News

BFH: Reichweite des § 1a dEStG

Bearbeiter: Juliane Beverungen

dEStG: § 1 Abs 3, § 1a Abs 1 Nr 1 S 1, § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 lit b, § 26 Abs 1 S 1, § 50 Abs 1 S 4

DBA DE-NL: Art 24

EStG 1988: § 1 Abs 4

Abstract

Im vorliegenden Urteil hatte sich der BFH mit der Frage zu beschäftigen, ob ausländische Werbungskosten einer Ehefrau bei einer Zusammenveranlagung von Ehegatten auch im Inland zu berücksichtigen sind. Hierbei führte der BFH aus, dass die Fiktion des § 1a dEStG dazu führt, dass die Ehefrau für die Anwendung des § 26 Abs 1 S 1 dEStG als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln ist. Dies führt aber nicht dazu, dass sich ihre mit der Einnahmenerzielung im Ausland zusammenhängenden Werbungskosten bei der Besteuerung des Ehemanns im Inland auswirkt.

BFH 28. 2. 2024, I R 26/21

Sachverhalt

Die Kläger (Kl), ein Ehepaar, welches im Streitjahr in den Niederlanden wohnte, waren beide als Arbeitnehmer erwerbstätig. Die Ehefrau erzielte in diesem Zeitraum ihren Arbeitslohn aus den Niederlanden und leistete Beiträge zur niederländischen Sozialversicherung (genauer: zur Krankenversicherung, zur Pflegeversicherung und zur Rentenversicherung). Die Beiträge zur Renten- und Pflegeversicherung werden als Prozentsatz vom niederländischen Arbeitslohn einbehalten und stellen Pflichtversicherungsbeiträge dar. Bei der Krankenversicherung handelt es sich allerdings um eine Kopfpauschale mit der Möglichkeit zur freiwilligen Zusatzversicherung.

Der Ehemann war in Deutschland beschränkt steuerpflichtig und stellte einen Antrag gem § 1 Abs 3 dEStG, um mit seinen inländischen Einkünften als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden. Für die Ehefrau wurde außerdem ein Antrag gem § 1a Abs 1 Nr 2 dEStG gestellt, um für die Anwendung des § 26 Abs 1 S 1 dEStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden. Das Finanzamt führte daraufhin im Rahmen der deutschen Besteuerung eine Zusammenveranlagung der Kl durch. Dabei wurde der Pflichtanteil zur niederländischen Krankenversicherung zum Sonderausgabenabzug zugelassen, die anderen Versicherungsbeiträge blieben unberücksichtigt. Die Einkünfte der Ehefrau wurden in Deutschland lediglich für den Progressionsvorbehalt einbezogen.

Nach einem erfolglosen Einspruch erhoben die Kl Klage vor dem FG Düsseldorf. Dieses wies die Klage ab (s FG Düsseldorf 20. 5. 2021, 9 K 3063/19 E), woraufhin die Kl eine Revision beim BFH einreichten.

Entscheidung

Die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht von EU- und EWR-Familienangehörigen gem § 1a Abs 1 Nr 2 S 1 dEStG geht nicht so weit, dass die Ehefrau einschränkungslos als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gilt und daher alle Vergünstigungen in Anspruch nehmen kann, die für andere unbeschränkt Steuerpflichtige gelten (Gosch in Kirchhof/Seer, EStG22 § 1a Rz 2; Vogt in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht [2023] § 1a EStG Rz 48; Heinicke in Schmidt, EStG42 § 1a Rz 15; Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, § 1a EStG Rz 8; Jelinek, EFG 2021, 1303). Dies geht bereits aus dem Wortlaut des § 1a Abs 1 Nr 2 S 1 dEStG hervor, der die unbeschränkte Steuerpflicht nur auf die Anwendung des § 26 Abs 1 S 1 dEStG bezieht. Hierdurch kann die familiäre Situation des Ehemanns bei der Besteuerung in Deutschland berücksichtigt werden. § 1a dEStG führt aber nicht dazu, dass die ausländischen Einkünfte der Ehefrau nun bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens im Inland einbezogen werden, oder dass sich ihre mit der Einnahmenerzielung im Ausland zusammenhängenden Werbungskosten auf die deutsche Besteuerung auswirken.

