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dUStG: § 3a Abs 5
öUStG (UStG 1994): § 3a Abs 13
MwStSystRL: Art 58 Abs 1 lit c
MwSt-DVO: Art 7 Abs 1
Abstract
Für „elektronisch erbrachte Dienstleistungen“ an Nichtsteuerpflichtige sieht Art 58 lit c MwStSystRL eine besondere Leistungsortbestimmung vor. Diese Regelung bestimmt den Ort solcher Dienstleistungen als jenen Ort, an dem die Nichtsteuerpflichtigen ansässig sind, also ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort haben. Für die Qualifizierung einer Leistung als „elektronisch erbrachte Dienstleistung“ ist der Umfang der menschlichen Beteiligung des Dienstleistungserbringers zentral (siehe Art 7 Abs 1 MwSt-DVO). Die menschliche Beteiligung bei Erbringung des für die Kund:innen zentralen Leistungsbestandteils darf lediglich minimal sein, um als „elektronisch erbrachte Dienstleistung“ zu gelten. Liegt seitens eines Glücksspielanbieters bei der Ermittlung der Gewinner:innen und deren Gewinne eine (nicht nur minimale) menschliche Beteiligung vor, kommt die besondere Leistungsortbestimmung daher nicht zur Anwendung.
BFH 3. 8. 2022, XI R 36/19
Sachverhalt
Die Klägerin war eine Gesellschaft britischen Rechts (Ltd) mit Sitz in Großbritannien. Als Inhaberin einer britischen Glücksspiellizenz veranstaltete sie eine sog Zweitlotterie. Bei dieser konnten Spieler:innen Wetten auf die Ziehungen verschiedener terrestrischer Lotterien (sog Erstlotterien) platzieren. Die Spieler:innen gewannen bei der von der Ltd angebotenen Zweitlotterie, wenn sie auf jene Zahlen gewettet hatten, die bei der Erstlotterie gezogen wurden. Das Spielangebot der Ltd wurde durch eine Vermittlerin (T Ltd), die eine Internetseite betrieb, an deutsche Kund:innen vertrieben. Der Vertrag zwischen der Ltd und dem/-r einzelnen Spieler:in kam zustande, sobald letzteren die Spielquittung per E-Mail zuging. Bevor die Spielquittung bereitgestellt wurde, sicherte sich die Ltd durch Versicherungen oder den Erwerb entsprechender Tippscheine der Erstlotterien ab („Hedging“).
Nachdem die Zahlen der Erstlotterien gezogen wurden, ermittelte ein Team aus ca 20 Mitarbeiter:innen das Ergebnis unter Rückgriff auf drei offizielle Veröffentlichungen. Dabei wurden die Zahlen der Erstlotterien manuell in die Computersysteme der Ltd eingepflegt. Diese Computersysteme ermittelten sodann unabhängig voneinander sowohl die Gewinner:innen als auch deren Gewinne. Die Ergebnisse der automatischen Berechnungen wurden durch die Mitarbeiter:innen der Ltd manuell überprüft und Abweichungen aufgeklärt.
Das deutsche FA war der Ansicht, dass die Ltd auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen iSd § 3a Abs 5 Satz 2 Nr 3 dUStG (= § 3a Abs 13 öUStG) ausübte. Nach dieser Bestimmung werden auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen an Nichtunternehmer an dem Ort des Wohnsitzes, des gewöhnlichen Aufenthalts oder des Sitzes des Nichtunternehmers ausgeführt. Da dieser Ort bei der Leistungserbringung an deutsche Kund:innen in Deutschland gelegen sei, handle es sich um in Deutschland steuerbare sonstige Leistungen. Der gegen den entsprechenden Umsatzsteuerbescheid 2017 eingebrachten Klage der Ltd gab das Niedersächsische Finanzgericht statt (19. 11. 2019, 5 K 134/17). Das deutsche FA wandte sich an den BFH.
Entscheidung des BFH
Die unionsrechtliche Grundlage für die Leistungsortbestimmung des § 3a Abs 5 Satz 2 Nr 3 dUStG (= § 3a Abs 13 öUStG) ist Art 58 lit c MwStSystRL. Anhang II MwStSystRL enthält eine beispielhafte Aufzählung von elektronisch erbrachten Dienstleistungen. Zudem definiert Art 7 MwSt-DVO den Begriff als „Dienstleistungen, die über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz erbracht werden, deren Erbringung aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und ohne Informationstechnologie nicht möglich wäre.“ Anhang I MwSt-DVO enthält eine weitere demonstrative Liste von elektronisch erbrachten Dienstleistungen.
