zur Aufbewahrung privater Gegenstände gedient haben und sich hieraus kein betrieblicher Bezug herleiten lässt.
Der BFH nimmt dahingegen an, dass eine mittelbare Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten der A GmbH aus dem Freelance Contract zwischen dem Kläger und der Y Ltd abzuleiten sei, welche nicht dadurch eingeschränkt wird, dass der Kläger sich beim Betreten einer Sicherheitskontrolle unterwerfen musste. Weiterhin würden Spind und Schließfach für eine örtliche Verwurzelung des Klägers ausreichend sein: Die Tatsache, dass der Kläger sein Werkzeug nicht tatsächlich in seinem Schließfach aufbewahrt hat, steht der theoretisch möglichen betriebsbezogenen Nutzung nicht entgegen. Auch kann im Spind nicht nur die Privatkleidung während der Arbeitszeit gelagert werden, sondern auch die Arbeitskleidung außerhalb der Arbeitszeit. Somit zielt der BFH allein auf die Möglichkeit und nicht auf die tatsächliche Lagerung der Arbeitsmittel ab und bejaht eine feste Einrichtung des Klägers auf dem Gelände der A-GmbH.
Weiterhin kann der Kläger sich nicht auf die Rückausnahme gem Art II Abs 1 lit l Unterabs ii lit aa DBA berufen, wonach eine Betriebsstätte dann nicht anzunehmen ist, wenn sich die Nutzung ausschließlich auf die Lagerung von Gütern bezieht. Dem BFH zufolge dient die Verfügungsmacht der unmittelbaren unternehmerischen Haupttätigkeit des Klägers und ist somit von der Ausnahme nicht erfasst.
Der BFH hebt hiermit das Urteil des FG Sachsen auf.
Conclusio
Entgegen früheren Verwaltungsansichten nimmt der BFH in seinem Urteil eine Dienstleistungsbetriebsstätte an, wofür bereits eine indirekte und faktische Nutzungsmöglichkeit ausreichend ist (vgl Haverkamp, DStR 2023, 239). Durch das Aufweichen der Anforderungen an die Verfügungsmacht nähert sich die deutsche Rechtsprechung an die Position der OECD bezüglich Betriebsstätten an (s OECD-Komm 2017 Art 5, Rn 18). Somit wird nun in Deutschland wahrscheinlich schneller eine Betriebsstätte oder feste Einrichtung anzunehmen sein als zuvor.
Die BFH-Entscheidung führt zu einer erhöhten Rechtssicherheit in Deutschland bezüglich Betriebsstätten im Dienstleistungsbereich (vgl Staudler, IStR 2023, 655): In früheren Urteilen wurde die Frage, ob ein Schließfach ausreichend ist, um eine Verwurzelung anzunehmen, teilweise mit ja, teilweise mit nein beantwortet, ohne dass für die Literatur entscheidungserhebliche Unterschiede zwischen den Sachverhalten auszumachen waren (vgl BFH 14. 7. 2004, I R 106/03; BFH 4. 6. 2008, I R 30/07). Mit dem vorliegenden Urteil bestätigt der BFH nun, dass ein Dienstleister auch dann eine Betriebsstätte in den Räumlichkeiten seines Kunden begründen kann, wenn er dort bloß tätig wird und nicht nebenher seinen eigenen betrieblichen Belangen, insbesondere die Leistungserbringung an fremde Dritte, nachgeht (abweichende Meinung: BFH 4. 6. 2008, I R 30/07). Abzuwarten bleibt jedoch, ob der BFH tatsächlich eine allgemeine Aufweichung der Voraussetzung der Verfügungsmacht vornehmen wollte oder ob das Urteil ein Ausreißer war. Dies könnte sich schon mit dem noch anhängigen Verfahren I R 47/21 klären.