Der BFH betont weiterhin, dass § 1a dEStG keine eigenständige Form der unbeschränkten Steuerpflicht regelt, sondern lediglich als Ergänzung des § 1 Abs 3 dEStG dient, um auch eine Zuordnung von Familienangehörigen zur unbeschränkten Steuerpflicht zu eröffnen. Die Angehörigen werden aber nur dann tatsächlich unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie selbst die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 dEStG erfüllen, was für die Ehefrau vorliegend nicht der Fall ist.

Auch eine Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeträge gem § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 dEStG kommt nicht in Frage, da die Voraussetzung des § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 lit b dEStG nicht erfüllt ist, namentlich die Steuerfreiheit der Einnahmen nach einem DBA. Da die Ehefrau in den Niederlanden lebt und dort Einnahmen erzielt, sind diese in Deutschland nicht aufgrund eines DBA steuerfrei, sondern weil es bereits an einer beschränkten oder unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland mangelt.

Auch eine Verpflichtung Deutschlands zur Berücksichtigung der Aufwendungen aufgrund des Unionsrechts besteht nicht: Grundsätzlich ist es Aufgabe des Wohnsitzstaats, die persönliche Lage eines Steuerpflichtigen für die Besteuerung zu berücksichtigen (EuGH 14. 9. 1999, C-391/97, Gschwind, EU:C:1999:409). Nur dann, wenn es aufgrund geringer Einkünfte im Wohnsitzstaat faktisch unmöglich ist die persönliche Lage zur berücksichtigen, liegt ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit vor (EuGH 14. 2. 1995, C-279/93, Schumacker, EU:C:1995:31). Die persönlichen Verhältnisse des Ehemanns werden in Deutschland aufgrund von § 1 Abs 3 iVm § 1a dEStG berücksichtigt. Die persönlichen Verhältnisse der Ehefrau sind dahingegen tatsächlich und effektiv vom Wohnsitz- und Beschäftigungsstaat – den Niederlanden –, zu berücksichtigen. Aus der Niederlassungsfreiheit ist allerdings keine Pflicht Deutschlands abzuleiten, etwaige Mängel bei der Berücksichtigung dieser Verhältnisse für die Ehefrau in den Niederlanden bei der Besteuerung des Ehemanns in Deutschland auszugleichen (EuGH 22. 6. 2017, C-20/16, Bechtel, EU:C:2017:488).

Weiters liegt kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gem Art 24 DBA DE-NL vor, da das DBA auf die Einkünfte der Ehefrau nicht anwendbar ist.

Der BFH hält die Revision einstimmig für unbegründet und sieht von einer mündlichen Verhandlung ab.

Conclusio

§ 1 Abs 3 dEStG eröffnet beschränkt Steuerpflichtigen auf Antrag steuerliche Vergünstigungen, welche ihnen eigentlich gem § 50 Abs 1 S 4 dEStG verwehrt werden, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 dEStG erfüllt werden. Darüber hinaus fingiert § 1a dEStG noch einen Inlandsbezug, der für einige weitere familienbezogenen Vergünstigungen erforderlich ist, wie bspw das Ehegatten-Splitting (s Heinicke in Schmidt, EStG43 § 1a Rz 15). Über diese Vergünstigungen hinaus gilt die Fiktion allerdings nicht.

Österreich besitzt kein Äquivalent zur Regelung des § 1a dEStG, sondern „lediglich“ mit § 1 Abs 4 EStG ein Äquivalent zu § 1 Abs 3 dEStG. Hiermit wurde das Schumacker-Urteil des EuGH (vgl EuGH 14. 2. 1995, C.279/93, EU:C:1995:31) in österreichisches Recht umgesetzt, da die Norm eine Berücksichtigung der persönlichen und familiären Verhältnisse des Steuerpflichtigen vorsieht (Marschner in Kanduth-Kristen/Marschner/Peyerl/Ebner/Ehgartner, Jakom EStG17 [2024] § 1 Rz 56). Die Erweiterung auf Familienangehörige, wie in Deutschland, ist nicht vorgesehen. Dies liegt daran, dass es in Österreich eine Zusammenveranlagung von Ehegatten wie das Ehegattensplitting in Deutschland nicht gibt. Eine Fiktion der unbeschränkten Steuerpflicht des Ehegatten hätte in Österreich für die Veranlagung des anderen Ehegatten keine Bedeutung.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35636 vom 08.07.2024