Bei Beurteilung des Umfangs der „menschlichen Beteiligung“ ist – so der BFH – auf den eigentlichen Leistungsvorgang abzustellen. Auf die (ursprüngliche) Inbetriebnahme des elektronischen Systems und auf dessen Wartung kommt es hingegen nicht an. Ebenso ist der Umfang der menschlichen Beteiligung bei Leistungen, die (nur) der Vorbereitung und Sicherung der Hauptleistung dienen, irrelevant. Demnach ist für den konkreten Fall der Umfang der menschlichen Beteiligung bei den Risikosicherungsmaßnahmen („Hedging“) nicht entscheidungserheblich, da diese Leistungsbestandteile nicht den eigentlichen Leistungsvorgang betreffen.
Die von der Ltd erbrachte Leistung bestand nicht ausschließlich in der (automatisierten) Erteilung der Spielquittungen, sondern auch in der Gewinnermittlung (Übernahme der Zahlen der Erstlotterie) sowie in der Gewinnauszahlung. Dies steht, so der BFH, auch im Einklang mit der Rsp des EuGH (Verweis auf EuGH 13. 7. 2006, C-89/05, United Utilities, Rn 26 und 14. 7. 2011, C-464/10, Henfling ua, Rn 30). Maßgeblich für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ist, wofür die Kund:innen das Entgelt für die Teilnahme an der Lotteriewette bezahlt. Es geht ihm darum, möglichst zu gewinnen. Der Kunde leistet seinen Spieleinsatz daher insb dafür, dass der mögliche Gewinn zuverlässig ermittelt und ausgezahlt wird. Zwar wird die Spielquittung an die Spieler:innen automatisch über das Internet ausgestellt, im vorliegenden Fall erfolgte jedoch die Feststellung der Gewinnzahlen (sowie deren Einpflegung in die Computersysteme der Ltd) sowie der Gewinner:innen durch Mitarbeiter:innen der Ltd. Da dies über eine minimale menschliche Beteiligung hinausgeht, handelt es sich um nicht elektronisch erbrachte Dienstleistungen. Die Ltd erbrachte die sonstigen Leistungen daher nach der Grundregel des § 3a Abs 1 dUStG (= § 3a Abs 7 öUStG) an ihrem Unternehmensort im Ausland. Es liegen demnach keine in Deutschland steuerbaren Umsätze vor, weshalb die Revision des deutschen FA als unbegründet zurückzuweisen war.
Conclusio
Den Ausführungen des BFH ist insoweit zuzustimmen, als bei Beurteilung des Umfangs der „menschlichen Beteiligung“ auf den eigentlichen Leistungsvorgang abzustellen ist. Vorbereitende Leistungen oder Leistungen, die lediglich der Sicherung der „Hauptleistung“ dienen, sind in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Dies steht auch im Einklang mit der Rsp des VwGH: Steht die „menschliche Beteiligung“ gerade „im Mittelpunkt der Leistungserbringung“, kann keine elektronisch erbrachte sonstige Leistung vorliegen (VwGH 27. 6. 2013, 2010/15/0047 zu Echtzeit-Erotikangeboten). Das vorliegende BFH-Urteil ist dabei insofern interessant, als die Kund:innen gar nicht zwangsläufig Kenntnis davon erlangten, dass die Dienstleistung unter Zuhilfenahme (nicht nur minimaler) menschlicher Beteiligung erfolgte. Das Einpflegen der gezogenen Zahlen, die Ermittlung der Gewinner:innen und der Gewinne (bzw deren Überprüfung) geschah großteils ohne Wissen und weiteres Zutun der Leistungsempfänger:innen (nur bei Gewinnen über einer gewissen betraglichen Grenze wurden die Gewinner:innen separat von den Mitarbeiter:innen kontaktiert). Diese Tätigkeiten wurden auch unabhängig von einem individuellen Kunden:innenauftrag, sondern gleichsam für sämtliche platzierten Wetten vorgenommen (s dazu Abs 1 lit b Leitlinie des MwSt-Ausschusses, Dokument C 930). Folgt man der Ansicht des BFH, können also manuelle Prozesse, die lediglich im Hintergrund der Leistungserbringung ausgeführt werden, einer Qualifikation als „elektronisch erbrachte Dienstleistung“ entgegenstehen.