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BFH: Verfassungs- und unionsrechtliche Zweifel an Hinzurechnungsbesteuerung

Bearbeiter: Juliane Beverungen

AEUV: Art 63

AStG: § 7, § 8 Abs 1 und 3, § 10 Abs 1

FGO: § 69 Abs 2, Abs 3

dKStG: § 23 Abs 1

SolZG: § 4 S 1

GewStG: § 16 Abs 4 S 2

KStG 1988: § 22 Abs 1

Abstract

Es bestehen Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die niedrigste Gesamtsteuerbelastung für unbeschränkt Steuerpflichtige in Deutschland geringer ist als die Niedrigsteuerschwelle iSd § 8 Abs 1 iVm Abs 3 AStG, also 25 %. Trotzdem führt eine Beschwerde dann nicht zum Erfolg, wenn der Antragsteller bei einer Nullbesteuerung im Ausland nicht von einer günstigeren Rechtslage profitieren kann.

BFH 13. 9. 2023, I B 11/22 (AdV)

Sachverhalt

Die Antragsteller waren Gesellschafter einer in Hongkong ansässigen Ltd, die größtenteils Agentur- und Handelsgeschäfte für eine deutsche GmbH ausführte. Im Streitjahr erfolgte keine Besteuerung der Einkünfte der Ltd in Hongkong und es wurde keine Steuererklärung in Deutschland abgegeben. Das deutsche Finanzamt (dFA) erließ dennoch einen Feststellungsbescheid, in dem den Gesellschaftern ein Hinzurechnungsbetrag gem § 10 Abs 1 AStG zugerechnet wurde, welcher das dFA durch Schätzung der Bemessungsgrundlage und ausgehend von einer Niedrigbesteuerung gem § 8 Abs 3 AStG ermittelt hatte. Hiergegen legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) gem § 69 Abs 2 FGO, was das dFA ablehnte. Hiergegen beantragten die Antragsteller AdV vor dem FG Münster, welches den Antrag wiederum ablehnte, aber eine Beschwerde zuließ (FG Münster 11. 2. 2022, 2 V 1478/21 F). Daraufhin legten die Antragsteller Beschwerde beim BFH ein und rügten eine Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidung

Gem § 69 Abs 2 und 3 FGO kann ein Gericht den Vollzug eines Verwaltungsaktes dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel liegen nach stRsp bereits dann vor, wenn bei der Prüfung gewichtige Gründe auftreten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH 18. 5. 2021, I B 75/20 [AdV]; 24. 11. 2021, I B 44/21[AdV]). Weiterhin liegen ernstliche Zweifel vor, wenn verfassungsrechtliche Zweifel an der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm bestehen (BFH 12. 4. 2023, I B 74/22 [AdV]) oder sich ein möglicher Verstoß gegen eine unionsrechtliche Bestimmung ergibt (BFH 12. 12. 2013, XI B 88/13).

Unstrittig war das FG davon ausgegangen, dass es sich bei der Ltd um eine Körperschaft handelt, an der die Antragsteller im Streitjahr zu mehr als der Hälfte beteiligt waren. Weiterhin unterlag die Ltd mit sog passiven Einkünften im Ausland einer Ertragsteuerbelastung iHv 0 % und fiel damit unter den Tatbestand gem § 8 Abs 1 AStG.

Allerdings sind verfassungsrechtliche Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung gem §§ 7 ff AStG zu berücksichtigen, da im Streitjahr die niedrigste Gesamtsteuerbelastung in Deutschland 22,825 % (15 % KöSt gem § 23 Abs 1 KStG, 0,825 % Solidaritätszuschlag gem § 4 S 1 SolZG und 7 % GewSt gem § 16 Abs 4 S 2 GewStG mit dem Mindesthebesatz iHv 200 %) betrug und somit unter der Niedrigsteuerschwelle des § 8 Abs 1 AStG von 25 % lag (s Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld [Hrsg], Außensteuerrecht § 8 AStG Rz 701 ff; ebenso Lüdicke in Lüdicke/Schnitger/Spengel [Hrsg], Besteuerung internationaler Unternehmen, FS  Dieter Endres (2016) S 219 ff; Köhler/Staats, ISR 2021, 295 [298f]). Diese Zweifel sind berechtigt, da die Hinzurechnungsbesteuerung dann nicht mehr mit der Erzielung ungerechtfertigter Steuervorteile durch das Fehlen einer ausgleichenden Auslandsbesteuerung (s Deutscher Bundestag, Drucksache VI/2883, S 26 ff) zu rechtfertigen ist. Die Zweifel sind dennoch nicht dazu geeignet die Rechtsstellung der Antragsteller im Hinblick auf die Hinzurechnungsbeträge zu verbessern: Die Zweifel könnten zwar bewirken, dass der Gesetzgeber dazu angehalten wird den Verfassungsverstoß zu beseitigen und daraufhin die Niedrigsteuergrenze auf 22,825 % absenkt. Allerdings können die Antragsteller aufgrund einer Nullbesteuerung in Hongkong hiervon nicht profitieren.

Gleiches gilt für die unionsrechtlichen Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung im Hinblick auf Kapitalverkehrsfreiheit gem Art 63 AEUV: Selbst wenn sie der EuGH teilte, würde dies nicht zur Nichtigkeit der nationalen Regelung gem §§ 7 ff AStG führen: Den unionsrechtlichen Erfordernissen würde durch die sog geltungserhaltende Reduktion (stRsp; BFH 3. 2. 2010, I R 21/06; 15. 1. 2015, I R 69/12) unter Beachtung des Anwendungsvorrangs des Primärrechts Rechnung getragen werden.

Es konnten keine weiteren ernstlichen Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung geltend gemacht werden. Auch wurden keine Gründe vorgebracht, warum die Vollstreckung für die Antragsteller zu einer unbilligen Härte führen würde. Die Beschwerde ist demnach unbegründet und wird zurückgewiesen.

Conclusio

In diesem Urteil bestätigt der BFH die verfassungs- und unionsrechtlichen Zweifel an der Hinzurechnungsbesteuerung, welche bereits seit Jahren in der Literatur vertreten werden (s Spengel in Jacobs [Hrsg], Internationale Unternehmensbesteuerung9 [2023] S 349; Linn, IStR 2016, 645 [648 f]; Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293 [296]): Wenn die Gesamtsteuerlast einer inländischen Kapitalgesellschaft niedriger ist als die Niedrigsteuerschwelle der §§7 ff AStG, dann wird hierdurch der Zweck der Hinzurechnungsbesteuerung gewissermaßen ausgehebelt. Dieses Phänomen ist aber nicht nur auf Deutschland begrenzt: Auch in Österreich wird der Körperschaftsteuersatz gem § 22 Abs 1 KStG 1988 abgesenkt, wodurch sich auch hier Auswirkungen auf die Hinzurechnungsbesteuerung ergeben können. Damit die Hinzurechnungsbesteuerung weiterhin ihren Sinn als Vorschrift zur Missbrauchsbekämpfung erfüllen kann, sollte daher entweder ein Absenken der Niedrigsteuerschwelle diskutiert werden oder aber die Hinzurechnungsbesteuerung auf echte Missbrauchsfälle mit einer Einzelfallprüfung beschränkt werden (s Spengel in Jacobs (Hrsg), Internationale Unternehmensbesteuerung9 [2023], S 349 ff).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35110 vom 26.02.2024